Stress, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Depression, Demenz: Einsamkeit kann direkte Folgen für die Gesundheit haben. Wer besonders gefährdet ist und woran Wissenschaftler forschen.
Von Susanne Wildmeister
Lokalredakteurin Groß-Gerau Echo, Ried Echo
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Ist Einsamkeit eine unterschätzte Gefahr für unsere Gesundheit? Weltweit steigt die Zahl der Menschen, die sich einsam fühlen. Experten sprechen von einer "Einsamkeits-Epidemie" in Industriestaaten. In Großbritannien wurde 2018 sogar eine Einsamkeitsministerin ernannt.
Die Bundesregierung verweist auf Studien, wonach Einsamkeit das Risiko für chronischen Stress, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Depression, Demenz und einen frühen Tod erhöht. Dazu zählt eine Untersuchung des Marktforschungsinstituts Splendid Research von 2017, wonach sich 12 Prozent der Deutschen häufig oder ständig einsam fühlen. Die negative Empfindung beschleicht Menschen aller Altersgruppen. Eine Studie der Ruhr-Universität Bochum von 2016 macht deutlich, dass besonders Menschen in den 30ern und über 65-Jährige Einsamkeit empfinden. Gesamtwirtschaftliche und gesundheitliche Auswirkungen seien erheblich, warnen Wissenschaftler. In seinem 2018 erschienen Bestseller "Einsamkeit. Die unerkannte Krankheit" bezeichnet der Ulmer Professor Manfred Spitzer das Problem sogar als "Lebensrisiko Nummer eins".
Bildungsdefizite, Krankheit und Armut erhöhen Risiko
Doch was genau ist Einsamkeit und wie wirkt sie sich aus? Wissenschaftler raten zu einem differenzierten Blick auf das Thema. Nicht immer machen Untersuchungen deutlich, ob Einsamkeit Ursache oder aber Folge einer Erkrankung ist. Schließlich führen körperliche Beeinträchtigungen auch dazu, dass sich Kranke zurückziehen und weniger am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Zudem zeigen Studien wie von Holt-Lunstad 2010/15, dass gesundheitliche Risiken häufiger von sozialer Isolation ausgehen, als vom Gefühl der Einsamkeit. Damit erhält das Thema eine weitere Dimension. Denn bei Einsamkeit handelt es sich zunächst um eine individuelle Gefühlslage. Menschen können sich in Gegenwart anderer verlassen fühlen oder aber Abgeschiedenheit positiv erleben.
STERBLICHKEITSRISIKO
In einer Meta-Analyse wurden 2015 von Holt-Lunstad die Ergebnisse von 70 Studien zum Einfluss von sozialer Isolation auf die Sterblichkeitsrate untersucht. Demnach lag die Sterblichkeitsrate der Einsamen im Vergleich zu Personen, die nicht einsam sind, um 29 Prozent höher. Eine erhöhte Sterblichkeitsrate aufgrund sozialer Defizite zeigt sich besonders bei Personen jünger als 65 Jahre.
Soziale Isolation hingegen verweist unmittelbar auf ein tief greifendes gesellschaftspolitisches Problem. Ein Auseinanderklaffen der Einkommensverteilung erzeugt ungleiche Lebensbedingungen. Viele Menschen am unteren Ende der Skala leiden unter Ausgrenzung und fehlender Teilhabe. In einer bröckelnden Solidargemeinschaft fühlen sie sich im Stich gelassen. Mangelndes Vertrauen wiederum fördere Einsamkeit und die wirke auf Menschen im Umfeld sogar ansteckend, haben Forscher herausgefunden.
Gründe für Einsamkeit
"Kommen Armut, Krankheit und schlechte Bildung zusammen, wächst die Gefahr zu vereinsamen." Zu diesem Schluss kommt eine Analyse des Berlin-Instituts. Zunehmende Altersarmut werde das Problem weiter verschärfen. Gründe für Einsamkeit sind vielfältig. Sie werden auch in der Individualisierung der Gesellschaft gesehen - laut Zukunftsinstitut das zentrale Kulturprinzip der westlichen Welt und globaler Megatrend. Ebenso können soziale Netzwerke, die Menschen miteinander verbinden, einsam machen. So lassen etwa Selfie-Inszenierungen, die ein perfektes Leben der anderen vorgaukeln, Nutzer oft negativ gestimmt alleine zurück.
