Radeln ist riskant in Darmstadt. Wie erlebt der Oberbürgermeister selbst den Alltag zwischen Stoßstange, Poller und Schutzstreifen? Auf Tour mit Jochen Partsch, vom Woog via Bismarckstraße zum Neuen Rathaus.
Von Thomas Wolff
Lokalredakteur Darmstadt
Die Fahrradstraßen sieht OB Partsch als politischen Erfolg. Wie hier auf dem grünen Streifen am Breslauer Platz hätten die Radler klaren Vorrang vor dem motorisierten Verkehr. Foto: Guido Schiek
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DARMSTADT - Wenn der Erste Bürger Darmstadts morgens auf sein Rad steigt und zur Arbeit rollt, wird aus ihm auch so etwas wie der Erste Radfahrer. Jochen Partsch, grüner Oberbürgermeister, weiß, dass er unter Beobachtung steht, sobald er durch die Stadt radelt. Denn Autofahrer meckern gern, dass er sich zu stark für die Radler einsetzt. Radler meutern, weil ihnen der Radwegebau zu langsam vorangeht. Fußgänger schauen genau hin, ob er in der Fußgängerzone auch wirklich absteigt und schiebt. Was nervt ihn selbst, und was freut ihn, wenn er auf zwei Rädern durch die Stadt fährt, die er gestalten soll? Mit dem ECHO hat der OB eine Morgenrunde gedreht. Über vorbildliche Fahrradstraßen, über heikle Engstellen und schrundiges Pflaster. Ein paar Mal wurde es hübsch brenzlig.
Halb neun am Woog, wir holen den Oberbürgermeister daheim ab. Sein olivgrünes Tourenrad mit der Anti-AKW-Sonne am Schutzblech ist nur eines seiner Zweiräder, sagt er. Mit einem E-Bike aus heimischer Fertigung zischt er üblicherweise von Termin zu Termin, sein neues Dienstrad. Heute setzt er auf konventionellen Antrieb, damit die beiden Journalisten mithalten können. Einen strammen Antritt hat er ohnedies. Also los - erst mal über die Fahrradstraße, die von der Lichtwiese am Woog entlang in Richtung City führt. Da rollt es sich geschmeidig und konfliktfrei - weitgehend.
Wir fahren über glatten Asphalt, über große Fahrradsymbole, entlang freundlicher Hinweisschilder: Dass zwei Radler hier nebeneinander fahren ist erlaubt, sagen die Hinweise an der Heinrich-Fuhr-Straße. Aber wer beachtet sie? Und wer befolgt sie?
Kurzer Stopp; Partsch sagt: "Hier haben wir auch erstmals in der Stadt besondere Hinweisschilder aufgestellt, dass die Radfahrer Vorrang haben." Schön, aber wissen das auch die Autofahrer? "Das Instrument von Fahrradstraßen ist in Deutschland ja noch nicht so alt, ich hatte das in der Fahrschule jedenfalls noch nicht." Heute werde das stärker bekannt gemacht. Einstweilen empfiehlt er: "Es geht um Vorsicht, Rücksicht, Nachsicht. Wenn sich alle an diese drei Dinge halten würden, hätten wir weniger Probleme." Er selbst habe es "natürlich auch öfters eilig". Aber im Grunde fahre er "eher defensiv". Sein Vorbild fruchtet nicht überall.
Wir strampeln die Fahrradstraße am Woog entlang, gegen die Fahrtrichtung der Autos. Links wird geparkt, rechts liegt der Damm. Von vorn zuckelt ein roter Kleinwagen auf uns zu. Vorbei ist's mit dem Nebeneinanderfahren. Als wir zur Seite fahren, um Platz zu machen, zischt ein schwarz behelmter Mountainbiker von hinten heran, quetscht sich zwischen dem OB und dem Auto durch, zischt um die Ecke, weg ist er. Kurzer Schrecken, Partsch schüttelt sein graues Haupt: "Ich beobachte schon eine gewisse zunehmende Aggressivität bei allen Verkehrsteilnehmern." Dabei wäre Rücksicht jetzt ganz gut. Es geht auf die Heinrichstraße, zwischen Kleinlaster und viele, viele Autos. Platz für Radler: null.
Stoßstange an Stoßstange klemmen die Kraftwagen. Im Schneckentempo ruckeln sie Richtung Innenstadt. Zwischen der Kniescheibe des Oberbürgermeisters und dem verbeulten Kotflügel eines Pandas liegen nur bedenklich wenige Zentimeter. Er verzieht leicht das Gesicht. "Autotechnisch ist das hier gut hergerichtet", sagt er. "Aber für Fahrradfahrer ist das eigentlich eine No-go-Area." Es ist laut, es ist eng, die Luft flirrt vor Abgasen. Was tun?
