ECHO-Kammergespräch: Chefredakteur Lars Hennemann diskutiert...

Darmstadt darf sich mit dem Titel Digitalstadt schmücken. Doch wie dieser mit Inhalten gefüllt werden kann, darüber ist vieles noch im Unklaren. Archivfoto: Andreas Kelm

Darmstadt darf sich als Sieger eines Wettbewerbs unter Kommunen Digitalstadt nennen und kann zwei Jahre lang versuchen, den Titel mit Inhalt zu füllen. Bei einem...

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DARMSTADT. Darmstadt darf sich als Sieger eines Wettbewerbs unter Kommunen Digitalstadt nennen und kann zwei Jahre lang versuchen, den wolkigen Titel mit Inhalt zu füllen. Vieles ist noch arg nebulös. Das wurde bei einem ECHO-Kammergespräch im Foyer der Kammerspiele am Staatstheater deutlich, bei dem ECHO-Chefredakteur Lars Hennemann im Gespräch mit Christian Marth, Leiter des Kompetenzzentrums 4.0, und Martin Steinebach, IT-Forensiker am Fraunhofer-Institut für Sichere Informationstechnologie (SIT), gemeinsam mit etwa 40 Zuschauern zu erkunden versuchte, wo die Digitalstadt in zwei Jahren stehe und was die Digitalisierung mit den Bürgern mache. Was sei neben einer von Oberbürgermeister Jochen Partsch (Grünen) ins Spiel gebrachten Parkplatz-App und Mülltonnen, die ihren Füllungsgrad meldeten, sonst noch zu erwarten?

Beide Gesprächspartner mussten einräumen, in die Prozesse der Digitalstadt nicht einbezogen zu sein und daher wenig Konkretes sagen könnten. Steinebach, der am SIT die Abteilung Multimedia, Sicherheit und IT-Forensik leitet, verwies darauf, dass die Stadt dabei sei, Fragestellungen zu definieren. Es gehe bei der Digitalstadt um einen bunten Blumenstrauß an Projekten: Das Spektrum reiche von reinen Labor-Elementen über Konzeptionelles bis zu Anwendungen mit Prototyp-Charakter.

Ein Anwendungsgebiet, so erläuterte er, könnte eine Volksverschlüsselung sein, die eine Kommunikation mittels digitalem Code zwischen Bürgern und Behörden erlaube. Dazu müsse ein "analoger Vertrauensanker" geschaffen werden, der nach Überprüfung der Identität ein solches personengebundenes Zertifikat ausgebe. Es ersetze als Digitalausweis die Unterschrift. Nur so könne eine Verwaltung sicher sein, dass eine Nachricht tatsächlich von einer bestimmten Person stamme.

Zeit und Wege sparen

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Eine solche komfortablere Kommunikation wünschten sich auch viele Unternehmen, pflichtete Marth bei, der als Leiter des Kompetenzzentrums 4.0 mit acht Partnern aus Wissenschaft und Praxis speziell kleinen und mittleren Firmen zeigt, welche Möglichkeiten die Digitalisierung von Geschäftsprozessen bietet.

Ein schneller und direkter Kontakt zu dem jeweiligen Ansprechpartner würde nach seinen Worten viel Zeit und Wege sparen. Zudem gäbe es einfache Wege für ein mitunter auch kritisches Feedback. Umgekehrt könnten Verwaltungen Informationen billiger und gezielter verbreiten.

Laut Steinebach könnten so wesentlich geringere Datenberge anfallen, denn das mehrfache Einscannen von Papiervorlagen würde entfallen. "Manche Staaten sind weniger perfektionistisch und pragmatischer", antwortete er auf die Frage Hennemanns, warum zum Beispiel das kleine Estland bei der Digitalisierung sehr viel weiter als andere Länder sei.

Totalverweigerung nur auf individueller Ebene

Dass viele Unternehmen noch eher die Risiken als die Chancen der Digitalisierung sähen, wie Marth aus seiner Praxis berichtete, kommentierte Steinebach mit einem Paradoxon: "Die meisten Menschen kritisieren das Weltunternehmen Google, das eifrig Daten sammelt, aber für fünf Euro Rabatt lässt man sich Daten abkaufen".

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Dass es bei der Digitalisierung auch um ethische Fragen geht, so ein Einwand aus dem Publikum, ist bei OB Partsch angekommen, der Vorsorge treffen will, dass solche Aspekte in der Digitalstadt nicht untergehen.

Eins wurde an dem Abend aber mehrfach betont: Ob wir eine umfassende Digitalisierung überhaupt wollen, ist keine Frage mehr: Sie ist längst da. Und es gibt keine Totalverweigerung; nur auf der individuellen Ebene kann man sich noch teilweise entziehen - zum Beispiel durch den Verzicht auf ein Smartphone.