Die Kindertagesstätte der evangelischen Kirchengemeinde Darmstadt-Eberstadt-Süd hat einen großen Außenbereich und etwa 80 Kinder aus 26 Herkunftsländern. An diesem...
DARMSTADT. Die Kindertagesstätte der evangelischen Kirchengemeinde Darmstadt-Eberstadt-Süd hat einen großen Außenbereich und etwa 80 Kinder aus 26 Herkunftsländern. An diesem Vormittag tummeln sich aber viele von ihnen nicht im Sandkasten oder an den Spielgeräten, sondern vor dem Wohnwagen, der auf der Ostseite des Gebäudes aufgestellt ist.
Warum sie dort warten? Keine Antwort. Es wird unter leichtem Geschubse durch die Tür ins Innere des Wohnwagens gespäht, das scheint deutlich spannender als eine Unterhaltung. Dahinein sind nämlich schon vier Kinder mit umgebundener Schürze verschwunden. Dann ringt sich Elisabeth doch zu einer Antwort durch: „Weil ich malen will. Einen Schmetterling!“ Da dreht sich Haris um und sagt, dass er einen Polizeiwagen malt, und schon geben alle Kinder in der Warteschlange detailliert Auskunft. Grace spricht noch nicht so gut Deutsch und sagt „Quak Quak“, aha, eine Ente. Nein, korrigiert Amelie, einen Frosch. Die dreijährige Grace nickt zu beidem. Amelie möchte ein Einhorn malen und Diana eine Katze. Haris, der später auch mal Polizist werden will, findet den Wohnwagen richtig cool.
Der Wohnwagen ist eine Art Atelier für Kinder, der an diesem Tag zum ersten Mal die Kita in Eberstadt besucht – eine echte Attraktion. Er nennt sich „Rollender Farbraum“, und was in seinem Innern passiert, basiert auf einem Malkonzept, das Michaela und Alfred Niedecken aus Darmstadt konzipiert haben und das, nachdem seine Frau im Juli verstarb, Alfred Niedecken als Kunsttherapeut und Sozialpädagoge nun wieder aufgenommen hat. Der „Rollende Farbraum“ ist Rückzugsort und Ort des Ankommens. Hier können sich „Kinder aller Nationen“, wie es auf dem Projekt-Flyer steht, frei ausdrücken.
„Wir alle tragen Dinge in uns, die wir in Sprache nicht äußern können“, sagt Norbert Härtwig, Leiter der Kita in Eberstadt-Süd. Deshalb legt er großen Wert auf kreative Prozesse, Tanzen oder Malen. In der evangelischen Kindertagesstätte gibt es bereits ein Malzimmer, „der Rollende Farbraum ist aber noch einmal etwas ganz Spezielles.“ Bis zum 15. Dezember wird der Wohnwagen fast jeden Freitag die Kita besuchen, es werden also alle Kinder Gelegenheit haben, in bunten Farben zu schwelgen.
Im Wohnwagen-Atelier erklärt Kunstpädagogin Denise Tekol, die in dem von den Niedeckens aufgebauten Institut für Humanistische Kunsttherapie Darmstadt derzeit eine Ausbildung zur Therapeutin macht, den Kindern, wie sie mit Farben und Pinseln umgehen sollen. Bei Osa tropft es nämlich kräftig auf den Boden, wenn er seinen dicken Pinsel tänzelnd vom Topf bis zu seinem Blatt an der Wand schwingt: Abstreifen, und immer den passenden Pinsel verwenden. Über jedem Farbtopf, der an der Wand des Wagens befestigt ist, hängt der dazugehörige Pinsel, den man dann gar nicht immer auswaschen muss.
„Die Kinder malen hier ohne Druck, Wertung, Zensur oder Verbot“, sagt Tekol. Heute gehen und kommen die Kinder, wie sie möchten. Wie es an den kommenden Freitagen weitergeht – doch an einem Thema entlang oder in festeren Gruppen – wird sich zeigen
Osas erstes Bild ist voller Farbschichten. Offenbar hat er alle übereinander aufgetragen. Auf seinem zweiten Bild strahlen Gelb und Orange. Mit wenigen breiten Strichen hat er ein Auto gemalt. Noch einen Kreis in der Mitte für das Lenkrad, fertig. Ja, er mag diese leuchtenden Farben. Das Polizeiauto von Haris ist – natürlich – blau. Weil der kleinen Amelie ein Einhorn zu schwer war, malt sie wohlsortiert bunte Eier in ihren Lieblingsfarben: in allen Farben. Und bei Elisabeth flattern Schmetterlinge unter blauem Himmel und im Sonnenschein.