Schüler der Martin-Buber Schule haben kürzlich ein KZ besucht. Nun erfuhren sie, dass auch in Heppenheim großes Unrecht geschehen ist.
KREIS BERGSTRASSE. Sein ganzes Leben hat sich Joshua gefragt, was dort oben auf dem Grundstück wohl sein mag. Der 16-Jährige wohnt in der Nähe des Starkenburgwegs und geht fast täglich am Gelände der ehemaligen Heppenheimer Synagoge vorbei. Nun hatte er die Möglichkeit, mit seiner Schulklasse den historischen Boden zu betreten. Möglich gemacht hat das die Bürgerstiftung und das große Interesse der Schüler an der deutschen Vergangenheit.
Die 10bR und 10cR der Martin-Buber-Schule beschäftigen sich seit der neunten Klasse in den Fächern Deutsch und Geschichte intensiv mit der Zeit des Nationalsozialismus, der Judenverfolgung und dem Widerstand. Deshalb stießen die Schüler mit ihrem Wunsch, eine historische Gedenkstätte zu besuchen, bei ihren Lehrern Silke Michel, Timo Kolb und Cäcilia Korte auf offene Ohren. Eigentlich sah der Plan vor, das ehemalige Konzentrationslager in Osthofen zu besuchen. Ein Konzentrationslager der Größenordnung Dachau erschien den Lehrern aber nachdrücklicher - also ging es dorthin.
"Was wir gehört haben, ist wirklich passiert."
Der Ausflug verfehlte seine Wirkung nicht: Alleine das Schild "Arbeit macht frei" am Eingang der Stätte löste bei den Schülern ein bedrückendes Gefühl aus, wie sie erzählen. Einige vermieden es, durch das Tor zu laufen. "Wir haben erfahren, wie die Juden dort gefoltert und ermordet wurden", sagte Emre (16). Und die 17 Jahre alte Lea ergänzte: "Was wir gehört haben, ist wirklich passiert."
Dass sich die Verbrechen nicht nur in weit entfernten Städten, sondern auch vor ihrer Haustür abgespielt hatten, verdeutlichte ein Besuch auf dem Gelände der ehemalige Synagoge im Heppenheimer Starkenburgweg. Dort will die Bürgerstiftung mit der Unterstützung von "Echo hilft!" einen Bürgerpark errichten. Schulklassen, so der Plan, sollen dort zum Outdoor-Unterricht auf historischem Boden zusammenkommen.
Zeitzeugen gibt es nicht mehr viele
Geschichtslehrer Timo Kolb kann sich durchaus vorstellen, hier Unterricht zu geben. Weil die Zeitzeugen langsam wegbrechen, sei es wichtig, solche Plätze zu erhalten. "Wer die Bundesrepublik Deutschland verstehen will, muss deren Geschichte verstehen", sagte er.
Einen Vorgeschmack, wie der neue Bürgerpark einmal genutzt werden könnte, bekamen die Schüler in der letzten Woche vor den Ferien. Dort warteten der stellvertretende Vorsitzende der Bürgerstiftung, Kurt Vettel, und Historiker Hermann Müller, um den Klassen ein Teil Heppenheimer Vergangenheit zu zeigen - und Joshua durfte endlich mal das Gelände, das 80 Jahre brach gelegen hatte, betreten.
"Die Synagoge wurde radikal zerstört", erzählte Hermann Müller. Nachdem Feuer und Sprengstoff nicht alles habe beseitigen können, wurde die jüdische Bevölkerung gezwungen, das Gotteshaus zu zerstören. "Junge Leute wurden schikaniert und als Ungeziefer bezeichnet", schilderte Müller. "Sie durften nicht mehr zur Schule und ins in Schwimmbad gehen." Müller zeigte die Gedenktafel am Eingang und erinnerte an die 23 ermordeten Mitbürger. Eines Nachts seien sie abgeholt worden. "Darunter waren 83-jährige Frauen, die ihr ganzes Leben friedlich in Heppenheim verbracht haben", verdeutlichte er. Ob die Bevölkerung etwas mitbekommen habe, wollte Lehrerin Silke Michel wissen. An diesem Abend seien die Deportationen kurzfristig durchgeführt worden. "Keiner wusste, wohin sie kommen", so Müller. "Manche sind bis heute verschwunden."
Mit Vettel und Müller besichtigten die Schüler die Stelle, an der die Synagoge einmal gestanden hatte. Dieser Teil des angedachten Bürgerparks soll historisch belassen werden. Im Gewölbekeller reflektierten die Schüler anschließend das Erlebte. Emre empfand es als wichtig, "dass wir an diese Zeit erinnert werden". Mitschülerin Lea forderte dazu auf, "auch mal den Mund aufzumachen", wenn etwas falsch laufe. In diesem Zusammenhang erinnerte Mehmet an die Uiguren in China, "die wegen ihres Glaubens unterdrückt werden". Seine Generation trage an den Verbrechen keine Schuld, sagte Leon (16), "aber die Verantwortung, dass so etwas nicht mehr passiert".