In Darmstadt steht ein Überbleibsel aus der Luftschiff-Ära
Darmstädter Geheimnisse: Das Parkhaus an der Landwehrstraße war einst eine Halle für Zeppeline. Sein Stahlgerippe wurde in den 1920er-Jahren von Ostpreußen nach Darmstadt gebracht.
Von Kerstin Schumacher
Lokalredakteurin Bergstraße
Die Südfassade hat vier große Tore, durch die einst die Eisenbahnwaggons in die Halle fuhren. Die runden Fenster mit den querstehenden Streben werden als Stilelement dem Expressionismus zugeordnet. Foto: Kerstin Schumacher
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DARMSTADT - Das wahrscheinlich schönste Parkhaus Darmstadts befindet sich in der Landwehrstraße. Seine wahre Pracht entfaltet sich allerdings erst, wenn sich der Besucher ein paar Minuten Zeit nimmt - auf Anhieb erkennt zumindest der Laie das Schmuckstück nicht. "Das Gebäude ist so schlicht, dass es kaum auffällt", bestätigt Petra Gotta von der Darmstädter Denkmalschutzbehörde.
Die Fachfrau lenkt die Aufmerksamkeit sogleich auf eine ganze Reihe an Besonderheiten, die den expressionistischen Bau aus rotem Klinker prägen. Da wären zum Beispiel Treppengiebel an den Schmalseiten und über den Risaliten oder die typische Reihung der Fenster in der Fassade mit den scharrierten Laibungen. Das Spiel mit den Klinkern gipfelt in einem gelungenen Kontrast zwischen dunklen Ziegeln und hellem Beton. Geht man um die Halle herum, so entdeckt man auf der Südseite runde Fenster mit querstehenden Streben, die als Stilelement ebenfalls dem Expressionismus zugeordnet werden. Zudem befinden sich dort vier riesige Öffnungen in der Fassade. "Das sind die ehemaligen Tore, durch die die Eisenbahnwaggons auf Gleisen in die Halle fuhren", verrät die Expertin. Und genau diese Öffnungen geben tiefen Einblick in die Geschichte des Gebäudes - das eben nicht immer ein Parkhaus war. Und die beginnt nicht in Darmstadt, sondern in Olsztyn (früher: Allenstein) im heutigen Polen.
Dort stand von 1914 bis 1921 eine riesige Halle, in der einst im Bau befindliche Zeppeline zum Schutz vor der Witterung untergebracht wurden. In den Jahren 1916/17 gab es mehr als 80 solcher Luftschiffhallen auf dem Gebiet des Deutschen Reiches. Die Allensteiner Halle war eine von 39, die den Ersten Weltkrieg (1914-1918) überstanden hatten. Und ebenjene Halle steht heute in Darmstadt. Wie es zu diesem verblüffenden Umzug kam, kann Petra Gotta ganz genau erklären. "Das lässt sich auf die Bestimmungen des Versailler Vertrages zurückführen." Nach Kriegsende mussten die Luftschiffhallen, da sie zuvor militärisch genutzt worden waren, entweder den Alliierten übergeben oder bis zum 15. Februar 1921 niedergelegt werden.
Darmstadts Gründerjahre
Weil die Alliierten keine Verwendung für die Allensteiner Halle hatten, wurde dieses Exemplar an die Bahnbedarf AG Rodberg verkauft. Und nun schließt sich der Kreis in Richtung Darmstadt. Denn diese AG war 1868 als Rodbergsche Kesselfabrik in Darmstadt gegründet worden, zu einer Zeit, als die industrielle Entwicklung der Stadt schon im Gange war: Während der sogenannten Gründerjahre von 1867 bis 1873 entstand in Darmstadt der Handelsverein, außerdem ging 1871 die Odenwaldbahn in Betrieb. Damit wurde das weite Hinterland erschlossen, was der Industrie viele neue Arbeitskräfte brachte - und Darmstadt einen sprunghaften Anstieg der Bevölkerung. Lag die Einwohnerzahl um 1800 noch bei überschaubaren 10.000 Bewohnern, die ihren Lebensunterhalt zu 90 Prozent beim Militär, im Handwerk und in der Landwirtschaft verdienten, lebten 1861 schon gut 32.500 Menschen in Darmstadt. 1871 war die Zahl der Darmstädter auf 41.000 Menschen gestiegen, bis zur Jahrhundertwende auf 72.300. Im Jahr 1907 erhöhte sich die Einwohnerzahl erneut auf dann fast 88.000 Menschen.
