Aktion Moving People: Asylkreis verteilt Plastikfiguren auf dem Darmstädter Ludwigsplatz, die Erlebnisse erfahrbar machen.
Von Harald Pleines
Der Asylkreis hat Miniatur-Figuren von Flüchtlingen auf dem Ludwigsplatz aufgestellt.
(Foto: Guido Schiek)
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DARMSTADT - „Ich flüchtete 2003 aus Mauretanien, weil dort alle Macht in den Händen der Araber lag. Der andere Teil der Bevölkerung – die Schwarzen, zu denen ich gehörte – wurde diskriminiert und als Bürger zweiter Klasse behandelt. Viele Menschen wurden unter diesem Regime ermordet oder flüchteten aus dem Land.“ So beginnt die Geschichte von Tourad.
Der junge Mann hatte in seiner Heimat ein Studium der Philosophie, Psychologie und Literatur begonnen. Aber wegen der erlebten Schikanen hat sich der Zwanzigjährige an Bord eines europäischen Frachtschiffes auf den Weg zu seinem in Frankreich lebenden Bruder gemacht. Am Ende nach einer langwierigen Flucht und Gefängnisaufenthalten fand er sich schließlich im belgischen Gent. Jetzt ist er in Darmstadt. Doch nur vorübergehend.
Tourad ist eine 13 Zentimeter große Plastikfigur aus einem 3-D-Drucker und soll weiter auf Wanderschaft gehen. Das ist der Sinn des von einem in den Niederlanden 2015 begonnenen Projekts „Moving People – Menschen unterwegs“ (mehr im Hintergrundkasten). Am Montagmittag startete der „Koordinierungskreis Asyl Darmstadt und Landkreis (Kokas)“ auf dem Ludwigsplatz seine Aktion für Darmstadt.
ANFÄNGE IN AMSTERDAM UND DEN HAAG
Die Aktion „Moving People“ geht zurück auf das niederländische Künstlerkollektiv „Power of Art House“.
Das Straßenkunst-Projekt startete mit 10 010 Mini-Flüchtlingen in Amsterdam und Den Haag. Die Figuren, deren jeweilige Geschichte authentisch ist, erschienen überall im öffentlichen Raum wie auf Parkbänken, an Bahnhöfen, im Zoo, entlang von Kanälen und vor Ministerien.
Nach diesem Auftakt tauchen sie auch in anderen Städten und Ländern auf. (hap)
Weltweit seien, wie Oberbürgermeister Jochen Partsch und Kokas-Sprecher Johannes Borgetto betonten, mehr als 60 Millionen Menschen auf der Flucht. 60 Millionen individuelle Geschichten, die jeder hören sollte. Es geht um Verlust der Heimat, den Neubeginn in der Fremde und die Hoffnung, dort aufgenommen zu werden. Moving People soll Neugier wecken, Fluchtgeschichten ohne menschliche Hemmschwellen wie beispielsweise Sprachbarrieren zugänglich machen und authentischen Geschichten ein Gesicht geben.
An exponierten Plätzen der Innenstadt werden Plastikfiguren mit jeweils eigener Fluchtgeschichte verteilt, die derjenige erfährt, der die aufgedruckte Internetadresse www.movingpeople.nu aufruft. Es gibt zehn unterschiedliche Typen – darunter auch Tourad. Insgesamt werden in Darmstadt 500 Figuren verteilt, zum Teil auch über die Sponsoren Stadt Darmstadt, Software AG-Stiftung, Sparkasse Darmstadt, Diakonie Darmstadt und Ausländerbeirat DaDI. Am 17. November schließt sich der Asylkreis Roßdorf mit weiteren 500 Figuren an.
„Nehmen sie einen Flüchtling mit nach Hause, erfahren sie seine Geschichte und geben sie die Figur weiter, damit auch andere Menschen davon erfahren. Flüchtlinge sind keine Gruppen, sondern Individuen“, ermuntere Borgetto die Umstehenden. Das Projekt solle dazu beitragen, dass die Dämonisierung von Flüchtlingen nicht zunehme.
Partsch lobte den Asylkreis für dessen Aktion, die einen ganz anderen Zugang zur Flüchtlingsthematik biete und deshalb „was ganz Besonderes“ sei. Sie mache darauf aufmerksam, dass Flüchtlinge nicht nur unser Mitgefühl brauchten, sondern sie weise auch auf vergessene politische und soziale Themenstellungen hin.
„Moving People“ ist laut Baudezernentin Barbara Boczek eine von sieben Aktionen, die in der Stadt sichtbar werden und das bürgerschaftliche Engagement stärken sollen. Bei einem Aufruf im Rahmen des „Masterplan 2030 plus“ zur Zukunft der Stadt waren 28 Vorschläge eingegangen.
Und wie geht es dem echten Tourad heute? Am Schluss seiner Geschichte schreibt er: „Vielleicht wäre ich, wenn ich in Mauretanien geblieben wäre, längst tot. Vielleicht hatte es so sein müssen. Vielleicht musste ich so kämpfen, um so weit zu kommen.“