Flagge zeigen über Grenzen hinweg
DARMSTADT - Markige Worte werden am Samstagnachmittag zur Kaffeezeit über den Büchnerplatz schallen. Ein junger Mann mit goldenem Megafon wird auf dem Prachtbalkon des Staatstheaters erscheinen. Er wird ungefähr Folgendes sagen: "Wir erklären alle, die sich in diesem Augenblick in Europa befinden, zu Bürgerinnen und Bürgern der Europäischen Republik." Und: "Es lebe die Europäische Republik!"
Wieviel Jubel das Volk dem Redner spendet, ist noch ungewiss. Mit etwa 300 Teilnehmern rechnet das Staatstheater, das seinen Balkon, sein Megafon und den Schauspieler Victor Tahal zur Verfügung stellt, um das "Balcony Project" zu unterstützen. Die Darmstädter Theaterleute sind im Bunde mit mehr als hundert Kollegen, Privatleuten und Organisationen aus vielen Ländern Europas. Sie alle wollen zur gleichen Stunde - ab 15.30 Uhr - ein Manifest verlesen. In mehr als 20 Sprachen - Esperanto, Latein und Katalan darunter - wollen sie den Text dreier Autoren unter die Leute bringen. Und mit ihnen ins Gespräch kommen. Alles, um die Idee eines neuen Europa zu verbreiten, wie der Darmstädter Aktivist Jörg Mattutat erklärt.
Ein "Leuchtturm-Projekt" nennt Mattutat die Ausrufung der Republik vom Balkon. Er unterstützt auch die Aktionen von "Pulse of Europe" in Darmstadt. Seit Februar 2017 ist die in Frankfurt gegründete Bewegung hier aktiv. Zuletzt fanden sich rund 150 Menschen bei den Demos auf dem Karolinenplatz ein, um in einem großen Rund das europäische Banner zu schwenken. Jetzt ziehen die Aktivisten auf den Büchnerplatz, in der Hoffnung, dass die Inszenierung der Theaterleute viele Neugierige anzieht. Immerhin geht es darum, sagt Mattutat, "dass wir ein Zeichen für Europa setzen". Eines, "das die Mächtigen nicht übersehen werden".
Es gehe den Verbreitern des Manifests darum, ein halbes Jahr vor der Wahl eines neuen EU-Parlaments die Politiker zu fordern. Sie sollen weniger sich selbst, mehr die Bürger selbst in den Blick nehmen: "Eine europäische Republik will alle Menschen mit gleichen Rechten ausstatten und endlich das Parlament zur eigentlichen Entscheidungsinstanz machen", sagt Mattutat.
So klingt es dann in wuchtigem Pathos von den Balkonen zwischen Lampedusa und Stockholm: "Es ist Zeit, das Versprechen Europas zu verwirklichen und sich an die Gründungsidee des europäischen Einigungsprojekts zu erinnern." Später dann: "Europäer ist, wer es sein will. Die Europäische Republik ist der erste Schritt auf dem Weg zur globalen Demokratie." Sicher ist dieser Wortlaut nicht. Die Theaterleute feilen noch an der Darmstädter Version des Manifests. So eine Proklamation ans Volk kann heikel sein.
Karoline Hoefer, die das Projekt am Staatstheater mit betreut, sagt: "Es muss klar sein, dass das Ganze ein künstlerischer Akt ist." Man wolle "Missverständnisse vermeiden, da es ja ein öffentlicher Platz ist." Niemand, der zufällig über den Büchnerplatz spaziert, soll die Ausrufung der Republik per Megafon für einen Staatsakt halten. Die Zeile "Hiermit ist der Europäische Rat abgesetzt" ist schon mal gestrichen. Mal hören, was übrig bleibt. Das wird dann in Zettelform in Tausenderauflage vom Balkon regnen.
Anschließend ist das Völkchen ins Foyer eingeladen, um an Runden Tischen die europäische Sache näher zu besprechen. Denn auch wenn's sich "Balcony Project" nennt: "Wir wollen die Leute ja nicht von oben herab belehren", sagt Theaterfrau Hoefer.