
Das Fest der Kinder- und Jugendliteratur ist in Zeiten von Lernrückstand und Bildungslücke besonders wichtig. Am Montag 22. Mai geht’s in Darmstadt los.
Darmstadt. Huch, eine Studie: Jeder vierte Viertklässler kann nicht richtig lesen, lautet die aktuelle Alarmmeldung nach einer Untersuchung an Grundschulen in Deutschland. Unter den Zehnjährigen sei der Anteil der Schüler mit großen Leseschwierigkeiten „erschreckend hoch“. In Darmstadt setzen sie solchen Tendenzen seit 2011 ein Lesefestival für den Nachwuchs entgegen: Ab Montag, 22. Mai, heißt es nun zum zwölften Mal „Huch, ein Buch!“.
Der Titel der Literaturwoche muss selbst für leseschwache Kinder kein Anlass zur Panik sein. Bei 16 Lesungen in der Centralstation, aber auch an anderen Orten wie der Stadtbibliothek und dem Residenzschloss, der Bessunger Knabenschule und dem Eberstädter Schwanensaal geht es erst mal darum zuzuhören. Wenn danach Jungs und Mädchen zu Büchern greifen – umso besser.
Das Comeback aus der Corona-Pause war 2022 erfolgreich über die Bühne gegangen. Rund 2500 Zuhörer kamen – vor der Pandemie waren es meist rund 3000. „Wir hatten mit schlechteren Zahlen gerechnet“, sagt Meike Heinigk, die Geschäftsführerin der Centralstation. „Es ist sehr gut gelaufen, die Schulen waren mutig.“ Wichtig für ein Festival, das zwar offen für alle Besucher ist, bei dem aber rund 95 Prozent der Besuche von Schulklassen absolviert werden.
Das Programm bietet auch in diesem Jahr wieder einen großen Querschnitt an Themen von Mobbing in den Sozialen Medien bis zum Generationenkonflikt der 68er, von Geschlechteridentität bis zur Instrumentenkunde. Da sollten eigentlich Pädagogen aller Fächer angesprochen werden, doch die Kontakte laufen eben meist über Deutschlehrer. „Wir müssten auch mal die Physik- oder Kunstlehrer kriegen“, seufzt Meike Heinigk, doch das System sei leider sehr starr: „Crossover geht nicht in die Köpfe rein.“
Dabei geht es bei „Huch, ein Buch!“ gerade diesmal um ungewöhnliche Querverbindungen. Das Motto lautet „Backstage – Blick hinter die Kulissen“. Und es beginnt am Montag, 22. Mai, um 9 Uhr in der Centralstation bei der Eröffnung mit der Präsentation des Buchs „Hört sich gut an – 50 Instrumente und wie sie klingen“ (Hanser-Verlag). Gestalter Ole Könnecke hat mit seinem Komponisten-Sohn Hans ein Bilderbuch geschaffen, in dem ein Bär das Cello, ein Schnabeltier das Didgeridoo und ein Bock das Hackbrett spielt. Im Buch verlinken QR-Codes zu Klangbeispielen. Bei der Lesung in der Centralstation wird live musiziert. „Das macht gute Laune und geht über Seiten mit Buchstaben hinaus“, sagt Ko-Kuratorin und Jugendbuchautorin Ilona Einwohlt.
So wie hier Wort, Bild und Klang zusammenwirken, ist beim jungen Publikum auch sonst ein anregender Rahmen wichtig. Einfach nur ein Pult, ein Glas Wasser und ein spröder Vortrag mit strengem Blick über die Lesebrille hinweg – so erobert man die Kids kaum. Wenn aber die Wienerin Petra Hartlieb aus ihrem Buch „Zuhause in unserer Buchhandlung“ (Carlsen-Verlag) liest, dann wird es schon deshalb unterhaltsam, weil es am Montag (22. Mai) abends in einer Pyjama-Lesung in der Buchhandlung am Markt geschieht – auch die Autorin trägt dabei Schlafanzug. Tags drauf folgt eine zweite Lesung im großen Wohn- und Bücherzimmer „Salone“ in Bessungen. Petra Hartlieb berichtet in diesem Rahmen für Schüler der Klassen eins bis drei von Abenteuern im Reich der Buchhändler. Da könnte die kindliche Lesefreude wecken.
Dass die Begeisterung fürs Buch nicht bei jedem und jeder von Anfang an da ist, kennen die Macherinnen natürlich. Gerade bei den etwas Älteren heißt es gerne mal: „Was sollen wir denn da?“, weiß Ilona Einwohlt, die selbst regelmäßig Lesungen bestreitet. „Viele haben keinen Bezug zu Büchern, aber am Ende sind sie voll dabei.“
Viele engagierte Lehrerinnen und Lehrer kommen mit ihren Klassen deshalb immer wieder zu „Huch, ein Buch!“. Dennoch wird es nicht einfacher, das Zielpublikum zu erreichen. Ilona Einwohlt vermutet, dass an vielen Schulen Lern-Rückstände aus dem Distanzunterricht der Pandemie aufgeholt werden müssen, auf außerschulische Aktivitäten deshalb bisweilen verzichtet wird. Studien belegen ja, wie viel verpasst wurde. Aber die Erfahrung zeigt eben auch, wie wichtig es ist, junge Menschen außerhalb des Klassensaals für Literatur und Lesen zu begeistern. Bis 27. Mai besteht in Darmstadt dazu reichlich Gelegenheit.