„Echo hilft!“: Demenzforum organisiert Sportangebote

aus Leseraktion "Echo hilft"

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Gemeinsam Boulespielen hat im Wochenprogramm des Demenzforums einen festen Platz. Foto: Torsten Boor
© Torsten Boor

Das Ziel ist, Momente zu schaffen, in denen die Krankheit keine Rolle spielt, ihr die Schwere genommen wird. Und das gelingt in Darmstadt zum Beispiel beim gemeinsamen...

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DARMSTADT. Die erste Runde geht klar an Reinhold Diehl mit 13:3 Punkten, die zweite ebenso klar mit 13:3 an Günther Müller. Im dritten Durchlauf des internen Boule-Turniers steht es Unentschieden zwischen dem Mitarbeiter des Demenzforums und dem 70-jährigen Mitspieler.

Geschenkt wird nichts bei dem nachmittäglichen Sportprogramm im Herrngarten, wo sich Diehl regelmäßig mit Menschen trifft, die an Demenz erkrankt sind. An diesem Mittag ist die Gruppe, die sich auch gerne im Platanenhain verabredet, Corona-bedingt klein. Das aber schmälert den Spaß nicht.

Für Müller sind diese Treffen ein Lichtblick – wie auch für seine Frau, die an dem Nachmittag ihre zwei „freien“ Stunden genießt. Der Darmstädter ist seit etwa einem Jahr regelmäßiger Teilnehmer der Boulegruppe; vor allem genießt er das „Rauskommen“ aus dem Alltag und Kennenlernen neuer Menschen. „Das gibt neue Impulse“, sagt Müller, der vor einem Jahr an Demenz erkrankt ist.

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Der Diagnose Demenz die Schwere nehmen

Neue Impulse sind das eine, ein Stück Normalität und unbeschwerte Momente, in denen viel gelacht wird, das andere. Momente, in denen die Krankheit keine Rolle spielt. Genau das ist das Ziel von Diehls Aktivitäten: „Ich will der Krankheit die Schwere nehmen.“

Das Boulespiel hat im Wochenprogramm des Demenzforums einen festen Platz. Zunächst hatte Sozialpädagoge Diehl eine Männergruppe angeboten, in der sich Betroffene und Angehörige von Menschen mit einer Demenz austauschen. „Aber irgendwann habe ich gemerkt, jetzt ist mal genug geredet, es wiederholt sich alles. Wir müssen etwas Aktives zusammen machen.“ Basteln vielleicht? Oder boulen? Auf die Idee kam Diehl, „weil das noch keiner von uns konnte und wir somit alle Neuland betreten“. Vom ersten Tag an sei das super gelaufen – „und es bekam eine richtige Dynamik“, erinnert er sich.

Erstens sei die Gruppe inzwischen fester Bestandteil der „richtigen“ Bouler im Platanenhain. Außerdem sei nun auch immer mal die eine oder andere Ehefrau dabei, die zunächst nur als Zuschauerin geblieben war. „Es hat für Paare etwas Entlastendes, sich im spielerischen Zusammenhang zu sehen“, so der 64-Jährige. „Sie erleben sich wieder als Team.“ Auch könnten sie alltägliche Konflikte beim Sport austragen – oder sich über eine gewonnene Partie gemeinsam freuen.

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Der Diagnose Demenz die Schwere nehmen, das möchte das Demenzforum auch mit einem anderen Angebot erreichen. „Bewegen und Begegnen“ ist das Kulturprogramm überschrieben, das Menschen mit und ohne Demenz zusammenbringen soll. Darum kümmert sich Meike Nenner, die vom Tanztee über den Liederabend bis hin zu Ausflügen ins Museum, das Porzellanschloss, den Botanischen Garten, das Vivarium und auf die Rosenhöhe organisiert. Alle sind stets ausgebucht. Vor allem der Eselspaziergang durch die Eberstädter Streuobstwiesen sei ein „Renner: ein Tier durch die Wiesen zu führen und mit einem an sich störrischen Wesen zurechtzukommen – das sei ein Erfolgserlebnis und steigere das Selbstwertgefühl.

„Vor allem geht es aber auch immer darum, etwas Besonderes, etwas Schönes gemeinsam zu machen“, sagt Nenner. Zu Nicht-Corona-Zeiten nehmen bis zu 15 Personen an einer Veranstaltung teil. Die Menschen mit Demenz und deren Angehörige erlebten bei den Ausflügen oder beim Tanzen „ein Stück Normalität“, das ihnen in ihrem Alltag abhandengekommen sei.

Beim Spazierengehen lösen sich Spannungen

Hinzu komme, dass etwa beim Tanzen Schrittkombinationen in Erinnerung kommen. „Da sind gespeicherte Bewegungsabläufe, die abgerufen werden“, sagt stellvertretende Leiterin des Demenzforums. Überhaupt sei Bewegung enorm wichtig. „Gerade beim Spazierengehen lösen sich Spannungen“, sagt Nenner. Dabei könnten die erkrankten Menschen loslassen und trauten sich, ihrem Kummer darüber Ausdruck zu verleihen, wie sehr ihre Vergesslichkeit sie belaste.

Alle Veranstaltungen werden von Firmen sowie Stiftungen finanziert und von Mitarbeitern des Demenzforums begleitet. Reinhold Diehl ist einer der langjährigen Mitarbeiter, der dem Sport mit Demenzkranken großen Wert beimisst, weil auch er das Selbstwertgefühl steigere. Denn das Körpergedächtnis funktioniere ja meist weiterhin, „an Bewegungsabläufe können sich Menschen erinnern, sie sind tiefer drin.“

Und auch eine Sportart neu zu lernen – Stichwort Boule – sei nicht nur ein gutes Training fürs Gehirn. Auch sei während des Spiels höchste Konzentration gefragt, schließlich müsse man etwa die Kugeln der Mitspieler im Auge behalten und strategisch ans Spiel rangehen. Motivierend sei auch, dass jedem Spieler gute Würfe gelingen könnten.

Das zeigt sich auch beim internen Herrngarten-Turnier, das übrigens recht ausgeglichen ausgeht. In Punkten und in puncto Ehrgeiz und Humor. Auch dabei steht es nach zwei Stunden „Unentschieden“ bei der Paarung Diehl gegen Müller.