Rechter Hand, kurz hinter einem großen Supermarkt, reihen sich geparkte Autos aneinander. "Die müssten hier weg, wenn man einen Schutzstreifen für Radfahrer anlegen wollte" - technisch gesehen. Praktisch gesehen gäbe das eine Menge Ärger, weiß der OB.
Es ist der klassische Konflikt. Auch die grünsten Radler sind irgendwo Anwohner. Und wenn sie zu Anwohnern werden, wollen sie Parkplätze - und diese nicht für einen neuen Radweg opfern. An der Frankfurter Straße (dahin kommen wir auch noch) ist der OB im Clinch (er sagt "im Gespräch") mit einer Bürgerinitiative, die sich gegen eine neue Aufteilung des Straßenraums sperrt. Warum kämpfen die Deutschen so verbissen um ihren Stellplatz?
Partsch glaubt: "Die Gewohnheit der mittleren und älteren Generation ist bei uns noch die: Das Auto gehört einfach dazu. Bei mir war es ja auch so." Im ländlichen Franken aufgewachsen, war für ihn klar. "Mit 18 machst du deinen Führerschein." Doch die Zeiten haben sich geändert. Die Kommunen wollen Geld für ihre Stellplätze. Auch Darmstadt treibt die "Parkraum-Bewirtschaftung" voran. Partsch sagt klar: "Ein Recht auf freies Parken gibt es nirgendwo."
Er hegt die Hoffnung, dass die jüngeren Städter mehr Bus fahren, Autos stundenweise leihen statt zu kaufen, und mehr Radeln. Das Lastenrad-Projekt "Heinerbike" ist ausgebucht, auch das Carsharing-Angebot der Heag wird gut genutzt. "Es kommt drauf an, dass wir die anderen Angebote so attraktiv machen, dass die Leute sagen: Ja, das macht Sinn, das ist wirklich besser für mich." Bis dahin wird gemotzt.
Hinter der Ludwigskirche, am Wilhelminen-Buckel, steigen wir ab. Ordnung muss sein. Die Fußgängerzone bergab zu rasen ist schließlich verboten. Partsch beobachtet zwei Frauen, die auf Fahrrädern anrollen. Eine steigt ab und schiebt - "vorbildlich!" Die andere steigt ebenfalls ab - und steigt aufs Pedal, um sich schwungvoll den Hügel runter rollen zu lassen. Partsch lächelt etwas schief. Auch, wenn sich nicht alle Radler an die Gebote halten: Das Miteinander zwischen Fußgängern und Radlern in der City, "es funktioniert", irgendwie.
Über die Bleichstraße und den Willy-Brandt-Platz wieseln wir uns durch zur Frankfurter Straße. Unter den Reifen knirscht es, der OB hoppelt über geborstenen Asphalt, zwischen geparkten Autos und Straßenbahnschienen. "Eine Katastrophe", sagt er, "da besteht schon dringender Handlungsbedarf." Richtung Innenstadt soll hier bald ein Radweg angelegt werden. "Wenn ich bei Merck oder Entega bin und zurück zum Rathaus fahre, dann nehme ich diesen Weg." Dass er besser werden muss, sagen viele. Doch auch das ambitionierte "Davina"-Projekt für die Frankfurter- und Bismarckstraße, schwer befahrene Hauptachsen des Stadtverkehrs, stößt auf Kritik von Anwohnern. Partsch ahnt: Das kann sich ziehen, bis er hier geschmeidig rollt wie am daheim am Woog.
Letzter Stopp: Bismarckstraße, Ecke Grafenstraße. Ein weiß gestrichenes "Ghost Bike" erinnert an die Tragödie vom letzten November. Da kam Theatermacher Hanno Hener ums Leben. Umgefahren von einem Lastwagen, der ihn nicht sehen konnte, sagt der Staatsanwalt. Partsch kannte Hener persönlich. "Es ist immer die schwierigste Stelle, wenn du geradeaus fahren willst und ein Autofahrer oder Lkw gleichzeitig abbiegt." Absolute Sicherheit, sagt er, bietet auch der beste Schutzstreifen nicht.
Eins noch: Warum fährt der Erste Radfahrer stets unbehelmt, selbst durch gefährliche Furten? Angst um die Frisur? Er verneint; "ich bin noch nie mit Helm gefahren." Obwohl ihm Bürger schon mal einen geschenkt haben. Er überlegt lange, dann sagt er: "Vielleicht gewöhne ich's mir irgendwann mal an." Seine Amtszeit währt ja noch ein Weilchen.