"Echo hilft!": "Schalte gerne mal in den Flugmodus"
Im Internet chatten oder im Café schwätzen? Eine Eberstädterin und ein Neu-Darmstädter erzählen, wie die neuen Medien ihr Sozialleben verändern - und wann sie offline leben.
Von Thomas Wolff
Lokalredakteur Darmstadt
Auch ältere Menschen nutzen Smartphone-Dienste, um mit Freunden und Familie in Kontakt zu kommen - gern auch mal zu später Stunde.Foto: dpa
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DARMSTADT - Kann sein, dass kurz vor Mitternacht nochmal der Vibrationsalarm summt bei den Freundinnen von Frau Schubarth. Dann flitzen Fotos von den Highlights des Tages durch den Äther, flattern Emojis von Smartphone zu Smartphone, Herzchen, Küsschen, Winkewinke. Da lebt Frau Schubarth auf. "Nach 23 Uhr werde ich so richtig munter", sagt die 80-Jährige aus Darmstadt-Eberstadt. "Da bin ich meist am Handy und erzähl' den Anderen, was ich im Fernsehen gesehen hab', was ich gekocht oder gelesen hab', und ob wir uns morgen verabreden können." Da kommen die Jüngeren nicht unbedingt mit.
Bis Mitternacht am Smartphone? Muss nicht sein, sagt Noel Moutin, 24, Student der Sozialen Arbeit in Darmstadt. "Ich schalte gern mal in den Flugmodus, besonders, wenn Hausarbeiten anstehen." Er hat klare Zeiten, in denen er sein Gerät benutzt oder aus der Hand legt. Termine ausmachen via Smartphone, ja. Aber nicht Tag und Nacht angesummt werden. Mit der alten Dame, die seine Großmutter sein könnte, hat Moutin dennoch viel gemeinsam, wenn es um die Einteilung der Zeit geht, die man mit Familie, Freundinnen und Freunden verbringt - ob digital oder leibhaftig.
Der Zufall hat sie zusammengebracht, neulich. Eigentlich war es beider Interesse an sozialen Medien. Beim "Digitalen Kränzchen" sind sie sich im Bessunger Nachbarschaftsheim begegnet: Marga Schubarth, verwitwet und gut vernetzt in ihrer Eberstädter Nachbarschaft, und Noel Moutin, der 2017 fürs Studium aus der Eifel nach Darmstadt kam. Die "Kränzchen"-Reihe bringt regelmäßig Alte und Junge zusammen, bringt sie ins Gespräch miteinander, vor allem über Fluch und Segen der digitalen Kanäle. Auch, um voneinander zu lernen. Wie haltet Ihr es mit der Sicherheit? Was bedeutet euch Privatsphäre? Wie viel Zeit verbringt Ihr täglich im Netz? Da geben Schubarth und Moutin die gleiche Antwort: eine Stunde, mehr oder weniger. Damit sind sie nicht sonderlich repräsentativ.
DAS MITEINANDER
... steht dieses Jahr im Fokus unserer Benefizaktion "Echo hilft!": das Miteinander verschiedener gesellschaftlicher Gruppen, beispielsweise Vertreter verschiedener Generationen, die manchmal eher nebeneinander her statt miteinander leben. Für "Echo hilft!" haben wir Projekte gesucht, an denen sie wieder zusammentreffen - und, stellvertretend für die ganze Region, fünf Projekte gefunden. Für sie sammeln wir in diesem Jahr Spenden (Infos und IBAN siehe auch Kasten unten).
Neben Informationen zu den fünf Projekten und Berichten über unsere vielen Benefizaktionen lesen Sie an dieser Stelle jedes Wochenende auch Geschichten rund ums Miteinander - heute darüber, wie soziale Medien Menschen zusammenbringen können. Und wo "echter" Kontakt unersetzbar ist.
Mehr als drei Stunden ist der Durchschnittsdeutsche täglich im Netz unterwegs. Das sagt eine Studie von ARD und ZDF für das Jahr 2018. 196 Minuten waren es im Schnitt bei allen Befragten über 14 Jahren. In Noel Moutins Altersgruppe, bis 29 Jahre, sind die Menschen durchschnittlich sogar 353 Minuten jeden Tag im Internet zugange, per Smartphone, Laptop, Tablet und PC. Tendenz: weiter steigend, in allen Altersgruppen.
