Geistreiche Sprüche erleuchten Darmstadt

Künstlerin Inna Wöllert vor der Lichtinstallation am Gebäude des Hochleistungsrechners der TU.   Foto: Andreas Kelm
© Andreas Kelm

Das Gebäude L5|08 auf dem Campus Lichtwiese beherbergt seit 2013 den Lichtenberg-Hochleistungsrechner der TU Darmstadt. Seit Mittwoch sind auf 96 blinkenden Bildschirmen...

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DARMSTADT. Was wohl Lichtenberg, der Spötter, dazu gesagt hätte? Auf 96 blinkenden Bildschirmen sind seine Aphorismen jetzt zu lesen, angebracht in großer Höhe an einer Fassade des Hochleistungsrechners der TU Darmstadt - wie schwebend über dem Wissenschaftsbetrieb an der Lichtwiese.

Am Mittwochmittag ging das große Flimmern los. Drinnen das Dröhnen der Computer, die die Gedankenspiele der Darmstädter Forscher nachrechnen; draußen das Flackern von Buchstaben - 24 Stunden Geistesblitze am laufenden Band: Doch, der Universalgelehrte Lichtenberg, glaubt die Künstlerin Inna Wöllert, "hätte seine Freude am Internet gehabt" wie auch an der rechnergestützten Darstellung seiner Worte.

Für einen "knapp sechsstelligen Betrag", sagt Kanzler Manfred Efinger, habe die TU das Werk bei der Darmstädter Künstlerin geordert. Die Installation sei "ein weiterer Mosaikstein" der Kunst am Bau, die an der Lichtwiese in den vergangenen Jahren entstanden ist - in Hörsälen, auf Vorplätzen, im Hochschul-Stadion. Rund eine halbe Million Euro habe das insgesamt gekostet. Wöllerts Arbeit sei "zunächst das letzte Kunstwerk - für einige Jahre".

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Historie und Gegenwart clever verbunden

Wöllert, die unter dem Künstlernamen Karwath+Todisko firmiert, hat vor abweisenden Gebäuden erst mal keine Furcht. Im Schutzbunker unter dem Karolinenplatz hatte sie schon 2013 gearbeitet - eine beklemmende Erfahrung. Dagegen ist ein Hochhaus voller Elektronik keine Drohkulisse. Zumal der Riesenrechner ja auf den sympathischen Namen "Lichtenberg" getauft ist.

Das hat Wöllert zweifach inspiriert, sagt sie. Der Philosoph und der Hochleistungsrechner seien die beiden "Ankerpunkte" für ihre Arbeit gewesen, erklärt sie. Die mehr als 200 Jahre alten Texte aus Lichtenbergs "Sudelbüchern" habe sie in einen zeitgenössischen Kontext stellen wollen.

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Und siehe, schon fand sich ein Dichterwort, das sich gut als Motto fügte. Es ist ein wenig länger: "Was mich allein angeht denke ich nur, was meine guten Freunde angeht sage ich ihnen, was nur ein kleines Publikum bekümmern kann schreibe ich, und was die Welt wissen soll, wird gedruckt. Wäre es möglich auf irgend eine andere Art mit ihr zu sprechen, daß das Zurücknehmen noch mehr stattfände, so wäre es gewiß dem Druck vorzuziehen." Klingt, als hätte der Philosoph sich schon in die digitale Zeit hineingewünscht. Das kann er nun haben.

Blick ins Innere lohnt

Lichtenbergs Sprüche ziehen mal in Großbuchbuchstaben über die Bildschirme, mal als reiner binärer Code - Tag und Nacht. Viele Texte seien darunter, die sich mit Forschung und Lehre befassen, sagt die Künstlerin. Zugegeben: "Es ist kein leichtes Lesen, sondern eines, das den Betrachter herausfordert." Und vielleicht kurz zum Verweilen anhält, hofft Wöllert. Dass es gelingen kann, dafür hat sie schon Belege.

Im Herbst lief ihre Installation schon mal im Testbetrieb. Da hätten Menschen, die zwischen den Gebäuden auf der Lichtwiese unterwegs waren, schon mal angehalten, den Kopf in den Nacken gelegt und versucht, dem Fluss der Leuchtbuchstaben einen Sinn abzuringen. Einmal habe eine freudig erregte Frau die Künstlerin abgepasst, erzählt diese, und den Spruch aufgesagt: "Wer nichts im Kopf verloren hat, kann auch nichts finden."

Lohnend ist aber auch allemal ein Blick ins Innere des Großrechenhirns der TU. "Da ist die Hölle los", sagt Kanzler Efinger. Wandhohe IBM-Rechner mir röhrenden Lüftern füllen die menschenleeren Hallen. Zehn hoch 15 Operationen pro Sekunde können sie ausführen, Fragen von Dutzenden Forschungsprojekten gleichzeitig bearbeiten.

Und doch: Die derzeit stärksten Rechner benötigen rund 40 Minuten, um eine Sekunde der menschlichen Hirnleistung zu simulieren. Geistesblitze funken halt deutlich schneller. Auch daran hätte der Internet-Fan Lichtenberg seinen Spaß.