Mit Bleistift und rotem Faden

Dina Rautenberg bezeichnet ihre Bilder als genähte Zeichnungen. Foto: Dirk Zengel

Für die Darmstädter Künstlerin Dina Rautenberg ist die Nähmaschine ein unverzichtbares Arbeitsmittel. Ihre Bilder sind genähte Zeichnungen.

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DARMSTADT. Mademoiselle Darmstadt trägt freilich nichts anderes als den Hochzeitsturm auf dem Kopf: Ihre aufgefächerte Hochfrisur weist gleich mehrfach die einzigartige Form des Heiner-Wahrzeichens auf – irritierend fliegen dazu fünf rote Finger, als Anspielung auf den Spitznamen Fünffingerturm, durch die Luft. Träumend scheint sich das Fräulein den Wind um die Nase blasen zu lassen: Die blauen Haare mäandern wie Wellen parallel zum goldenen Hemdkragen und der sandfarbenen Landschaft und bilden eine wundersame Ornamentik, die an den Darmstädter Jugendstil denken lässt. Elemente wie Girlanden, Bogen, Kreise, Wellen, Spiralen, Akanthus – vegetabile wie abstrakte Formen finden sich immer wieder in den Arbeiten von Dina Rautenberg.

Dina Rautenberg bezeichnet ihre Bilder als genähte Zeichnungen. Foto: Dirk Zengel
Der Hochzeitsturm dient Mademoiselle Darmstadt in diesem Werk von Dina Rautenberg als Kopfbedeckung. Foto: Dina Rautenberg

Doch wie kommt eine Illustratorin darauf, Bilder zu nähen? „Jeder Künstler findet sein Material“, betont die Vierzigjährige, die an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach studierte und dort zu ihrem Medium fand. Ihre Motive zeichnet sie zunächst mit Bleistift auf Papier, diese überträgt sie sodann auf Nessel- oder anderen Baumwollstoff, um später Linien und Felder mit der Nähmaschine nachzuzeichnen, individuell so zu komponieren, bis alles in ihren Augen stimmt.

„Das ist mein persönliches Kommunikationsmittel, mit dem ich Geschichten erzähle, inneres nach außen bringe und Statements gebe.“ Dina Rautenberg, die seit etwa zehn Jahren unter dem Künstlernamen „Dinaeht“ (dina näht oder die näht) firmiert, nennt ihre Bilder deshalb auch „genähte Zeichnungen“. Diese befinden sich, wie sie sagt, „an der Schnittstelle zwischen Kunst und Illustration“.

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Durch die Nähte, die verschiedensten Formen wie Punkte, Striche, Wellen mit farbigem Garn, verewigt Dina Rautenberg ihre Zeichnungen und erhebt sie gleichzeitig: Das Ganze erhält durch die Weiterbearbeitung eine bestimmte Wertigkeit. „Durch das Nähen und den Wechsel von Bleistift zur Maschine entwickele ich sie weiter.“ Einerseits zurre sie das Gezeichnete fest, andererseits gebe sie ihm damit auch eine weiche Präsenz: „Ich mag das sinnliche Erlebnis, mit der Hand über das Bild zu fühlen.“ Spontan ist der Betrachter animiert, ebenfalls mit den Fingerkuppen über das Garn, die Knötchen, Pünktchen oder sanften Striche zu streichen.

Während sich die Bleistiftzeichnung wieder ausradieren lasse, blieben durch eine Naht immer Spuren übrig. Beim Auftrennen etwa sind kleine Löchelchen sichtbar, denn ein Stich ist und bleibt ein Stich. „Das genähte Bild bekommt mehr Kraft. Mit einer Zeichnung allein wäre ich nicht zufrieden.“ Mit der Beigabe von lindgrünem, zitronenfaltergelbem über lachsrosafarbenem, kornblumenblauem, silbernem oder goldenem Garn habe sie das Gefühlt, als lege sie ihren gezeichneten Bildern eine Festkleidung an.

Die Kombination ist in jedem Fall spannend und Dina Rautenberg, die in dem kleinen Örtchen Vöckelsbach im Odenwald aufgewachsen ist, kam schon sehr früh durch ihre stets stickende, nähende und strickende Mutter Jutta mit Textilien und Handwerkstechniken in Berührung. Als Jugendliche sei sie aber viel zu ungeduldig gewesen, gesteht sie sich ein. Heute will sie das Nähen nicht mehr missen, denn es entschleunige enorm. An einer Wand leuchten ihr täglich Hunderte von Garnrollen in allen möglichen Farben entgegen und inspirieren sie zum Loslegen.

In ihrer Nähmaschine klemmt ein großes Stoffknäuel – der Laie ahnt die Mühe, doch die Macherin weiß ganz genau, welcher Schritt der nächste ist und freut sich drauf. Rundherum schauen Gesichter von Papierbahnen, am Eingang thront ein zartes Wesen in ornamentalem Gewand. Das Auge wandert über die unterschiedlichsten Zierstiche, die Dina Rautenberg in Freihandnähfunktion intuitiv mal als Pfauenauge, mal als Groteske auf den Stoff gebannt hat.