Massage und Physiotherapie helfen Syringomyelie-Patienten sich zu entspannen. Archivfoto: karelnoppe - Fotolia.de
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DARMSTADT - Das Leben schien es gut mit K. Pfeffer (er will seinen Vornamen nur abgekürzt nennen) zu meinen. Er war mit Leib und Seele Koch und rechnete sich in seinem Beruf gute Aufstiegschancen aus. Doch dann häuften sich beunruhigende Vorfälle. Erst verbrannte sich der junge Mann einen Finger in der Fritteuse und spürte es nicht einmal. Dann mussten ihn Arbeitskollegen darauf aufmerksam machen, dass er sich mit einem Messer geschnitten hatte. Er sah das Blut und empfand keinen Schmerz.
Mit der Diagnose seiner Krankheit, die nach einem Krankenhausaufenthalt endlich feststand, konnte K. Pfeffer nichts anfangen: Syringomyelie. Davon hatte er noch nie etwas gehört. Er war 29 Jahre alt, als er wegen unvorhersehbarer Missempfindungen und anderer Symptome aus seinem geliebten Beruf ausscheiden musste. Heute bezieht er eine Rente, ist zeitweise auf einen Rollator angewiesen und in ständiger physiotherapeutischer, ergotherapeutischer und Osteopathie-Behandlung. Die krankengymnastischen Übungen sollen dazu beitragen, Lähmungen und Verspannungen zu lindern.
Bei der jungen Mutter Sabrina Rieger (26) begannen die Schmerzzustände vor vier Jahren. Sie wurden so stark, dass sie ihre Ausbildung als Einzelhandelskauffrau abbrechen musste. Weil der Frau ihre Leiden nicht anzusehen sind, wollten ihr weder Arbeitskollegen noch Verwandte glauben, dass sie unter Kopfschmerzen, Schwindel und Sensibilitätsstörungen leidet. Sie treten vor allem bei Stress auf – aber auch in Glücksmomenten. Nach langer Suche fand sie einen Neurologen, der diese Alarmzeichen ernst nahm und sie zu einer MRT-Untersuchung (Magnetresonanztomographie) schickte. Auf den Aufnahmen zeigte sich deutlich eine Höhlenbildung (griechisch: Syrinx) im Rückenmark (griechisch: Myelon).
WAS IST SYRINGOMYELIE?
Syringomyelie wird eine seltene, unheilbare Erkrankung des Rückenmarkkanals genannt. Wahrscheinlich entsteht sie durch Verklebungen und durch Behinderungen des Nervenwasser-Abflusses im Rückenmark.
Die Folgen sind neurologische Reiz- und Ausfallerscheinungen, etwa Gangstörungen, Ausfälle der Schmerz- und Temperaturwahrnehmung und Lähmungen. Die im Hals- und Rückenbereich entstehenden Schmerzen sind kaum mit Medikamenten behandelbar.
Da es verschiedene Formen von Syringomyelie gibt, sind die Beschwerden sehr unterschiedlich. Die Krankheit kann anlagebedingt sein oder nach Verletzungen und in Verbindung mit einem Tumor oder einer Entzündung des Rückenmarks auftreten. (pep)
Kontakt
Die Ortsgruppe Darmstadt trifft sich jeden zweiten Mittwoch im Monat in einem Darmstädter Café. Weitere Infos beim Vorsitzenden Sigmund Pfeffer, Telefon 06151-3 53 33 17, E-Mail: hessensyrinx@syringx-hessen-da.de. (pep)
Mit dem MRT-Bild in der Hand konnte Sabrina Rieger endlich den Beweis dafür erbringen, dass sie nicht simulierte. „Mein Hausarzt hat sich bei mir entschuldigt“, sagt sie. Sabrina Rieger, inzwischen Ortsgruppen-Leiterin der Darmstädter Syrinx-Gruppe, weiß aus eigener Erfahrung, dass vielen Betroffenen ein psychisches Problem oder gar Arbeitsunwilligkeit unterstellt wird, „das zermürbt uns.“
Tückisch an der nicht heilbaren Syringomyelie ist der Wechsel zwischen Normalität und Ausfällen. Helga Pfeffer (54), K.s Mutter, erzählt, dass ihr Sohn sich anfangs bei einem Spaziergang mit seinem Hund topfit fühlte. Fünf Minuten später bekam er einen Schub, konnte nicht mehr gehen. Diese Behinderung dauerte längere Zeit an und klang dann wieder ab. „Jeder Betroffene hat eine eigene Problematik“, erklärt die Mutter. Gemeinsam mit ihrem Mann gründete sie im Jahr 2013 die Darmstädter Syrinx-Gruppe, aus der die heutige Syringomyelie Selbsthilfeorganisation Hessen e. V. auf Landesebene entstanden ist, und setzt sich an vielen Fronten für die Betroffenen ein. Zu diesen Fronten zählen die Krankenkassen, die sich gegen die Bezahlung von Therapieleistungen wehren, weil es für den Erfolg keinen wissenschaftlichen Beweis gebe. Da es sich um eine seltene Krankheit handelt, steht die Forschung noch ziemlich am Anfang.
Bei K. Pfeffer trägt die Physiotherapie dazu bei, dass sich die Symptome zumindest nicht verschlechtern. Und auch Sabrina Rieger geht es nach den Behandlungen, für die sie Zuzahlungen leisten muss, deutlich besser. Die 26-Jährige ist krankgeschrieben, arbeitslos und mag sich ihre Zukunft kaum vorstellen. Zum Glück wird sie von ihrer Familie unterstützt.
Das Krankheitsbild bekannter machen
Die zweite Kampffront ist nämlich die Berufswelt. Viele Syrinx-Patienten könnten halbtags arbeiten, wenn sie einen „leidensgerechten“ Arbeitsplatz fänden. Für Sabrina Rieger müsste er so beschaffen sein, dass sie häufig vom Sitzen zum Stehen, Gehen und Liegen wechseln kann. K. Pfeffer wollte von Koch auf Ernährungsberater umsatteln, doch eine Weiterbildung in Teilzeit wurde ihm abgelehnt. Daraufhin meldete er sich an einer Fernuniversität an. Er musste aufgeben, weil er nicht zu den Prüfungen reisen kann.
Über Facebook fand Sabrina Rieger zur Darmstädter Selbsthilfegruppe. Der jüngste Patient ist drei Jahre alt, das älteste Mitglied 75. Mit Helga und deren Mann Sigmund Pfeffer besucht sie Kongresse und Tagungen. Die drei wollen das Krankheitsbild bei den Ärzten bekannter machen und sich über Therapien und Operationen informieren.
Helga Pfeffer hofft, dass Betroffene dank der Öffentlichkeitsarbeit künftig nicht mehr von Arzt zu Arzt wechseln müssen, bis ihre Diagnose feststeht. Und dass sie von ihrer Umwelt nicht mehr leichtfertig auf die „Psycho-Schiene“ geschoben werden.