Initiative verlegt am Donnerstag Stolpersteine in Darmstadt
Elf "Stolpersteine" werden am Donnerstag auf Initiative des Darmstädter Arbeitskreises verlegt. Einer der Steine erinnert an den ermordeten jüdischen Schüler Josef Strauss.
Von Thomas Wolff
Lokalredakteur Darmstadt
Auch vor der Adresse Mathildenplatz 9 wird am Donnerstag ein Stolperstein verlegt. Hier lebte einst Familie Strauss.
(Foto: Torsten Boor)
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DARMSTADT - Der Mathildenplatz 9, keine markante Adresse im Bewusstsein der Darmstädter. Dass hier die Familie Strauss, seinerzeit geschätzte Bürger, lebten und ihren Kolonial- und Tabakwarenladen betrieben, darauf weist nichts mehr hin. Das soll sich am Donnerstag dieser Woche ändern. Ein Stein mit einem gravierten Messingdeckel wird dort ins Pflaster eingelassen: einer von elf "Stolpersteinen", die an diesem Tag verlegt werden, um an die Geschichte jüdischer Darmstädter zu erinnern. Wie die meisten ist es eine Geschichte, die in Vertreibung und Mord endet.
Seinen 18. Geburtstag hat Josef Strauss, Sohn einer Händlerfamilie, nicht erlebt. Nach der erzwungenen Flucht in die Niederlande deportierten ihn die Nationalsozialisten Anfang Juli 1942 nach Auschwitz. Der junge Mann mit der Häftlingsnummer 47614 kam am 16. August in dem mörderischen Lager ums Leben. Seine Sterbeurkunde nennt als Todesursache einen "akuten Magen-Darm-Katarrh". Die Geschichte des Josef Strauss hat der Darmstädter Michael Zimmermann, der im "Arbeitskreis Stolpersteine" mitarbeitet, durch Recherchen wieder ans Licht gebracht. Am Donnerstag wird sie erzählt.
Der Boykott jüdischer Geschäfte wirkt auch hier
Am 6. Oktober 1924 kommt Josef Strauss als Sohn von Henry Strauss und seiner Ehefrau Helene in der elterlichen Wohnung am Mathildenplatz 9 zur Welt. Er ist der jüngere der beiden Söhne, sein Bruder Samuel Stefan wurde am 22. Juni 1922 geboren. Beide wachsen in einer Familie auf, die sich sowohl in Kreisen der Kaufmannschaft als auch in der orthodoxen israelitischen Religionsgesellschaft höchster Wertschätzung erfreut.
EIN WEG DES ERINNERNS
Elf "Stolpersteine" werden am Donnerstag, 13. September, auf Initiative des Darmstädter Arbeitskreises verlegt, die Öffentlichkeit ist eingeladen. Um 13 Uhr ist Treffpunkt an der Grafenstraße 16, wo der Stein für Jenny Neustädter verlegt wird. Weitere Stationen sind die Adelungstraße 13, Rheinstraße 24, Kasinostraße 10, Mathildenplatz 9, Bismarckstraße 21 und Liebigstraße 15. Die Aktion wird bis etwa 16 Uhr gehen.
Einer der Steine ist der jüdischen Kindergärtnerin Jenny Neustädter gewidmet, die mit 47 Jahren von Darmstadt aus ins Lager Piaski deportiert wurde und dort ums Leben kam. Ihre Geschichte haben Schülerinnen der Bertolt-Brecht-Schule herausgefunden und aufgeschrieben. Sie werden die Aktion am Donnerstag begleiten, ebenso voraussichtlich Vertreter der Stadt und der christlich-jüdischen Gesellschaft.
Seit 1871 betreibt die Familie am Mathildenplatz ihren Handel mit Kolonial- und Tabakwaren. Während Vater Henry als Reisender unterwegs ist, versieht die Mutter den Innendienst, sie bestellt Waren, führt die Bücher. Der Umsatz beträgt rund 200 000 Reichsmark im Jahr.
Nach der Machtergreifung der Nazis und den Boykottaufrufen ab April 1933 geht der Umsatz laufend zurück. Die Straussens müssen ihre fünf Beschäftigten entlassen. 1938 kommt das Geschäft vollkommen zum Erliegen.
Josef besucht zunächst die die Ohlyschule, wechselt nach der dritten Klasse im April 1934 auf die neu gegründete orthodoxe jüdische Schule. Für eine höhere Ausbildung wird er als Jude nicht zugelassen.
Während der dreißiger Jahre dient das Haus am Mathildenplatz auch als letzte Station vor der Flucht nach Palästina für Helenes Geschwister. Auch der junge Josef Strauss versucht, aus Deutschland zu fliehen, sein Ziel sind die USA. Im September 1938 beantragt eine dortige Hilfsorganisation für ihn, zusammen mit fünf anderen Kindern, beim Konsulat ein Visum und reicht die erforderlichen Papiere ein. Aber auch ein Hinweis auf die Dringlichkeit des Falles kann die Flucht nicht beschleunigen. Als möglicher Einreisetermin wird das Jahr 1942 genannt.
Das Leben der Familie Strauss wird durch die Pogrome im November 1938 umgeworfen. Während im Haus alle Fenster zertrümmert werden und Helenes Mutter Frieda einen Herzanfall erleidet, nimmt man Vater Henry Strauss als "Aktionsjuden" am 10. November in "Schutzhaft" und verschleppt ihn nach Buchenwald. Nach zehn Tagen wird er wieder entlassen.
Eltern und Kindern gelingt in den folgenden Monaten die Flucht in die Niederlande. Während die Eltern und Bruder Stefan weiter nach Nord-Rhodesien fliehen, bleibt Josef mit der Hoffnung auf einen Kindertransport in die USA weiter in den Niederlanden. Er beginnt eine Ausbildung als Elektrotechniker. Aber dann besetzen die deutschen Truppen die Niederlande. Mehrfach muss Josef innerhalb von Amsterdam umziehen.
Anfang Juli 1942 werden Juden für den Transport in eine Arbeitseinrichtung unter polizeilicher Aufsicht in Deutschland zusammengetrieben. Der Transport geht kurz nach Mitternacht ab - Richtung Auschwitz. Diese Transporte werden in großer Eile angeordnet. Für den 17. Juli hat der Reichsführer SS, Heinrich Himmler, einen Besuch in Auschwitz angekündigt. Ihm will die Lagerleitung ihre industrielle Mord-Maschinerie vorführen. Tatsächlich erreichen die Transporte an diesem Tag ihr Ziel, und Himmler kann den Betrieb der Gaskammern inspizieren. Josef Strauss wird bei seiner Ankunft in Auschwitz für Zwangsarbeit selektiert. Er überlebt den mörderischen Lageralltag keinen Monat.