Viele Menschen in Darmstadt können sich die gestiegenen Ausgaben fürs Wohnen nicht leisten. Heftige Kritik üben Betroffene am Vorgehen des Bauvereins.
Von Alexandra Welsch
Mitarbeiterin Lokalredaktion Darmstadt
Modernisiert hat der Bauverein seine Häuser im Rhönring und am Spessartring.
(Archivfoto: Torsten Boor)
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MARTINSVIERTEL - Die stetig steigenden Mietpreise und der Rückgang an Sozialwohnungen bei zugleich zunehmendem Bedarf provozieren immer mehr Protest, auch in Darmstadt. Am Dienstag haben Gewerkschafts- und Mietervertreter bei einem Infoabend ein Gegensteuern durch die Politik gefordert und betroffene Mieter zu mehr Widerstand aufgerufen. Auch ein Bürgerbegehren wird angeregt als Pendant zur Radentscheid-Initiative.
Als aktuelles, gewichtiges Beispiel im Zentrum stand erneut die laufende Sanierung der 50 Buxbaum-Blöcke im Spessart- und Rhönring durch die Bauverein AG: Wie Kevin Bettin von der dortigen Mieterinitiative erläuterte, stiegen die Mieten durch die Modernisierung um 20 bis 25 Prozent. Und die meisten der rund 1000 Bewohner verfügten nur über ein geringes oder mittleres Einkommen und könnten sich das nicht mehr leisten.
Bewohnerstrukturen werden ausgetauscht
Zudem würden die Häuser im Zuge der Sanierung auf teurere Fernwärme umgestellt und die Heizkosten dadurch höher als zuvor. So blieben einer alleinerziehenden Mutter dort von ihrem Nettogehalt von 1650 Euro nach Abzug der neuen Miete von 950 Euro und den Energiekosten gerade mal 400 Euro im Monat. Unter dem Dach einer städtischen Tochtergesellschaft mit stetig steigendem Ertrag sei das eine empörende Entwicklung, die er so zuspitzte: „Die grüne Stadtpolitik verdrängt Mieter.“
SINKENDES ANGEBOT, STEIGENDE NACHFRAGE
Einen „dramatischen Rückgang“ der Sozialwohnungen in Darmstadt umriss Erhard Schleizer vom Verdi-Bezirksseniorenausschuss am Dienstagabend. Demnach gab es 1987 noch 15 000 Sozialwohnungen, was damals mehr als 22 Prozent des gesamten Bestands gewesen sei. Bis 2014 sei diese Zahl auf 5396 geschrumpft, 2015 auf 5464 leicht gestiegen. Die Zahl der Sozialwohnungsbedürftigen habe parallel von 1800 auf 2800 zugenommen.
Detaillierter auf die Zahl geförderter Wohnungen in Darmstadt blickte Mieterbund-Leiterin Margit Heilmann. Zwischen 2003 und 2013 seien laut Angaben der Stadt 616 Sozialwohnungen hinzugekommen, doch seien davon lediglich 120 neu gebaut und die übrigen durch Ankauf von Belegungsrechten oder neue Bindungen geschaffen worden. Der Anteil von Sozialwohnungen im Bestand des Bauvereins sei von 46 Prozent im Jahr 2015 auf 41 Prozent 2017 gesunken. Berechtigt, eine Sozialwohnung zu erhalten, sind Haushalte mit geringem Einkommen, bei einem Ein-Personen-Haushalt beispielsweise liegt die Einkommensgrenze bei einem Nettojahresgehalt von 15 572 Euro. (alex)
Ähnlich sah das Uli Franke von den Linken. Er warf hier auch einen Blick auf den neuen Mietspiegel von 2018, laut dem die Mieten seit 2014 im Schnitt um knapp neun Prozent gestiegen sind. Es sei zu beobachten, dass der Bauverein bei Neuvermietungen von modernisierten Wohnungen Mietpreise weit oberhalb des Mietspiegels aufrufe. „Mit dieser Mietenpolitik würde die Bauverein AG im Laufe der nächsten zehn, 15 Jahre das soziale Umfeld im Buxbaum-Ensemble weitgehend umkrempeln.“
Für Margit Heilmann vom Mieterbund kann man da schon von Gentrifizierung sprechen: „Es werden Bewohnerstrukturen ausgetauscht.“ Ähnliche Entwicklungen seien bei diversen anderen Bauverein-Häusern, aber auch anderen Wohnungsunternehmen oder Privatvermietern zu beobachten. Da verlange die Vonovia für eine Wohnung in der Bismarckstraße nach einer Modernisierung 70 Prozent mehr Miete. Und die Innenstadtlage sei mittlerweile so begehrt, dass selbst gänzlich unsanierte Wohnungen „gnadenlos überteuert“ seien.
Als Ursachen für diese Entwicklung machte Erhard Schleizer vom Verdi-Bezirksseniorenausschuss unter anderem aus, dass die staatliche Förderung für Sozialwohnungen seit den achtziger Jahren zurückgefahren und der Wohnungsmarkt seit den neunziger Jahren stark privatisiert und zu Spekulationsmasse wurde. „Die neoliberale Wirtschaftspolitik führt zur Enteignung von Sozialeigentum“, machte er deutlich und forderte ein politisches Umsteuern: Mieterhöhungen und Modernisierungsumlagen müssten begrenzt, das kommunale Vorkaufsrecht gestärkt und wieder mehr in Sozialwohnungsbau gesteckt werden.
Uli Franke von den Linken wurde noch konkreter: Statt der Begrenzung der Modernisierungsumlage von elf auf die geplanten acht Prozent schlug er wie der Mieterbund vier Prozent vor, Mieterhöhungen müssten wie in Frankfurt auf ein Prozent gedeckelt werden, Neuvermietungsmieten oberhalb des Mietspiegels müssten untersagt und die Kosten für Fernwärme auf das Niveau des Erdgaspreises begrenzt werden.
Mieterbund-Beraterin Heilmann wünschte sich aber auch von den Mietern, etwas beherzter zu sein. Maximal drei hätten bislang von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, eine Härtefallregelung anzumelden. „Die wenigen Rechte, die man hat, nicht auszunutzen, ist seltsam.“ Ein Mann aus dem Publikum befand: „Man müsste mit dem Bauverein massenhaft Rechtsstreite führen.“ Zudem gab Heilmann zu bedenken: „Der Bauverein ist ein städtisches Unternehmen und hat eine Reputation zu verlieren – man muss ihn politisch unter Druck setzen.“