Zwischen den Jahren haben die Essensretter der Foodsharing-Gruppe alle Hände voll zu tun. In ganz Darmstadt fahren sie Lebensmittelbetriebe an, um noch verwertbare Nahrung...
DARMSTADT. Mit flinken Fingern sortieren Mirijam und ihre Schwester Sarah Lederer kistenweise Orangen, Mandarinen, Bananen, Salate und Kürbisse. Die beiden Schwestern sind "Foodsaver", sie retten Lebensmittel, die aus den Regalen und Kühltheken der Supermärkte aussortiert wurden, weil sie nicht mehr frisch genug sind oder das Haltbarkeitsdatum überschritten wurde. Sie fahren Supermärkte, Bäckereien und auch Kantinen an, um gute Lebensmittel vor der Tonne zu retten. In Darmstadt kooperieren insgesamt über 130 Betriebe mit den ehrenamtlichen Essensrettern. Besonders zwischen den Jahren fällt für Mirijam, Sarah und ihre Mitstreiter von Foodsharing Darmstadt viel Arbeit an.
Auf ihrer Tour am Tag nach Weihnachten liegt auch der Tegut-Markt in der Innenstadt, wo die beiden Schwestern bereits erwartet werden. Seit knapp einem Jahr hat der Markt eine offizielle Kooperation mit der Foodsharing-Gruppe in Darmstadt, die Zusammenarbeit läuft gut. Klaus Reidelbach ist Eigentümer des Lebensmittelmarktes und froh, dass es Gruppen gibt, die die aussortierte Ware abholen und so vor dem Wegwerfen bewahren. Als "Nutznießer unserer Fehlbestellungen" bezeichnet er die Essensretter scherzhaft. Der 58 Jahre alte Markteigentümer ist seit 40 Jahren im Geschäft und weiß, dass es trotz bedarfsgerechter Warenbestellung immer Reste gibt, die nicht verkauft werden. "Eine genaue Kalkulation ist nicht möglich." Und bevor eben diese Reste weggeworfen werden, kommen Ehrenamtliche und holen die Lebensmittel ab.
Sortiert werden die Lebensmittel noch im Lager des Marktes
"Bevor das alles in der Tonne landet, ist das eine gute Sache", findet ein Mitarbeiter der Tegut-Filiale. Im Kühlhaus haben er und seine Kollegen einen ganzen Wagen voll mit Obst, Gemüse, Joghurt und Wurst bereitgestellt, den Mirijam und Sarah "retten" dürfen. Aussortiert wird noch im Lager des Marktes. "Wir nehmen nur Lebensmittel mit, die noch genießbar sind", erklärt Foodsaverin Mirijam. Dabei achten die 23 und 21 Jahre alten Schwestern darauf, welcher Haltbarkeitshinweis auf verderbliche Lebensmittel aufgedruckt ist. Denn während man Dinge wie Joghurt, die ein Mindesthaltbarkeitsdatum haben, in der Regel auch nach dessen Überschreitung verzehren kann, sollte man Lebensmittel mit Verbrauchsdatum, meist Fisch oder geschnittener Salat, nach der Überschreitung besser entsorgen. Zu hoch ist die Gefahr, dass die Lebensmittel nicht mehr genießbar sind. Ähnliches gilt bei Obst und Gemüse. Was verschimmelt oder verfault ist, wandert in den Müll, alles andere nehmen die Schwestern mit.
Dass es gerade zwischen den Jahren so viel zu tun gibt, hat zwei Gründe. Zum einen seien die Regale der Lebensmittelmärkte um diese Zeit besonders prall gefüllt, sagt Mirijam, weil die Kunden vor den Feiertagen viel kaufen. Dadurch bleibt natürlich auch viel übrig. Zum anderen holt die Tafel zwischen den Jahren keine Lebensmittel ab, weshalb die Foodsharer deren Touren ersatzweise übernehmen und die Lebensmittel weitergeben. Den Rest des Jahres holt die Tafel unter der Woche Lebensmittel ab, während die Foodsharer eher am Wochenende unterwegs sind. So kommen sich die beiden Gruppen nicht ins Gehege.
