In Darmstadt kennt man sie als die Frau, die Tauben füttert. Nun stand die 56-jährige vor Gericht, weil sie Passanten attackiert und beleidigt haben soll. Der Prozess endete...
DARMSTADT. In Darmstadt ist sie bekannt als die Frau, die die Tauben füttert. Am Donnerstag stand die 56-Jährige vor Gericht - allerdings nicht wegen des Taubenfütterns, sondern weil sie Passanten attackiert und beleidigt haben soll. Das Urteil - Freispruch wegen Schuldunfähigkeit - konnte erst nach acht Stunden verkündet werden.
Seit Jahren versorgt die studierte Zahnärztin regelmäßig die Tauben in der Innenstadt mit Futter und verstößt damit gegen die städtische Satzung. Die Riedstädterin hält die Satzung für ungültig und beklagt die deswegen verhängten Bußgeldbescheide, die noch nicht rechtskräftig sind. Laut Oberstaatsanwalt Knut Happel hatte sie am 25. März 2016 wieder bei der Berserker-Statue am Marktplatz Körner verstreut und war dabei von einem Paar aus dem Martinsviertel auf das Fütterungsverbot hingewiesen worden. Nach einem Wortwechsel soll die Angeklagte den 46-jährigen Mann mit Worten wie "Hurensohn" und Schlimmerem beleidigt haben. Als er das Handy zückte, um die Polizei zu rufen, sei sie auf ihn losgegangen, so die Anklageschrift. Erst habe sie gespuckt und dann versucht, mit ihren schweren Trekkingstiefeln ihrem Widersacher ans Schienbein zu treten.
"Das einzige, was stimmt, ist, dass ich den Tauben Futter gegeben habe", erklärte die Angeklagte in einer weitschweifigen Einlassung. Das Paar habe sie beleidigt. "Auf einmal haben die ausländerfeindliche Sachen gesagt", schilderte die Angeklagte. Was genau gesagt worden war, konnte sie nicht benennen. Aber es seien "schlimme Sachen" gewesen, weswegen sie im April 2016 Gegenanzeige erstattet habe. Nur waren in der Anzeige die "schlimmen Sachen" auch nicht benannt.
Der Geschädigte konnte sich seinerseits vor Gericht nicht mehr an den zu Protokoll gegebenen Wortlaut der Beleidigungen erinnern und brachte eine weitere Beschimpfung ins Spiel - an die sich der Polizist, der später die Anzeige aufgenommen hatte, wiederum nicht erinnern konnte. Der Vermieter und Nachbar der Angeklagten war von ihr als Entlastungszeuge benannt worden und sollte zu ihrem Schuhwerk aussagen - er war an besagtem Tag mit ihr zum Essen verabredet. Jedoch erinnerte sich der Zeuge an leichtes Schuhwerk, nicht an Trekkingstiefel.
Der psychiatrische Gutachter Thomas Holzmann schließlich stellte bei der Angeklagten schließlich eine schwere psychische Störung fest. "Sie ist intelligent, wortgewandt und kann ihre Überzeugungen schlüssig darlegen", sagte er. Aber wegen ihrem Fanatismus, ihrem Hang zur Selbstschädigung, der Tendenz zu Entgleisungen und ihrer Realitätsferne sei eine erheblich verminderte Einsichts- und Schuldfähigkeit nicht auszuschließen.
Befangenheitsantrag gegen Gutachter
Der Oberstaatsanwalt glaubte in seinem Plädoyer dem Geschädigten, forderte aber den Freispruch wegen Schuldunfähigkeit. Verteidiger Hans Böhme plädierte dann jedoch nicht, sondern stellte einen Befangenheitsantrag gegen den Gutachter. Er sei ungeeignet, erklärte Böhme. Vor über zehn Jahren sei es Holzmann gewesen, der mit falschen Gutachten gegen vier Steuerfahnder zur hessischen Steuerfahnder-Affäre beigetragen habe.
Amtsrichterin Verena Bode lehnte den Befangenheitsantrag ab, weil dieser sofort nach dem Gutachten hätte gestellt werden müssen. Die Richterin sah auch keinen Bezug zwischen dem damaligen Gutachten und ihrem Verfahren. Verteidiger Hans Böhme plädierte schließlich auf Freispruch, weil er seiner Mandantin glaubte. Den Geschädigten bezeichnete er als einen "selbst ernannten Sheriff".
Amtsrichterin Bode sprach die Angeklagte wegen Schuldunfähigkeit frei. "Wenn man sehenden Auges Bußgelder hinnimmt, ist das schon eine Form der Selbstschädigung", sagte sie, fügte jedoch hinzu: "Ich habe aber keine Bedenken, dass sich das Kerngeschehen wie angeklagt abgespielt hat." Verteidiger Böhme kündigte an zu prüfen, ob gegen einen Freispruch wegen Schuldunfähigkeit Rechtsmittel möglich sind. "Unser Interesse ist ja darzustellen, dass die Angeklagte gesund ist", sagte er.