Mehr als drei Stunden im Netz? Aber warum denn bloß, fragt Frau Schubarth. Auch Student Moutin ist da skeptisch.
Als ihr Mann starb, erzählt die alte Dame beim "Kränzchen" im Nachbarschaftsheim, "da lag dieses Ding dann rum." Das Smartphone. "Ich dachte mir: Jetzt benutz' ich das mal!" Aber nach ihren eigenen Regeln.
Jeden Morgen meldet sie sich bei ihren beiden Töchtern. "Das ist mir wichtig, mit denen übers Smartphone Kontakt zu halten." Jeden Tag Besuch, "das muss nicht sein." Aber gut, den Draht zu halten. Und sich dann zu verabreden, wenn's passt. Auch Enkel Tim, 23, der in Offenbach wohnt, schreibt im Schnitt ein Mal pro Woche. Texte wie: "Ich komm heute zum Essen vorbei, was kochst du?" Aber noch öfter, sagt die Großmutter, sehen sich die Generationen persönlich.
Student Moutin kam spät zum eigenen Smartphone. "Das war bei uns in der Eifel nicht üblich, anders als heute schon bei den Dritt- und Viertklässlern in der Grundschule." Man traf sich als Jugendlicher auf dem Bolzplatz oder im Band-Probenraum in einem alten Industriebau, Zeit und Ort waren klar, "man musste sich nicht groß schreiben". Jahrelang weigerte er sich, ein Mobilgerät zu besitzen. "Wozu gibt es Telefonzellen?" Die sucht er nach seinem Umzug in die Digitalstadt Darmstadt nun fast vergeblich. Also verabredet auch er sich über Mobilgeräte. Wenn's denn nötig ist.
Lieber miteinander quatschen als simsen
Dabei hält Moutin die alten Kommunikationsformen hoch. "Lieber alle drei Tage miteinander telefonieren als jeden Tag Kurzbotschaften rumschicken." Das führe nur zu Missverständnissen. Sein Motto: "Lieber treffen und drüber quatschen", von Angesicht zu Angesicht. Am besten gleich auf dem Spielfeld: Moutin gehört zum Quidditch-Verein "Darmstadt Athenas"; die Trainingszeiten spricht er über die digitalen Dienste Facebook und Slack ebenso ab wie die Termine für die "Socials", wenn man sich einfach mal zum Kochen in der WG-Küche verabredet. So viel Zeit muss sein. Ein Grund, warum er beim Quidditch jetzt die Organisation übernommen hat, per Netz und Telefon.
All ihre Nachbarn, meist ältere Paare, benutzten ein Smartphone oder Tablet, sagt Frau Schubarth. Aber die Sozialkontrolle läuft noch über den direkten Weg. "Man sieht sich jeden Tag", sagt sie. Und wenn nicht, "dann rufen die Nachbarn an und fragen: Was ist los mit dir, man sieht dich ja gar nicht?" Und schon geht's raus, ab vor die Haustür, zum Prinzenberg spazieren, "oder zum Friedhof". Und wenn doch mal was ist? Dann, sagt die alte Dame, sei das Smartphone schon nützlich.
Als unlängst eine Freundin im Krankenhaus behandelt werden musste, "haben wir uns über Whatsapp informiert, wie es ihr geht", digitale Botschaften ans Krankenbett gesendet und retour. Noch ein Vorteil: Man kann digital auch Zeit sparen, sagt Frau Schubarth. Wie bei dem elektronischen Ticket mit dem QR-Code für die Van-Gogh-Ausstellung im Städel, "da müssen wir dann nicht Schlange stehen". Aber sonst?
"Warum", fragt sie, "soll ich ins Internet gehen? Ich hab Fernsehen, ich hab Zeitung, was soll ich denn noch damit?" Bis so ein Kreuzworträtsel gelöst sei, "da braucht es ja auch seine Zeit". Da ist für Facebook, Youtube und so weiter wahrlich kein Platz mehr im Tagesablauf.
Und: Wie schnell ist der Tag schon wieder rum. Kurz nach 23 Uhr: Zeit fürs Smartphone, Zeit für einen munteren Schwatz, für das ganz persönliche digitale Kränzchen. Und dann einfach abschalten.