Für Mirijam und Sarah geht es nach dem Stopp bei Tegut weiter an den Riegerplatz, wo die Gruppe zwischen den Jahren einen Stand betreibt und die geretteten Lebensmittel "weiterfairteilt" wie es im Foodsharing-Jargon heißt. Rund um den Pavillon auf dem Platz im Martinsviertel herrscht bereits am späten Vormittag reger Betrieb. Menschen drängen sich um die aufgebauten Tische, inspizieren das Angebot und packen ein, was sie gebrauchen können. "Schön fair, am besten jeder einen", ruft eine Freiwillige den Wartenden zu, als sie eine Kiste mit Joghurtbechern auf den Tisch stellt. Das Publikum rund um den Stand ist bunt gemischt, Alte und Junge sind gekommen, solche, die womöglich auf Angebote wie dieses angewiesen sind, und solche, die aus Überzeugung gerettete Lebensmittel nutzen. "Bis 22 Uhr wollen die Leute alles haben, und gleichzeitig wird viel weggeschmissen", meint eine Studentin, die Lebensmittel abholen möchte. Da sei es toll, dass sich Supermärkte auf ein solches Arrangement einlassen. Ähnlich sieht es eine weitere Passantin, die das Angebot der Foodsharing-Gruppe erstmals nutzt. Es sei "eine Schande", was an Lebensmitteln weggeworfen werde, daher sei es fantastisch, dass es solche Angebote gebe, meint die Frau.
Foodsharing in Darmstadt gibt es seit sechs Jahren. Was damals mit fünf Menschen begann, ist inzwischen ein eingetragener Verein mit über 400 sogenannten Foodsavern. Seitdem wurden offiziell 530 000 Kilogramm Lebensmittel gerettet - die Weihnachtsaktionen nicht mitgezählt. Den Ehrenamtlichen geht es darum, sich gegen Lebensmittelverschwendung einzusetzen, daher richten sich die Verteilaktionen ganz bewusst an alle Darmstädter und nicht nur an Bedürftige. Das Angebot werde sehr gut angenommen, sagt Foodsaverin Conny Eroina, Darmstadt sei sehr offen für solche Projekte. Eroina ist eine von fünf Darmstädtern, die die Foodsharing-Gruppe einst ins Leben gerufen haben.
Obwohl der Gedanke der Foodsharing-Bewegung mittlerweile einer breiten Masse bekannt ist, kommen 60 Prozent aller weggeschmissenen Lebensmittel aus Privathaushalten, wie Mirijam Lederer sagt. Das sind laut dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft pro Kopf und Jahr mindestens 55 Kilo, vieles davon originalverpackt und ungenutzt. Auch Einzelhändler Klaus Reidelbach findet, es sei "absoluter Wahnsinn", welche Ansprüche so mancher Kunde an die Ware habe. Dass Obst und Gemüse zum Verkauf in einwandfreiem Zustand sein müsse, sei selbstverständlich, so der Markteigentümer, aber dass manche Menschen so wählerisch seien, dass sie eine gerade Salatgurke einer krummen vorziehen, findet er nur bedingt nachvollziehbar. "Das ist Einstellungssache. Die Kunden wollen für ihr Geld eben bestmögliche Ware haben."
Umso besser, wenn es Menschen gibt, die sich an der Form oder anderen kleinen Makeln der frischen Lebensmittel nicht stören und diese noch verwenden, wie es die Foodsharer machen. Mirijam Lederer würde sich jedenfalls wünschen, dass die Menschen nachhaltiger leben und das Bewusstsein für Lebensmittelverschwendung größer wird. Bis dahin gibt es allerdings noch viel Arbeit für die Darmstädter Foodsharing-Gruppe um Conny Eroina und Sarah und Mirijam Lederer.