Immer mehr Frauen führen Vereine als Vorsitzende an

DARMSTADT - Eine Frau an der Spitze eines Sportvereins? "Ist doch eigentlich Männersache." Das hat sich auch Sonja von Keussler gesagt, als der Posten des Vorsitzenden beim TEC Darmstadt vakant war. Nun ist er zur Frauensache geworden: Seit zwei Monaten ist die dreifache Mutter und Betriebswirtin die erste Frau, die dem 1884 gegründeten Traditionsverein mit seinen 800 Mitgliedern vorsitzt. Bei Katja Hoschek war es ähnlich. Zunächst sei sie überrascht gewesen, als man sie als Nachfolgerin des scheidenden ASC-Vorsitzenden vorschlug. Doch dann habe sie die Aufgabe gereizt, "ich habe gespürt, dass ich unterstützt werde und Ja gesagt." Seit knapp zwei Jahren leitet die zweifache Mutter und Bauzeichnerin nun den 700 Mitglieder starken Leichtathletikverein.

Noch immer ist es eine Ausnahme, dass Frauen einem Sportverein vorsitzen. Zwar sind sie oft als Schriftführerin oder in der Jugendarbeit aktiv - den Vorstandsposten haben sie eher selten inne. In Darmstadt ist das bei rund 15 Prozent der 106 Vereine der Fall. "In 16 Vereinen ist der Vorstand weiblich", sagt der Darmstädter Sportberater Ralf-Rainer Klatt. Tendenz steigend.

Hessenweit sieht es ähnlich aus, sagt Isabell Boger, Pressereferentin des Landessportbundes (LSB) in Frankfurt. "Von allen Sportvereinen unter dem Dach des LSB Hessen sind 84,4 Prozent der Vorsitzenden männlich, 15,6 Prozent weiblich." In Zahlen ausgedrückt bedeutet das: Von den rund 7800 hessischen Vereinen haben 6175 männliche und 1141 weibliche Vorsitzende, bei 303 Vereinen fehlen die Daten.

Frauen sind aktiv im operativen Geschäft

Anders sieht es hingegen bei den Sportkreisen und Fachverbänden aus: Keiner der 23 Sportkreise wird von einer Frau geführt, bei den 58 Fachverbänden gibt es neun Frauen an der Spitze. "Allerdings ist der Frauenanteil in den kompletten Präsidien beziehungsweise Vorständen meist deutlich höher", so Boger.

Wer selbst Mitglied in einem Verein und bei den turnusgemäßen Sitzungen dabei ist, weiß, dass Frauen zwar nicht unbedingt das Wort führen, im operativen Geschäft aber oft sehr aktiv sind. Damit ist nicht nur die Organisation der Kuchentheke für das heimische Fußballturnier gemeint oder die Planung der Fahrer für das Hockeyspiel in 100 Kilometer Entfernung. Viele Frauen kümmern sich um die Buchhaltung, werben Spenden ein, sind als Sport- oder Jugendwartin aktiv oder als Übungsleiterin.

So stieg auch Katja Hoschek in die Vereinsarbeit ein. Die sportlichen Kinder wollten bewegt werden, also waren sie schon als Bambini beim ASC im Bürgerpark mit dabei. Da die Mutter, selbst Sportlerin, sowieso auf der Anlage war, sei sie peu à peu in den Job als Trainerin "reingeschlittert", sagt die 45-Jährige. "Und inzwischen ist die U 10 mein Herzblut."

Ähnlich war die Situation bei Sonja von Keussler. Vor 20 Jahren kam die gebürtige Berlinerin über ihren Mann zum TEC, wo dessen Familie seit Jahrzehnten Tennis spielt. Auch sie fing damit an, engagierte sich später, als die Kinder Mannschaft spielten, in der Jugendarbeit, und übernahm dann fließend das Amt des Jugendwarts von ihrem Mann. Ihn hatte sie bis dahin nicht nur bei seinem Vorstandsjob unterstützt, sondern auch beim Aufbau der inzwischen bundesweit bekannten Benefizaktion "Du musst kämpfen": einem Projekt zur Unterstützung von krebskranken Kindern, die ihre Wurzeln im Verein des vor drei Jahren verstorbenen Jonathan Heimes hat; er spielte beim TEC Tennis.

Beide Frauen sind von ihrem Vorstandsposten stark in Beschlag genommen. Für Sonja von Keussler ist es "mindestens ein Halbtagsjob". Sie sei täglich auf der Anlage, "und man ist immer Anlaufstelle und ständiger Ansprechpartner". Ähnlich sieht es bei Katja Hoschek aus. Am Anfang sei es enorm viel Arbeit gewesen, und die Vielfalt der Aufgaben habe sie zunächst "überrollt". Doch mit der Zeit werde es besser. "Und ich habe gelernt, dass man nicht alles sofort erledigen muss. Ich bin geduldiger geworden. Netzwerken, Sponsoren suchen, Wettkämpfe und Sitzungen koordinieren, Kontakte zu Trainern pflegen: "Das ist ja auch eine ganze Menge."

Beide profitieren von ihrem Netzwerk

Beide Frauen profitieren bei dem umfangreichen Job von ihrem funktionierenden Netzwerk, das sie sich als ehrenamtliche Helferinnen aufgebaut haben. "Frauen sind eben oft in der Ausführungsebene aktiv. Das kommt ihnen dann zugute, wenn sie eine Führungsposition übernehmen", sagt Isabell Boger. "Frauen sind entsprechend gut für einen Vorstandsposten gewappnet." Das sieht Ralf-Rainer Klatt, der auch LSB-Vizepräsident für Sportentwicklung ist, genauso.

Überhaupt begrüßt er die zunehmende Präsenz von Frauen im Vorstand. "Sie haben andere Kompetenzen: Sie sind Macherinnen, packen Themen direkt an und bringen Sachen auf den Punkt." Das hängt auch damit zusammen, dass sie im Verein häufiger präsent sind, sagt Katja Hoschek. "Da bekommt man unheimlich viel mit - und ist eben auch Ansprechpartner, wenn es irgendwo hakt oder Unstimmigkeiten gibt." Dieser niederschwellige Austausch ist auch für Sonja von Keussler wichtig. "Die Hemmschwelle auf der Anlage ist viel geringer." Dort könne man Problem direkt loswerden - "und wir können direkt reagieren."

All das soll nicht heißen, dass Frauen die besseren Vorsitzenden sind und Männer aus den Vorständen von Sportvereinen verdrängt werden sollen. "Männer und Frauen führen einfach anders. Deswegen ist eine ausgeglichene Mischung auf der Führungsebene ideal", so die Meinung von Isabell Boger. Das sehen Hoschek und von Keussler genauso. Keine von beiden hat übrigens bislang eine abfällige Bemerkung zu ihrer Position im Verein gehört, im Gegenteil. "Ich spüre flächendeckend Unterstützung, von Männern genauso wie von Frauen", sagt Sonja von Keussler. "Unterm Strich haben wir ja auch alle das gleiche Ziel: Sport treiben und uns im Verein wohlfühlen."