Mal in die Rolle der Populisten schlüpfen

Im „Café Europa“ beleuchten Alexander Gemeinhardt, Tobias Robischon (beide Schader-Stiftung), Terenzio Facchinetti („Pulse of Europe“) und die Politologen Claudia Wiesner und Dirk Jörke (von links) die Frage „Populismus: Weckruf für Europa?“ Foto: Andreas Kelm
© Andreas Kelm

In einer Tagung unter dem Titel „Populismus: Ein Weckruf für Europa“ gehen Experten und Workshop-Teilnehmer den Arbeitsweisen der politischen Bewegungen am rechten Rand auf...

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DARMSTADT. „Wir wollen die Sinne schärfen, sodass man nicht auf die Leimruten der Populisten geht“, erklärt Jörg Mattutat von „Pulse of Europe“-Darmstadt, warum die Initiative am Sonntag zusammen mit der Schader-Stiftung zur Tagung „Populismus: Weckruf für Europa?“ eingeladen hatte.

Die Kritik an Europa dürfe nicht den Europagegnern überlassen werden, unterstrich Claudia Wiesner, Politologieprofessorin an der Hochschule Fulda, in einem Impulsvortrag. „Zum Beispiel hat die europäische Integration mit Binnenmarkt und Deregulierung zu tun“, sagte sie. Globalisierungsverlierer würden nicht geschützt. Der Investmentbanker könne von London nach Frankfurt umziehen, der Bergmann aus Nordengland aber nicht ins Ruhrgebiet.

„Wir haben eine Spaltung der Gesellschaft in Modernisierungsgewinner und -verlierer“, erklärte Dirk Jörke, Politologieprofessor an der TU-Darmstadt, warum populistische Parteien im Aufwind seien. Sie besetzten Lücken. Konservative Parteien hätten sich zur Mitte orientiert und die sozialdemokratischen Kräfte einen „Neoliberalismus light“ übernommen. Die Wahl rechtspopulistischer Parteien sei eine Revolte der Globalisierungsgegner, diagnostizierte Jörke. „Rechtspopulistische Parteien sind die neuen Arbeiterparteien.“

Der Pädagoge Frank Stähler von der Gesellschaft für Gruppen- und Organisationsdynamik aus Köln warnte in der Debatte davor, Menschen auszugrenzen, und empfahl, ihre Sorgen ernst zu nehmen. Die jeweilige Wahrnehmung und Reaktion werde von aktuellen Bedürfnissen beeinflusst. Zu den Bedürfnissen gehörten Anerkennung, Zugehörigkeitsgefühl und Einflussmöglichkeiten. „Wenn ich diese Erfahrungen nicht mache, werde ich mich nicht mit dem System identifizieren, sagte Stähler. Die rund 180 Teilnehmer aus Darmstadt und Südhessen diskutierten dann in verschiedenen Workshops Themen wie „Populismus selber machen“ und versuchten, sich in die Situation hineinzuversetzen, wie sie eine populistische Bewegung aufziehen könnten. „Es kommt auf die Wortwahl an“, meinte einer. „Man bietet Lösungen für Alltagsprobleme an“, schlug ein anderer vor. „Das macht aber jede Partei“, wandte eine Frau ein, „es kommt auf die Themen an“.

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Im Workshop „Wie kann man politische Gefühle auslösen?“ zeigte sich, wie unterschiedlich Menschen reagieren. „Was wäre, wenn ich sagen würde: Bürgerrechte gibt es nur für Deutsche?“, fragte ein Mann. „Ich könnte sowas nicht ernstnehmen“, sagte ein Teilnehmer. „Bei mir löst das Aggressionen aus“, sagte ein anderer.

Im Resümee zu den Diskussionen stellte Pädagoge Frank Stähler fest, dass es vielen Teilnehmern schwergefallen sei, sich in die Rolle eines Populisten hineinzuversetzen: „Die Moral und die Überzeugungen waren sehr stark.“ Zum Thema „Populismus selber machen“ stellte Politologieprofessor Jörke fest, dass die Teilnehmer die populistische Arbeitsweise mit Punkten wie Angstthemen besetzen, Feindbilder erzeugen, einfache Lösungen anbieten und klare Positionen vertreten, gut erkannt hätten.

„Pulse of Europe“ hat auch die Europawahl am 26. Mai im Blick. „Das wird eine richtungsweisende Wahl“, sagt Jörg Mattutat von der Darmstädter Initiative.

Von Marc Wickel