Einsamkeit wirkt nicht nur auf die Psyche. Sie kann auch die körperliche Gesundheit entscheidend beeinträchtigen. Ein durch chronischen Stress erhöhter Cortisol-Spiegel löst im Körper ein Notfallprogramm aus, das bereits unsere Vorfahren für Flucht und Angriff mobilisierte. Ein dauerhafter Alarmzustand wirkt negativ auf Blutdruck, Schlaf und Immunsystem.
Die Zusammenhänge sind jedoch weitaus diffiziler, wie Professor Philipp Wild, Präventionsmediziner undLeiter der Klinischen Epidemiologie der Universitätsmedizin Mainz, ausführt. Stress wirke auf das autonome Nervensystem, das der willkürlichen Kontrolle weitgehend entzogen ist und die meisten Körperorgane mit dem zentralen Nervensystem verbindet.
Der als Antreiber fungierende Sympathikus steigere unter Stress seine Aktivität, der Parasympathikus verliere als "natürlicher Bremser" an Wirkung. Dadurch veränderten sich beispielsweise die Dehnbarkeit der Gefäße und die Mikrozirkulation des Blutes, Organfunktionen würden beeinträchtigt, erklärt Wild. Das System gerate aus der Balance. In der Folge könne es zu vegetativen Beschwerden wie Durchfall, Kopfschmerzen, Herzstolpern oder Schwindel bis zu weitreichenden Gesundheitsproblemen kommen. Beispiele sind Diabetes mellitus, Herz-Kreislauf- oder möglicherweise auch Autoimmunerkrankungen. Dahinter verbergen sich "komplexe molekulare Mechanismen, die bisher nicht gut verstanden werden". Erst jetzt beginne man, die Auswirkungen dieser Störung der Regulation des autonomen Nervensystems genauer zu untersuchen.
Einsamkeit: "Killer Nummer eins"
Die Uni Mainz beantrage dazu aktuell mit Partnern wie dem Max-Planck-Institut für Chemie und dem Deutschen Resilienzzentrum einen eigenen Sonderforschungsbereich. 26 Top-Wissenschaftler wollen dann mit ihren Arbeitsgruppen unter anderem den Einfluss von Umweltfaktoren wie Lärm, Feinstaub oder Ernährung sowie gesellschaftliche Aspekte wie Schichtdienst, ständige Erreichbarkeit oder auch Einsamkeit auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen als weltweit häufigste Todesursache intensiv beforschen. Dass Einsamkeit, wie Spitzer in seinem Buch herausstellt, der "Killer Nummer eins" sein soll, hält Philipp Wild für eine deutliche Überzeichnung, um die mediale Wirksamkeit zu erhöhen. "Die häufigen Erkrankungen in der Bevölkerung sind nicht monokausal, sondern ein komplexes Zusammenspiel zahlreicher Faktoren - Einsamkeit ist einer davon."
Ebenso vielfältig wie die Gründe für eine zunehmende Vereinsamung und ihre Folgen, sind die Möglichkeiten für jeden Einzelnen, ihr entgegenzuwirken. In seinem Buch trägt Manfred Spitzer zahlreiche wissenschaftlich untersuchte Interventionsmethoden zusammen. Am effektivsten ist demnach das Erlernen neuer Gedankenmuster. Positiv wirken auch soziale Unterstützung, aktive Teilnahme an der Gemeinschaft oder Naturerlebnisse. Zum persönlichen Glück tragen in entscheidendem Maße das Geben und ehrenamtliche Tätigkeiten bei.
Aus der Problematik ergeben sich aber auch sozial- und bildungspolitische Handlungsfelder. Einsamkeitsministerien zu schaffen steht demgegenüber bei näherer Betrachtung wohl eher für Symbolpolitik.
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