Schauspiel, Tanz, Performance und Kunst: Das sechste Sprungturmfestival lockt vom 22. bis 26. August mit kostenlosem Zutritt am Woog, im 806qm und im Staatsarchiv.
Darmstadt. Schwierige Zeiten für die Kulturszene: Die Sonderförderung aus Zeiten der Pandemie fällt weg, die Inflation aber sorgt für deutlich steigende Kosten. Darauf muss auch das Leitungskollektiv des Sprungturmfestivals reagieren – und tut dies einerseits erwartbar, andererseits verblüffend.
Geld darf in der jetzigen Zeit kein Ausschlusskriterium sein.
Dass dieses von Stadt und Land geförderte Theaterfest in seiner sechsten Ausgabe mit weniger Künstlern und nur noch an einem statt an zwei Wochenenden gefeiert wird, ist naheliegend, wenn die Mittel knapp sind. Dass aber in solch einer Lage der Eintritt frei ist, überrascht wiederum.
„Geld darf in der jetzigen Zeit kein Ausschlusskriterium sein. Unser Grundpfeiler ist es, dass eine große Gemeinschaft zusammenkommt“, sagt Victor Schönrich, der das Festival 2015 mit dem 2017 tödlich verunglückten Regisseur Hanno Hener begründete. Vier Ausgaben gab es bislang im Hoffart-Theater, im Corona-Sommer 2020 wurde auf dem Gelände eines ehemaligen Busdepots ein Open-Air gefeiert. Und immer ging es mit einem Performance-Prolog am Sprungturm los. So soll es auch am Dienstag, 22. August, wieder sein. Doch anschließend wird das Festival vom 25. bis 26. August mit Schauspiel, Tanz, Performance und bildender Kunst erstmals auf den studentischen Bühnen des Asta-Zentrums 806qm gastieren. Einige Aufführungen wiederum sind vis-à-vis im klassizistischen Bau des Hessischen Staatsarchivs zu erleben.
Zu allen Programmpunkten ist der Eintritt kostenlos – die Reservierung von Freikarten wird empfohlen. Er kenne das selbst, dass er heute genauer prüfe als früher, was er sich kulturell leisten kann, sagt Victor Schönrich im Gespräch mit dieser Zeitung. „Ein bestimmtes Publikum über höhere Preise wegzuhalten, fände ich diskriminierend. Das Wichtigste aber ist doch, dass die Leute Kultur sehen können.“ Wem es gefallen hat, und wer es sich leisten kann, möge seinen Obolus in eine Spendenbox werfen. Was da reinkommt, sei zwar nicht entscheidend zur Finanzierung des Programms, es sichere aber die Büromiete der freien Gruppe Theaterquarantäne, die hinter dem Festival steht.
Gesucht: Stücke zu aktuellen Themen
„Wir hoffen auf die Kulanz und den Gemeinschaftssinn der Zuschauer“, sagt denn auch die Darmstädter Fachabiturientin Noé Queirard (18), die ihr Freiwilliges Soziales Jahr der Vorbereitung des Sprungturmfestivals gewidmet hat. Mit Bühnenbild, Design und Merchandising hat sie sich in dieser Zeit beschäftigt, dabei unter anderem Nähen gelernt und aus LKW-Planen, die es beim Festival 2021 brauchte, 50 Taschen mit Sprungturm-Logos gefertigt. Im Stück „Bollocks“ steht die junge Frau, die schon am Staatstheater zu sehen war, auch auf der Bühne. Die Gruppe Theaterquarantäne selbst steuert auch einen Beitrag bei.
Die anderen sieben Programmpunkte aber wurden aus rund hundert Bewerbungen ausgewählt. In einem „Open Call“ waren zuvor vor allem Schauspiel- und Kunsthochschulen angeschrieben worden, denn was das Sprungturmfestival zeigen will, sind „Stücke zu aktuellen Diskursen“, erklärt Koordinatorin Zazie Rothfuchs. „Es geht immer darum zu aktualisieren, zu schauen, warum etwas heute relevant ist.“ So finden sich Stücke zum Generationenkonflikt und zu den Folgen der Pandemie ebenso wie Arbeiten, in denen es um Migration und Rassismus geht.
Eröffnung ist am Dienstag, 22. August, um 20.30 Uhr am Großen Woog. Im Zeichen des Sprungturms zeigt die Gruppe Theaterquarantäne Szenen zum Festivalmotto „Rolling Dice“. Die rollenden Würfel stehen für „das Spiel des Lebens, den Umbruch und das Unplanbare“, das durch Pandemie und Krieg, Klimakrise und Inflation gerade besonders verunsichernd wirken mag, erläutert Victor Schönrich und verspricht einen leichten Umgang mit ernsten Themen.
Das Hauptprogramm steht dann von Donnerstag, 24. August, bis Samstag (26.) im 806qm und im Hessischen Staatsarchiv auf dem Plan. Hier die Übersicht.
„I put a spell on me“: Theatersolo, das den Weg zur Transperson „nicht als Tragödie einer verlorenen Seele im falschen Kproer“, sondern als magischen Prozess zeigt. (Donnerstag und Freitag, 18.30 Uhr, im 806qm)
Verbürgerlichter: Live-Hörspiel nach Musikmotiven der „Sex Pistols“ über Wut und Wokeness: Verbürgerlichter Alt-Punker regt sich darüber auf, dass ein junges Mädchen angesichts der schlechten Perspektiven ihrer Generation nicht zornig wird, sondern auf ein Miteinander setzt. (Donnerstag, 20 Uhr, 806 qm)
„Deep Fried State!“: Performer aus Göteborg unternehmen eine surreale Erkundung über den Einfluss sozialer Medien zwischen Clubkonzert, Stand-up-Comedy, Video, Theater und Philosophie. (Donnerstag und Freitag um 21.30 Uhr im 806 qm)
„El otro Lado“: Kollektiv aus Berlin verbindet politischen Aktivismus und Tanz, um eigene Erfahrungen mit Rassismus zu zeigen. (Freitag und Samstag, 18,30 Uhr, Eiche neben dem Welcome-Hotel)
„Ficksion“: Daouda Keita aus Montpellier gestaltet das Gefühl des Eingesperrtseins in der Pandemie als Tanzsolo. (Freitag und Samstag, 20 Uhr, 806 qm)
„8 Grad Nordost“: Dokumentarische Performance über Emigration aus Kuba. (Freitag, und Samstag, 20 Uhr, Staatsarchiv)
„Baraye“: Dokumentarisches Zwei-Personen-Stück über Unterdrückung im Iran. (Freitag und Samstag, 21.30 Uhr, Staatsarchiv)
Festivalkommentar: Performance von Steffen Link (Münchner Volkstheater) und Nehle Breer zum Festival-Motto „Rolling Dice“. (Samstag, 18.30 Uhr, 806 qm)
„Edward II“: Theaterquarantäne zeigt die Wiederaufnahme einer Produktion aus dem Vorjahr frei nach Christopher Marlowes Drama. (Samstag, 21.30 Uhr, 806 qm)
Ausstellung: Trevor Mitchell zeigt unter dem Titel „Electricity“ Fotos und Videos über die kreative Energie der Künstlerszene in Kapstadt.