FIGA – niederschwellige Hilfe bei Depression und Burn Out...

Nach einem Herzinfarkt entwickelte ein sportlicher 54 Jahre alter Merck-Mitarbeiter plötzlich Angstsymptome. Er traute sich weniger zu, engte seinen Bewegungsradius immer mehr...

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DARMSTADT. Nach einem Herzinfarkt entwickelte ein sportlicher 54 Jahre alter Merck-Mitarbeiter plötzlich Angstsymptome. Er traute sich weniger zu, engte seinen Bewegungsradius immer mehr ein. Dass dieser Zustand nicht chronisch wurde und er keine hypochondrische Störung bekam, verdankt er dem „Figa“-Beratungskonzept. In seinem Fall genügten zehn von 13 möglichen Einzelstunden.

Die vier Buchstaben stehen für „Frühzeitige Intervention psychische Gesundheit – ein sequenzielles Arbeitsfähigkeitskonzept“. Drei Pilotprojektpartner – Merck Betriebskrankenkasse, Caritasverband Darmstadt und Institut für Psychologie der TU – haben „Figa“ vor zwei Jahren entwickelt. Die erste Auswertung wurde am Montag vorgestellt.

Therapie wird durch Coaching ersetzt

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Und so funktioniert es: Merck-Mitarbeiter mit depressiven Verstimmungen im Anfangsstadium oder Anzeichen von Burnout werden von Fachleuten individuell, zeitnah und unbürokratisch beraten. Die Krisenbegleiter stellen keine Diagnose und ersetzen das Wort Therapie durch „Beratung, Coaching, Unterstützung“. Alle „Figa“-Aktivitäten spielen sich außerhalb von Merck und vor oder nach der Arbeitszeit ab. Die meisten, die dieses Angebot wegen gefühlter ständiger Überforderung in Anspruch nehmen, sind nicht krankgeschrieben. Ines Passier, wissenschaftliche Mitarbeiterin des TU-Instituts für Psychologie, hat die Angaben von etwa 200 Teilnehmern des Programms ausgewertet. Das Durchschnittsalter der „FIGA“-Nutzer liegt bei 42 Jahren, der Jüngste war 18, der Älteste 63. Sie berichtet, dass eine „signifikante Abnahme der Stärke bestehender depressiver Symptome, Burnout-Symptome und psychosomatischer Erkrankungen“ festzustellen war. „Figa“ fördert die Selbstmanagement-Fähigkeiten der Klienten und richtet die Aufmerksamkeit auf verschüttete Ressourcen, die reaktiviert werden sollen.

„Wir brauchten ein niedrigschwelliges Angebot“, erläutert Stefan Sellinger, Leiter von Merck BKK. Die Zahl der psychisch erkrankten Versicherten sei leicht angestiegen, und die kostenintensive Therapie dauere in der Regel ziemlich lang – eine Belastung für Krankenkassen und Arbeitgeber. Die Klienten werden von der Merckschen Sozialberatung oder dem werkärztlichen Dienst ohne lange Wartezeit an die „Figa“-Koordinierungsstelle in Räumen des Krisendienstes Südhessen des Caritasverbandes, Sturzstraße 9, weitervermittelt.

„Figa“, eine Kombination aus standardisierten und individuell zugeschnittenen Maßnahmen aus der Psychotherapieforschung, funktioniert nach dem Baukastenprinzip. Manche Klienten brauchen vielleicht nur die Hilfe eines Schuldnerberaters, andere eine Änderung ihres Arbeitsumfeldes. Die Berater haben eine Lotsenfunktion, sorgen bei Bedarf für eine zeitnahe Diagnostik durch einen Facharzt, vermitteln Einzel- und Gruppengespräche oder informieren über Anti-Stress- und Yoga-Kurse.

Wer sämtliche Baukastenteile nutzt, kommt auf 13 Einzelstunden, die aber nicht von allen Betroffenen in Anspruch genommen werden. „Manche haben schon nach anderthalb oder zwei Sequenzen alles, was sie brauchen“, erklärt Passier. Hilfreich sei immer das, was ein Klient für sich auswählt.

„Figa“ wurde im vorigen Jahr mit dem hessischen Gesundheitspreis ausgezeichnet. Inzwischen haben weitere Betriebskrankenkassen das Konzept ganz oder teilweise übernommen. Es soll laut Bastian Ripper (Caritasverband Darmstadt) noch erweitert werden: durch eine Telefonhotline für Arbeitnehmer in Krisensituationen, ein Online-Gesundheitstraining, spezielle Sprechstunden und Seminarangebote in Unternehmen für Arbeitnehmer und Führungskräfte.