Als Kämmerer André Schellenberg Anfang Mai verkünden musste, dass im städtischen Haushalt 2017 ein Loch von 52 Millionen Euro klafft, sparte er nicht mit Hinweisen darauf,...
DARMSTADT. "Deutlicher Einbruch bei der Gewerbesteuer", "für uns alle sehr überraschend", "atypische Entwicklung gegen den Trend": Als Kämmerer André Schellenberg Anfang Mai verkünden musste, dass im städtischen Haushalt 2017 ein Loch von 52 Millionen Euro klafft, sparte er nicht mit Hinweisen darauf, dass diese Entwicklung unvorhersehbar gewesen sei.
Der CDU-Politiker betonte, dass er bei der Haushaltsaufstellung stets vorsichtig und konservativ die erwarteten Einnahmen kalkuliere. Erst Ende März habe er Hinweise eines großen Unternehmens (gemeint war Merck) erhalten, dass die Gewerbesteuer-Zahlungen deutlich niedriger ausfallen würden als prognostiziert. Vorherige Warnsignale habe es nicht gegeben.
Die These vom unvorhersehbaren Gewerbesteuer-Einbruch wurde auch von allen anderen politischen Kräften in Darmstadt übernommen. Aber hat es wirklich einen Einbruch gegeben? Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Darmstadt stellt diese Begrifflichkeit infrage. Hauptgeschäftsführer Dr. Uwe Vetterlein hat das Gewerbesteueraufkommen der vergangenen acht Jahre ausgewertet und kommt zu dem Schluss, dass sich trotz des "Einbruchs" die Einnahmen ziemlich genau in einem Bereich bewegen, der nach den Erfahrungen seit 2009 zu erwarten gewesen wäre.
So hat die Stadt Darmstadt gemäß ihrer eigenen Meldung an das Statistische Landesamt im Jahr 2015 knapp unter 130 Millionen Euro Gewerbesteuer eingenommen. Im Folgejahr gab es eine überaus kräftige Zunahme auf rund 190 Millionen Euro - ein Plus von über 60 Millionen auf den mit Abstand höchsten bislang erzielten Wert.
Für 2017 setzte Schellenberg 212 Millionen Euro an Gewerbesteuern an. Entsprechend wurde der Haushalt aufgestellt. Von diesem Wert musste der Kämmerer nun um 52 Millionen zurückgehen - das Ergebnis ist immer noch der zweithöchste Gewerbesteuer-Ertrag der Darmstädter Geschichte.
Sieht so ein "Einbruch" aus? "Vom höchsten Punkt, den ich jemals hatte, nochmals mehr als zehn Prozent draufzuschlagen", sagt Vetterlein, "das kann man nicht konservativ nennen."
Tatsächlich hatte es in den Vorjahren nach Einnahmezuwächsen bei der Gewerbesteuer regelmäßig wieder deutlich schwächere Ergebnisse gegeben - so in den Jahren 2011, 2013 und 2015.
Vetterlein verweist auf die Erfahrungen der IHK mit Merck. Im vorigen Dezember habe man erfahren, dass der Konzern eine große Summe an Steuern nachzahlen müsse - erfreulich auch für die IHK, deren Beträge sich an der Gewerbesteuer bemessen. Merck hatte wegen der Übernahme des US-Laborausrüsters Sigma-Aldrich einen Umsatzsprung gemacht.
Man habe daraufhin beim Konzern nachgefragt, ob die höheren Zahlungen dauerhaft zu erwarten seien ober ob es sich um einen Einmaleffekt handle, berichtet Vetterlein. Die Antwort des Unternehmens: Die zweite Annahme sei zutreffend.
Die IHK macht noch eine zweite Rechnung auf: Sie hat die durchschnittlichen Gewerbesteuer-Einnahmen hessischer Großstädte von 2012 bis 2016 berechnet und die Mittelwerte mit den Etatansätzen für 2017 verglichen. Ergebnis: Wiesbaden plante mit wenig mehr als diesem Mittelwert, Frankfurt und Offenbach lagen rund 15 Prozent darüber - und Darmstadt um stolze 45,5 Prozent.
"Dies ist keine seriöse Methode der Steuerschätzung", sagt Stadtkämmerer Schellenberg zu diesem Vergleich. "Es gibt nur eine seriöse Profi-Organisation, die Steuereinnahmen schätzt. Und das ist der Arbeitskreis Steuerschätzungen."
Die Empfehlung des Arbeitskreises für hessische Kämmerer sei gewesen, mit Gewerbesteuer-Mehreinnahmen von 6,5 Prozent gegenüber 2016 zu kalkulieren, sagt Schellenberg. Er sei vorsichtig gewesen und habe nur sechs Prozent Zuwachs zugrunde gelegt.
Damit kommt man allerdings nicht von rund 190 auf 212 Millionen Euro. Das räumt der Kämmerer ein. Zum Zeitpunkt der Haushaltsaufstellung habe man allerdings noch Einnahmen von 200 Millionen für das Jahr 2016 erwartet. So sei der Wert zustande gekommen.
"2016 war in der Tat sehr gut", sagt der CDU-Politiker. "Aber wir hatten keinerlei Anzeichen, dass dies ein Ausnahmejahr war. Es gab auch keine Vorwarnung eines großen Unternehmens. In diesem Fall richte ich mich nach der Empfehlung des Arbeitskreises."