Graue Fabrikwelten und Blechstühle

Eine „Schäme Dich nicht“-Skulptur mit mehr als 550 Stofftieren zeigt Eva Floeth, hier mit ihrer Kommilitonin Viktoria Kahle, bei der Werkschau der Hochschule Darmstadt. Foto: Andreas Kelm Foto: Andreas Kelm
DARMSTADT - Ein Althippie entspannt sich Pfeife rauchend auf einem verwitterten Schaukelstuhl und schaut in die karge Landschaft, über sein Gesicht hat sich das orangerote Glühen des Sonnenuntergangs gelegt. Ein junger Kerl posiert breitbeinig auf dem Dach eines schrottreifen Pickups wie einer der Marodeure in dem Actionfilm „Mad Max“. Eine junge Frau hat sich bis aufs Höschen entkleidet und schaut offen in die Kamera.
Man bleibt direkt hängen an den Fotografien von Hella Kühner gleich im Eingangsbereich des Fachbereichs Gestaltung der Hochschule Darmstadt, wo seit vergangenen Freitag die Sommerdiplome ausgestellt sind. Es sind markante Typen und Freaks mit jeder Menge Piercings und Tattoos, die die 25 Jahre alte Kommunikationsdesignstudentin da in der kalifornischen Wüste abgelichtet hat – vereint unter dem vermeintlich widersprüchlichen Titel „Desert Paradise“ (Wüsten-Paradies).
Drei Monate in einer Geisterstadt
Die junge Fotografin hat einiges auf sich genommen für diese Aufnahmen. Drei Monate lang hat sie bei Aussteigern in einer Künstlerkolonie und Geisterstadt gewohnt unter kargen Bedingungen: Bis zu 45 Grad Hitze, nur alle vier Tage kurz duschen können, kaum Infrastruktur. Doch inmitten dieser Tristesse habe sie Menschen kennengelernt, die eine eigene Version von Freiheit leben. Und mitgenommen hat sie davon nicht nur ausdrucksstarke Fotos: „Man lernt zu schätzen, dass man nicht viel im Leben braucht.“
ÖFFNUNGSZEITEN
Die Ausstellung ist noch bis Dienstag, 19. Juli, im Fachbereich Gestaltung der Hochschule Darmstadt auf der Mathildenhöhe (Olbrichweg 10) zu sehen. Öffnungszeiten 12 bis 18 Uhr, Eintritt frei. (lex)
Das ist nur eine von vielen Geschichten, die die vielfältigen 60 Diplomarbeiten erzählen: In dem Animationsfilm „Sisyphus“ entwirft Celestina Frese graue Fabrikwelten, in denen die Menschen roboterhaft agieren. Etienne Dietrich lädt mittels Markierungen auf dem Boden zu Grenzgängen zwischen persönlicher und Intimdistanz ein und Katharina Sprater zu einem Gang in einen Wald, den sie minimalistisch mit wenigen schwarzen Strichen oder Tupfen auf Papier gezeichnet hat.
Dem gegenüber stehen die weniger geschichtsträchtigen, aber um so praktikableren Arbeiten der Industriedesigner: Marie Zippel und Mira Barnikol haben einen E-Transportroller kreiert für moderne, urbane Lieferdienste. Max Vytvar glänzt mit einer gesundheitsfördernden Toilettenschüssel, bei der der Nutzer mittels Trittbügel die Beine hochstellen und sich so in einen beckenbodenfreundlicheren Hocksitz begeben kann.
Und Lucas Fabers Blechstühle lassen sich dank eines Formverfahrens aus der Autoindustrie besonders günstig produzieren. Beim Fotoshooting fällt zwar unverhofft eine Lehne ab. Doch der Siebenundzwanzigjährige versichert: „Das ist jetzt nur verklebt, ich werde das nachträglich verschweißen, und dann hält’s.“ Und dann wolle er auf jeden Fall auf Herstellersuche gehen. Ein Kinderspiel ist die Sache im Fall von Sarah Höfle. Die 24 Jahre junge Darmstädterin hat ein Stadtplanspiel entworfen, bei dem Kinder Orte in Seeheim-Jugenheim aufsuchen müssen, dabei die Umgebung erkunden und ein Gefühl für Distanzen entwickeln. Umgesetzt ist das mit viel Liebe zum Detail und zeichnerischer Handarbeit. Beim Nähen des Verpackungsrucksäckchens, verrät Sarah, hat die Oma geholfen.
Und wurde dafür vom Professor gelobt, wie der stolze Opa Willi Marcinkowski einwirft und mit Nachdruck ergänzt: „Bei aller Qualität der Arbeit muss man aber auch bemerken, dass der Opa viel dazu beigetragen hat.“ Kräftiges Augenzwinkern, dann geht der Satz weiter: „Er hat auf der Couch rumgelegen und war nicht im Weg, damit die Enkelin produktiv arbeiten kann.“