Junge Filmszene: Dreh von "Chaos und Stille" in Darmstadt

Regisseur Anatol Schuster während einer Drehpause im Martinsviertel.

Anatol Schuster gestaltet derzeit eine neue Tragikomödie. Beim Besuch am Set im Martinsviertel zeigt sich, was die Stadt fürs Kino interessant macht.

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DARMSTADT. Die Bude ist gerammelt voll. 20 Leute drängen sich auf engstem Raum in Wohnzimmer und Diele. Vor dem Sofa steht ein Wagen, Dolly genannt, auf dem sich ein Kamerakran herumschieben lässt. Doch viel Platz ist hier gar nicht. Der Hausherr ist ins Hotel gezogen. Eine Filmcrew hat die Wohnung im Martinsviertel übernommen.

Regisseur Anatol Schuster während einer Drehpause im Martinsviertel. Foto: Guido Schiek
Film ab: Filmklappe für "Chaos und Stille".  Foto: Guido Schiek
Im Hof der Michaelsgemeinde arbeitet der Caterer an seiner Lastenrad-Küche. Foto: Guido Schiek
In einer Wohnung in der Mollerstraße wird eine Familien-Szene gedreht.  Foto: Guido Schiek

"Chaos und Stille" heißt der Kinofilm, den sie hier drehen. Und für diese Szene passt der Titel besonders gut, denn dem vermeintlichen Chaos am Filmset steht eine stille Szene gegenüber. Die Kamera blickt in eine Ecke am Fenster, wo Schauspielerin Maria Spanring mit dem einjährigen Filmkind Johanna spielt. "Jetzt einmal ein bisschen Ruhe", ruft der Aufnahmeleiter. "Wir drehen! Ton ab!", "Ton läuft", schallt es zurück. Und dann lässt Regisseur Anatol Schuster (Jahrgang 1985) die Kamera ungewöhnlich lange laufen.

Bis das kleine Mädchen sich darauf einlässt, mit der Hauptdarstellerin Topfschlagen zu spielen. Das ist perfekt. Schließlich spielt die Szene, die gerade in einem Haus an der Mollerstraße gedreht wird, in einer Musikerwohnung. Dort leben der Komponist Jean und seine Frau, die Konzertpianistin Helena. Eine Etage höher hat Geschäftsfrau Klara gerade ihre Wohnung geräumt, ihre Sachen verschenkt und ist aufs Dach gezogen. Aus dieser Situation entwickelt sich die satirische Tragikomödie "Chaos und Stille", die 2024 in die Kinos kommen soll.

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Citytunnel wird für Dreharbeiten gesperrt

Es ist der 18. Drehtag, als der Reporter zu Besuch kommt. Noch zwölf weitere Drehtage sind eingeplant. Das Team hat bereits in der Psychiatrie der Groß-Umstädter Kreiskliniken und im Darmstädter Staatstheater gedreht. Die Nachbarwohnung der Musikerfamilie ist im wirklichen Darmstadt das Penthouse auf dem Dach eines Hochhauses an der Ecke Eschollbrücker Straße/Heidelberger Straße. Die Szenen mit Protagonistin Sabine Timoteo sind bereits im Kasten.

Für den Berliner Regisseur sind die Dreharbeiten in Darmstadt eine Rückkehr. Schuster ist hier geboren, aufgewachsen, entdeckte im Rex seine Liebe fürs Kino, studierte schließlich Regie in München. Sein Kinodebüt "Frau Stern" stellte er 2019 auch im Kino seiner Jugend vor. Nun ist er zurück und freut sich darüber, welche Möglichkeiten Darmstadt fürs Kino bietet.

Die junge Firma Fourmat-Film ist als Kooperationspartner mit dabei. Absolventen vom Dieburger Mediencampus der Hochschule Darmstadt haben das Unternehmen 2017 gegründet. Jetzt sind sie zum ersten Mal mit einem Spielfilm im Geschäft, der auch einen Kunstfilm-Verleih hat. Dass durch den Mediencampus auch sonst viele junge Leute mit Lust auf Film in der Gegend sind, merkt Anatol Schuster auch an seiner Filmcrew: "Die Hälfte stammt aus Darmstadt!" Bemerkenswert für eine gar nicht so große Stadt, die keine Filmtradition besitzt. Doch die Rahmenbedingungen hier scheinen zu stimmen.

Die Kooperation mit der Stadt gestaltete sich von ersten Kontakten im Frühjahr an sehr unkompliziert, berichtet der Regisseur. Am Sonntag, 20. November, letzter Drehtag, wird fürs Filmteam sogar der Citytunnel gesperrt. Da drehen sie einen Verkehrsunfall - tagsüber. "Wurde uns so angeboten", erzählt Schuster. "Wir passen uns an."

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Motto: schonend und nachhaltig

Der Regisseur weiß ja, was es bedeutet, wenn der Film das echte Leben kapert: "Erfahrungen mit Dreharbeiten sind ja oft traumatisch. Crews hinterlassen verbrannte Erde." In Berlin, wo auch Hollywood gerne aufschlägt, sei die Begeisterung meist begrenzt, wenn das Kino Sturm klingelt. "Wir versuchen, behutsam mit unseren Motiven umzugehen", beteuert denn auch der Regisseur, der ohnehin auf "Mobilität und Spontaneität" setzt. Szenen, die er sich vor fünf Jahren ausdachte, sollen jetzt in einem kurzen Moment vor der Kamera lebendig werden. Um das zu schaffen, will sich Schuster ganz auf die Gegebenheiten vor Ort einlassen.

Hier ist also kein Filmteam unterwegs, das sich eine neue Welt baut. Darmstadt darf mitspielen, wie es daherkommt. Der Film will nicht stören. Gerade mal zwei Lastwagen parken beim Dreh an der Mollerstraße. Um die Ecke hat die Michaelsgemeinde einen Saal geöffnet, wo Kostüme und Kantine unterkommen. Vor der Tür bereitet ein Caterer auf einem speziellen Lastenrad Gemüse aus Trebur fürs Filmteam zu.

Wie sie kochen, wollen sie auch drehen - schonend und nachhaltig. Es sind stille Chaostage in Darmstadt. So kann das Kino gerne wiederkommen.