Ein Tunnel unterm Oberfeld / Ersatz für Darmstadts gescheiterte Nordostumgehung gesucht
Die gescheiterte Nordostumgehung soll nicht das Ende aller Überlegungen sein. Sowohl Darmstadts Oberbürgermeister Jochen Partsch als auch Darmstadt-Dieburgs Landrat Klaus Peter Schellhaas sprechen mittlerweile offen von der Idee eines Tunnels, der vom Ende der B 26 unter dem Oberfeld hindurch führt, sodass die neue Verbindung auf den Martin-Luther-King-Ring stößt.
Von Lars Hennemann und Patrick Körber
Unser Luftbild in Richtung Osten zeigt das Oberfeld. Unter diesem Gebiet könnte ein Tunnel als Ersatz für die gescheiterte Nordostumgehung verlaufen. In der Bildmitte ist der Seitersweg zu sehen. Die B 26 verläuft rechts vom Bild. Foto: Christian Grau
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DARMSTADT - Die gescheiterte Nordostumgehung soll nicht das Ende aller Überlegungen sein. Das hatte sich bereits Ende Mai vergangenen Jahres angedeutet, als Oberbürgermeister Jochen Partsch (Grüne) und Landrat Klaus Peter Schellhaas (SPD) bei der traditionellen Kotelettwanderung nach Roßdorf durchblicken ließen, dass sie beim Thema Mobilität den Schulterschluss suchen.
In der Sitzung des Kreistags hatte Schellhaas noch am Montag geunkt, dass Partsch das Thema kaum vor der Oberbürgermeisterwahl am 19. März aufbringen werde. Da irrte er: Darmstadts Oberbürgermeister steht zu dem Vorhaben, einen Ersatz für die 2011 beerdigte Nordostumgehung zu schaffen, und er sagt das auch.
Anschluss an den Martin-Luther-King-Ring
Sowohl Partsch als auch Schellhaas sprechen mittlerweile offen von der Idee eines Tunnels, der vom Ende der B 26 (etwa zur Kreuzung Heinrichstraße) unter dem Oberfeld, möglicherweise unter der Fasanerie hindurch führt, sodass die neue Verbindung auf den Martin-Luther-King-Ring stößt. Eine genaue Planung und somit eine mögliche Trasse für einen solchen Tunnel gibt es zur Stunde aber noch ebenso wenig wie einen Zeitplan. Je nachdem, wo der Tunnel verlaufen würde, wäre er zwischen 2,8 und 3,5 Kilometer Luftlinie lang. Schellhaas betonte am Dienstag im Gespräch mit dem ECHO: "Wir stehen bei Null. Es gibt keine beplante Trasse." Einig sind sich beide, dass der Tunnel bergmännisch, also unterirdisch gebaut werden müsste.
==Partsch widerspricht==
Im Namen von Oberbürgermeister Jochen Partsch widerspricht die Pressestelle der Stadt der Darstellung des ECHO in der Ausgabe vom Donnerstag. Dass Partsch offen von der Idee eines Tunnels unter dem Oberfeld gesprochen habe, sei nicht korrekt. "Korrekt ist, dass der Oberbürgermeister von mehreren denkbaren Lösungen für die Verkehrsproblematik gesprochen hat, darunter auch möglicherweise Tunnellösungen. Von einer konkreten Tunneltrasse unter dem Oberfeld war jedoch nicht die Rede, heißt es in einer am Donnerstag verschickten Mitteilung.
In der Mitteilung heißt es weiter: "Stadt und Landkreis arbeiten derzeit an mehreren Lösungsansätzen, darunter ein Sammelbussystem, die Erweiterung der Spuren am Ostbahnhof, die Straßenbahnführung über den Ostbahnhof in den Landkreis und die Ausweitung der Kapazität der Odenwaldbahn."
Partsch und Landrat Klaus Peter Schellhaas hatten am 22. Mai 2016 erstmals gegenüber dem ECHO die Idee des Oberfeld-Tunnels aufgeworfen. Vereinbart wurde seinerzeit, dass erst nach einem weiteren gemeinsamen Gespräch zwischen Stadt, Kreis und Redaktion zum Thema, nur wenige Wochen später berichtet wird. Dieses Gespräch kam nie zustande. Als offizieller Grund gilt der Abgang von Baudezernentin Cornelia Zuschke. Die jetzt erneut geführten Gespräche mit Stadt und Landkreis fußten auf denen vom Mai 2016. (red)
==Kommentar: Gas geben==
Patrick Körber zur Tunnel-Idee
Darmstadt braucht eine große Verkehrslösung. Die Stadt sowie der Landkreis Darmstadt-Dieburg wachsen an Einwohnern. In absehbarer Zeit nimmt der Pendlerverkehr also zu. Darmstadt prosperiert, gewinnt weiter an Attraktivität, nur entwickelt sich die Verkehrsinfrastruktur leider nicht im gleichen Maße mit. Mit dem Scheitern der Nordostumgehung lagen mit einmal auch Alternativüberlegungen brach, ohne dass sich verkehrlich irgendetwas verbessert hätte. Man kann zur Verflüssigung des Verkehrs keine Trasse durch die Stadt schlagen, das gibt der Raum mit Bus- und Radspuren an vielen Stellen nicht mehr her. Da scheint ein Tunnel tatsächlich eine machbare Alternative. Fraglich nur, ob ein Tunnel auch eine finanzierbare Alternative wäre. In puncto Verkehr dürfen Darmstadt und sein Umland auch mal in Visionen denken. Doch muss aus dem Kopfkino sehr schnell solide Planung werden, an deren Anfang eine Machbarkeitsstudie steht. Tödlich wäre, bereits im Anfangsstadium alles totzudiskutieren. Jetzt heißt es: Schauen, was geht - und Gas geben.
