Erstmals hielt der Leiter der Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt eine Sprechstunde ab. Diese soll helfen, die Nutzbedürfnisse im Blick zu behalten.
DARMSTADT. Sich kümmern – diese Maxime gilt für Thomas Stäcker im analogen wie im digitalen Zeitalter. „Es sind sicherlich mehr Bücher durch Verwahrlosung als durch Bibliotheksbrände verloren gegangen“, ist der vor einem Jahr zum Direktor der Universitäts- und Landesbibliothek (ULB) ernannte Professor überzeugt. Kümmern muss sich Stäcker seit seinem Amtsantritt in Darmstadt um fast fünf Millionen gedruckte Werke, rund 200 000 Mikromaterialien sowie hunderttausende audiovisuelle und elektronische Medien, die das Wissen aus Vergangenheit und Gegenwart für die Zukunft bewahren. Kümmern muss sich Stäcker auch um die Weiterentwicklung des 2012 fertig gestellten Bibliotheksneubaus und die jährlich rund 1,3 Millionen Besucher.
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Eine monatliche offene Sprechstunde, die Stäcker jetzt erstmals in der Cafeteria „Lesbar“ anbot, soll helfen, die Nutzerbedürfnisse im Blick zu behalten: „Ich will selbst unser Klientel kennenlernen und wissen, welche Themen sie umtreiben.“
Papier zersetzt sich, Mikrofilme verblassen
Diese Möglichkeit beim Schopf gepackt hat Philosophiestudent Leopold Jarolimek. Er will wissen, ob Bibliotheken bedingt durch die Digitalisierung in Zukunft überhaupt noch eine Existenzberechtigung haben? Wissen lässt sich schließlich immer leichter von jedem x-beliebigen Ort aus abrufen.
Für Thomas Stäcker, der als Pionier der Digitalisierung des deutschen Bibliothekswesens gilt und an der Fachhochschule Potsdam einen Lehrauftrag zu „Digital Humanities“ wahrnimmt, steht das außer Frage: „Natürlich sind digitale Sammlungen nicht mehr ortsgebunden. Die Bibliothek der Zukunft wird deshalb nicht mehr von einer Sammlung in einem Gebäude abhängig sein. Aber als wissenschaftlicher und kultureller Ort wird sie bleiben.“ Schließlich: Trotz Digitalisierung verzeichnet die ULB so viele Besucher wie nie zuvor.
Zudem: Bei der Digitalisierung von Altbeständen sei noch viel Arbeit zu bewältigen: „Dabei dürfen wir nicht dabei stehen bleiben, Werke auf ein elektronisches Medium zu überführen, sondern müssen Texte durchsuchbar machen.“ Die Gefahr, dass elektronisch gespeichertes Wissen bedingt durch zukünftige Formatänderungen irgendwann nicht mehr lesbar sind, sieht Stäcker nicht: Digitale Inhalte seien längst nicht mehr Träger- basiert. „Der Träger wird gleichgültig.“ Stäcker erinnert an sich zersetzendes Papier und verblassende Mikrofilmaufnahmen und resümiert: „Auf der Bitstream-Ebene ist die Digitalisierung auf lange Sicht die sicherste Aufbewahrungsmethode.“
Handlungsbedarf sieht Stäcker zudem in einer Intensivierung der Kulturarbeit, für die verstärkt mit dem benachbarten Landesmuseum und dem Hessischen Staatsarchiv kooperiert werden soll: „Auch wenn die ULB hauptsächlich von Studenten frequentiert wird, sind wir doch auch Landesbibliothek. Wir wollen unseren Beitrag zum kulturellen Erbe, zur Wissensbewahrung und -vermittlung stärker in die Öffentlichkeit bringen.“ Immerhin besitzt die ULB mit rund 14 000 Handschriften und 2000 Inkunabeln einen wertvollen historischen Bestand, darunter die zum Welterbe gehörende Goldene Bulle Kaiser Karls IV.
Thomas Stäcker und Leopold Jarolimek kommen nicht erst bei diesem Punkt auf das Universitätsgebäude selbst zu sprechen. Dies sei zu sehr auf den TU-Campus ausgerichtet, nach außen zu wenig präsent. „Das kann man mit einer guten Beschilderung verbessern“, hofft Thomas Stäcker. Schade finden beide, dass die Ausstellungsflächen im Untergeschoss zu abseits liegen, um von den Besuchern wahrgenommen zu werden. Doch gerade solche organisatorischen und technischen Aspekte bestimmen die Aufenthaltsqualität in der ULB wesentlich mit.
Leopold Jarolimek bemängelt Engpässe bei den Garderobenschränken, den durch die offene Bauweise bedingten hohen Lärmpegel und störungsanfällige Aufzüge. Positiv hebt er dagegen hervor, dass seit einiger Zeit Taschen und Mäntel mit in die Lesesäle genommen werden können. „Damit haben wir die Situation beim Nadelöhr Garderobe wesentlich entspannt“, berichtet Thomas Stäcker. An der Lösung technischer Probleme werde kontinuierlich gearbeitet. Gerade erst sei die komplette Klimaanlage ausgetauscht worden. Überlegt werde zudem, den Durchgangsverkehr am Eingang durch Glaswände vom Bibliotheksbereich zu trennen. Durch die jüngst eingeführte Selbstverbuchung bei Ausleihe und Rückgabe habe man größere Spielräume bei Personaleinsatz und Flächennutzung. Angedacht sei beispielsweise eine Lounge im ersten Stock. Stäckers Ziel dabei: „Wir wollen kreativ mit dem Platz umgehen, um die Lernatmosphäre positiv weiter zu entwickeln.“
Der Artikel wurde am 12. November 2018 aktualisiert.