Der „Vinyl Bus“ macht Halt in Darmstadt mit 4000 LPs an Bord. Wer hier stöbert, weiß, warum.
DARMSTADT. Ein knallgelber amerikanischer Schulbus steht in der Grafenstraße. Davor warten sechs teilweise ältere Herren darauf, einsteigen zu dürfen. Das Fahrzeug ist der „Vinyl-Bus“, und in dem stöbern schon rund ein Dutzend Plattensammler nach alten und neuen Langspielplatten.
„Jetzt kann einer rein“, ruft Michael Lohrmann. Ein Käufer mit einer LP und einer Kamera um den Hals klettert aus dem Bus und die Schlange wird etwas kürzer. Die Platte des Käufers ist analog, die Kamera sieht nur auf den ersten Blick analog aus, es ist eine digitale von Fujifilm. „Die meiste Musik, die mich interessiert, ist aus der Zeit des Vinyls“, erklärt der junge Mann. Aber er habe auch CDs mit den Sachen, die in den 90ern erscheinen seien, sagt er. Die Langspielplatte, die er im Bus für sich entdeckt hat, ist von Rufus Thomas. „Das ist großartige Tanz- und Funk-Musik“, sagt er.
Michael Lohrmann gehört der Vinyl-Bus, mit dem er zurzeit auf Tournee ist. Den Bus hatte der Dortmunder ein Jahr lang umgebaut und sich dann damit ab 2019 auf Touren durch Nordrhein-Westfalen und dann auch durch ganz Deutschland gemacht. Die Grundlage für die 4000 Langspielplatten, die er im Bus hat, bilden seine schon vor Jahren getätigten Aufkäufe. „Ich habe große Sammlungen aufgekauft und rund 30.000 Platten auf Lager“, sagt er. Und es kommen neue dazu, wie Anfang 2023 rund 4500 Jazz-LPs.
Michael Lohrmann war vor dem Vinyl-Bus Journalist, Gründer, Verleger und Herausgeber von Musik-Magazinen und dem Interviewmagazin „Galore“. Da er nicht stationär Platten mit handeln wollte, entwickelte er die Idee mit dem Bus. Den US-Schulbus, der früher in Florida fuhr, hatte er bei einem Händler in Süddeutschland gefunden.
Alle Platten im Vinyl-Bus sind gewaschen. Platten waschen? Nass abspielen, das hat man schon in den 80ern gemacht, weiß Alexander von Oelsen von Fachgeschäft „Hifi-Profis“ in der Grafenstraße, das den Vinyl-Bus nach Darmstadt geholt hat. Wenn man die früher nass abgespielte Platten jetzt trocken hören wolle, müsse man sie waschen, erklärt er.
„Mit dem Vinyl-Revival wurden gebrauchte Schallplatten gefragter, ab da wurde auch Platten waschen interessanter“, erläutert Filialleiter von Oelsen.
Im Bus fündig geworden ist auch der 27 Jahre alte Maximilian Schunder. Er kam über seine Eltern zum Vinyl. „Weil das einfach ein anderes Hören ist“, findet er. Musik, die als Datei oder im Stream vorliegt, werde viel eher nur „durchgeskippt“ anstelle am Stück gehört. „Dass ein Album ein Konzept haben kann, war neu für mich“, berichtet der junge Mann, der sich im Bus unter anderem ein Album von Carlos Santana und Buddy Miles ausgesucht hat; eine 180-Gramm-Pressung. „Das ist ein Qualitätsmerkmal“, erläutert er: Etwas dickeres Vinyl ermöglichere tiefere Rillen.
„Ich habe Urlaub und mir die Zeit genommen“, sagt eine Frau, die in der Schlange steht. LPs haben einen eigenen Reiz für sie. „Wenn man zuhause auf dem Sofa sitzt, mit einer guten Flasche Wein – das ist noch was ganz anderes“, sagt sie übers LP-Hören. Zumal sie die Platten auch nicht nochmal als Dateien besitze.