2009 war der Bürgerentscheid gegen die Nordostumgehung nur knapp gescheitert. 25.874 Darmstädter hatten gegen den Bau der Straße gestimmt. Die Gegner stellten 54,7 Prozent die Mehrheit. Jedoch war das Quorum wegen lediglich 204 fehlenden Stimmen gescheitert. Die (Um-)Planungen gingen zunächst weiter, schließlich aber wurde das Projekt 2011 politisch gestoppt, woran auch die damalige Ampelkoalition zerbrach. Im Februar 2016 ist dann auch der zugrunde liegende Bebauungsplan außer Kraft gesetzt worden. Auch bei der Nordostumgehung wäre ein Teilstück untertunnelt gewesen. (pak)
Von der Notwendigkeit einer großen Verkehrslösung ist Schellhaas felsenfest überzeugt: "Darmstadt platzt aus allen Nähten." So wichtig der ÖPNV auch sei, der motorisierte Individualverkehr werde weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Morgens staut sich der von Osten kommende Verkehr vor den Toren Darmstadt kilometerlang zurück. Schellhaas befürchtet bei einer Tunnelvariante weniger ein Nadelöhr am Martin-Luther-King-Ring, sondern an der Frankfurter Straße.
Frage der Finanzierung ist noch völlig offen
Dass die Überlegungen seit Mai 2016 nicht vorangekommen sind, sei dem Weggang von Darmstadts Baudezernentin Cornelia Zuschke nach Düsseldorf geschuldet, sagt Partsch. Doch mit der neuen Dezernentin Barbara Boczek, die am 1. März ihr Amt antritt, soll Fahrt in die Planungen kommen. Bei den Verkehrsprojekten im Kreis hat für Schellhaas - neben dem vierspurigen Ausbau der B 45 - der Tunnel unterm Oberfeld "Priorität Nummer eins".
Abgesehen von planungsrechtlichen Fragen oder der, ob die Geologie des Geländes einen Tunnelbau zulässt, steht ein großes Fragezeichen hinter der Finanzierung. Weder Partsch noch Schellhaas können zum jetzigen Zeitpunkt beziffern, was ein Tunnelbau dieser Größenordnung kosten würde. Ebenso unklar ist, inwieweit der Bund das Projekt fördern würde; es müsste in den Bundesverkehrswegeplan aufgenommen werden.
Der Frage, ob der Landkreis sich an den Kosten beteiligen würde, weicht Schellhaas aus: "Ich bin nicht bevollmächtigt, das zu entscheiden." Er verweist darauf, dass die Planungshoheit bei der Stadt Darmstadt liege. Der Kreis habe in den vergangenen Jahren auch zahlreiche Straßen wie die B 38 oder die B 26 gebaut, die zur Verkehrsentlastung der Stadt geführt hätten - ohne finanzielle Beteiligung Darmstadts.
"Wer jetzt nicht groß denkt, bleibt auf Dauer nicht stark"
Jochen Partsch ist es wie Schellhaas sehr wichtig zu betonen, dass Stadt und Kreis bei dem Thema an einem Strang ziehen. Der Tunnel oder eine wie auch immer geartete Lösung für den motorisierten Individualverkehr könne und müsse, so der Oberbürgermeister, nur Teil eines Gesamtkonzepts sein. Dazu zähle nicht zuletzt der Busverkehr: "Wir tun ja heute schon etwas mit dem neuen Sammelbussystem mit drei Linien und der Verbreiterung der B 26 auf drei Spuren vor dem Ostbahnhof", so Partsch am Dienstag im Gespräch mit dem ECHO. Auch über eine weitere Verbesserung bei der Odenwaldbahn sei man mit dem Kreis und dem RMV im Gespräch.
Auch Landrat Schellhaas denkt an den ÖPNV. Er hat zum Beispiel die Idee einer Straßenbahn nach Roßdorf noch nicht aufgegeben. "Es gibt ja die Idee, diese Linie in die andere Richtung zu verlängern, etwa nach Weiterstadt." Dadurch könne sich die Wirtschaftlichkeit des Projekts möglicherweise deutlich verbessern.
Tunnel, Busse, Bahn "und Fahrräder" (Partsch) - zwischen Stadt und Kreis soll es vorangehen. "Wir leben in einer Metropolregion, die stark bleiben soll. Wer jetzt nicht groß denkt, bleibt auf Dauer nicht stark", so Schellhaas.