Prozess um Giftanschlag an TU Darmstadt startet bald

Ort des Geschehens: In dem Gebäude der Materialwissenschaften an der TU Darmstadt haben sich die Geschädigten die Vergiftungen zugezogen.

Am 8. November startet am Landgericht das Sicherungsverfahren gegen die beschuldigte Mainzer Studentin. Es könnte ein Mammutverfahren werden, wie die lange Zeugenliste zeigt.

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Südhessen. Die Tat sorgte deutschlandweit für Aufsehen, nun beginnt die juristische Aufarbeitung: Ab dem 8. November muss sich eine 33 Jahre alte Mainzer Studentin vor dem Landgericht Darmstadt verantworten, die für sieben Vergiftungsfälle an der TU Darmstadt verantwortlich sein soll. Die als Sicherungsverfahren angelegte Verhandlung vor dem Schwurgericht dürfte ein Mammutprozess werden: Bis zu 150 Zeugen sind für mindestens 16 Verhandlungstage geladen.

Die Opulenz, mit der sich das Schwurgericht konfrontiert sieht, ist den besonderen Umständen des bislang bekannten Tathergangs geschuldet. Direkte Augenzeugen gibt es nicht, dafür eine Reihe an Gutachten und forensischen Auswertungen, die im Saal 213 gewürdigt werden müssen. Die Staatsanwaltschaft ist davon überzeugt, dass die damals 32 Jahre alte Studentin, die in dem Fachbereich Materialwissenschaften immatrikuliert war, in der Nacht zum 23. August 2021 in den Teeküchen des Gebäudes L2/01 an der Lichtwiese mehrere Lebensmittel mit einem Giftcocktail versah, so dass mehrere Angehörige der Universität Vergiftungserscheinungen davontrugen. In einem Fall schwebte ein 30 Jahre alter Mann in Lebensgefahr. Bleibende Schäden der Opfer sind nach Auskunft der Staatsanwaltschaft nicht bekannt.

Mainzerin leidet an Schizophrenie

Die Erkenntnisse, welche die bis zu 50-köpfige Mordkommission „Licht“ zutage förderte, sind durchaus als spektakulär einzuordnen. Zwar hatten die Ermittler die 32 Jahre alte Mainzerin schon seit September vergangenen Jahres auf dem Radar – weil aber erst alle anderen Varianten und Personen ausgeschlossen werden mussten, konnte Oberstaatsanwalt Robert Hartmann erst Ende März dieses Jahres den großen Durchbruch verkünden.

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Dabei wurden skurrile Details der Beschuldigten bekannt, die einem Gutachten zufolge an einer paranoiden Schizophrenie leidet und als nicht schuldfähig gilt. So hatte die als völlig unscheinbar beschriebene Studentin Abhandlungen über Gewaltfantasien auf ihrem Laptop zusammengetragen, Fotos von Namensschildern angefertigt, die von Fluren der Technischen Universität stammten, und sich von unbekannten Personen verfolgt gefühlt. Die Opfer – davon ist die Staatsanwaltschaft ebenso überzeugt – seien trotz einer Art „Liste“ der Beschuldigten zufällig gewesen. Da dies aber den Umstand der Heimtücke beinhaltet, legten sich die Behörden früh auf den Vorwurf des versuchten Mordes fest.

Besonders rätselhaft ist weiterhin, woher die Studentin die Substanzen zur Herstellung des Giftcocktails hatte und um welche Substanzen es sich genau handelte. „Die Benennung der Substanzen bleibt der Hauptverhandlung vorbehalten“, wiegelt der Pressesprecher der Staatsanwaltschaft, Ansgar Martinsohn, weitere Nachfragen den verwendeten Mitteln ab. Bekannt ist nach bisherigen Recherchen, dass ein Schloss innerhalb des Fachbereichs Chemie, der sich in unmittelbarer Nachbarschaft zum Gebäude L2/01 befindet, zeitweise defekt gewesen sein soll. Medienberichten nach soll es sich bei der Substanz um den Liquid-Ecstasy-Ersatz 1,4 Butandiol gehandelt haben.

Unter den 150 Zeugen sind auch Sachverständige

Das Sicherungsverfahren soll laut Landgericht mindestens bis zum 6. Februar 2023 andauern. Sollte bis dahin der Prozess immer noch nicht abgeschlossen sein, werden die Termine an jedem folgenden Mittwoch fortgesetzt. Der Begriff Sicherungsverfahren deutet bereits darauf hin, dass die Beschuldigte aus Sicht der Behörden schuldunfähig war, weshalb es an dem Schwurgericht rein technisch um die (unbefristete) Unterbringung in einer Klinik für forensische Psychiatrie gehen wird. Daher wird auch keine Anklageschrift, sondern eine Antragsschrift zur Eröffnung des Verfahrens verlesen.

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Nach wie vor hat sich die Mainzerin zu den Tatvorwürfen nicht eingelassen. Laut Staatsanwaltschaft war die Beschuldigte schon im Jahr 2020 bei einem früheren Arbeitgeber aufgefallen und habe spät abends ein Firmengelände aufgesucht. Dabei soll sie auf eine Polizeistreife einen „psychotischen Eindruck“ gemacht haben.

Wie Sprecher Martinsohn erläutert, zählen zu den beinahe 150 geladenen Zeugen auch Sachverständige aus den Bereichen Chemie, Toxikologie, Rechtsmedizin, DNA-Analytik und Psychiatrie. Aktuell sei die heute 33-Jährige in der Vitos-Klinik Haina untergebracht.

Das Bekanntwerden über die Giftanschläge an der TU hatte große Wellen geschlagen. OB Jochen Partsch sicherte den Angehörigen der TU die Solidarität der Stadtgesellschaft zu. Ebenso drückten weitere Universitäten wie aus Mainz ihr Mitgefühl aus. Infolge des Anschlags waren Studenten und Beschäftigte zeitweise aufgerufen, keine offen zugänglichen Lebensmittel zu sich zu nehmen.

Die eingesetzte Mordkommission „Licht“ war ebenso eine Premiere – dauerhaft war eine solche Kommission bislang nur in Frankfurt angesiedelt.