In der Residenzstadt siedelte sich vor allem Möbel- und Maschinenindustrie an. Die Unternehmen erschlossen ein Industriegebiet nordwestlich der Innenstadt. Auch die Bahnbedarf AG Rodberg kaufte an der Landwehrstraße 1918/19 ein 42.000 Quadratmeter großes Fabrikgelände, auf dem unter anderem Lokomotiven verschrottet und Eisenbahnwaggons repariert wurden. Und für genau diesen Betrieb konnte man die Allensteiner Halle ganz ausgezeichnet gebrauchen. Sie war hoch genug und durch die großen Tore passten nicht nur Zeppeline, sondern eben auch Waggons. Also wurde das Stahlgerippe der ehemaligen großen Zeppelinhalle kurzerhand ab- und bis zum Frühjahr 1923 innerhalb von anderthalb Jahren an der Landwehrstraße wieder aufgebaut, jedoch als zwei Hallen und wesentlich kleiner als das Original. "Die beiden Bauten hatten da aber immer noch Außenmaße von je 44 auf 90 Meter bei einer Höhe von 20 Metern", weiß Petra Gotta.
Neue Fassdae in Darmstadt
In Darmstadt bekamen die Hallen statt der ursprünglichen Wellblechfassade denn auch die nach Plänen des Architekten Jan Hubert Pinand (1888-1958) gestaltete Fassade mit expressionistischen Stilelementen. Pinand lehrte ab 1914 an der Landesbau- und der Gewerbeschule in Darmstadt, war aber auch als freier Architekt tätig. In den 1920er-Jahren baute er zahlreiche Wohnhäuser und einige Kirchen in Darmstadt, darunter die Liebfrauenkirche an der Orangerie. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Pinand auf den Lehrstuhl für Baukunst an der Technischen Hochschule Darmstadt berufen. Von 1947 bis 1949 war er dort Dekan der Architekturfakultät. Während seiner Karriere beschäftigte sich der Architekt außerdem intensiv mit Industriearchitektur.
In diese Phase fällt der Klinkerbau an der Landwehrstraße. "Das ist ein unheimlich stimmiges Gebäude, das trotz seiner Dimension nicht erdrückend wirkt", findet Petra Gotta. Dennoch muss man sich eins klar machen: "Übrig geblieben ist nur etwa ein Viertel der ursprünglichen Halle", verdeutlicht die Architektin die einst riesigen Ausmaße der Zeppelinhalle, in der die Rodberg AG später auch Masten und Gleise für die Heag herstellte. Während des Zweiten Weltkriegs war das Unternehmen übrigens auch in der Rüstungsproduktion tätig. In jenen Jahren, um 1940, erlebte es eine Blütezeit, rund 850 Menschen waren dort beschäftigt.
Doch in den folgenden Jahren ging es bergab. 1969 wurde das Unternehmen schließlich abgewickelt. In den 1970er-Jahren brach ein Feuer aus, eine der beiden Hallen brannte ab. "Die verbliebene Halle diente eine Weile als Getreidelager", erzählt Petra Gotta über den Fortgang der Geschichte. Seit 1986 steht der Bau unter Denkmalschutz, "aus künstlerischen und technischen Gründen", wie die Denkmalpflegerin betont. "Schließlich handelt es sich um eines der wenigen noch existierenden Überbleibsel der Luftschiff-Ära." Welche Nutzung der Bau erhalten sollte, war aber lange nicht klar. "Im Gespräch waren sowohl ein Atelier für Künstler als auch ein Hochregallager", erinnert sich Gotta. Doch daraus wurde nichts: 2001 entstand aus dem einstigen Parkhaus für Zeppeline schließlich ein Parkhaus für Autos.
Auch von innen betrachtet ist die Halle kein alltäglicher Bau. Die Eisenkonstruktion mit zum Teil geschwungenen Trägern lässt den Betrachter die Dimensionen des Originals erahnen. In luftiger Höhe wird das Dach durch eine Holzkonstruktion getragen, wobei oberhalb des höchsten Parkdecks noch ungewöhnlich viel Raum vorhanden ist. Die schlichte Holzdecke wird wiederum von Stahlträgern gestützt und ist an der Außenseite mit Bitumen abgedichtet. Petra Gotta weist auf eine weitere Besonderheit hin: Die steinerne Fassade nämlich steht unabhängig von der eigentlichen Eisenkonstruktion des Parkhauses. Somit ist die Anlage reversibel. "Man könnte aus dem Parkhaus jederzeit etwas anderes machen."
Dieser Artikel wurde ursprünglich am 02.12.2019 um 00:00 Uhr publiziert.