"Die Leute sind den Kampf leid"

Foto: Guido Schiek

Auf Einladung der ECHO-Redaktion legten Vertreter der Vereine "Wegerecht" und "Fuss e.V.", der jungen Initiative "Radentscheid" sowie des ADFC ihre Vorschläge für mehr...

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DARMSTADT. Die Darmstädter mögen es, zu radeln und zu Fuß zu gehen - doch das wird ihnen an vielen Stellen verleidet. Ideen, wie es besser laufen könnte, liefern inzwischen mehrere Initiativen. Auf Einladung der ECHO-Redaktion legten Vertreter der Vereine "Wegerecht" und "Fuss e.V.", der jungen Initiative "Radentscheid" sowie des ADFC ihre Vorschläge auf den Tisch - und übten heftige Kritik an der gemütlichen Gangart der kommunalen Verkehrsplanung.

Beim breiten Widerstand gegen die Nordostumgehung und beim Machtwechsel von der SPD- zur Grünen-geführten Stadtregierung war oft von der Notwendigkeit einer umfassenden Verkehrswende die Rede. Aus heutiger Sicht, viele Jahre später: Sehen Sie eine Verkehrswende in Darmstadt?

Thomas Grän: Ich sehe konzeptionslosen Stillstand. Ein strukturiertes Arbeiten der Stadt ist für uns als ADFC nicht erkennbar. Dass die Fahrradstraßen bei der Umsetzung seit Jahren hinterherhängen, ist ein symbolischer Fakt für das Tempo der Veränderungen. Eine Verkehrswende ist nicht sichtbar.

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Martin Huth: Aus Sicht des Vereins "Wegerecht" gab es bisher keine Verkehrswende. Das war ja auch der Grund, warum wir uns gegründet haben. Noch nicht einmal die Straßenverkehrsordnung und die Planungsgrundsätze werden eingehalten.

Sylke Petry: "Fuss e.V." sieht in Darmstadt auch keine Verkehrswende. Wir sehen bundesweit ein besseres Verkehrsbewusstsein in der Bevölkerung, und das kommt natürlich auch in Darmstadt an. Was die Verkehrsplanung in Darmstadt angeht, gibt es den einen oder anderen Lichtblick, aber auch sehr viel Schatten.

David Grünewald: Wenigstens ein bisschen gibt es eine Verkehrswende, aber nicht aus planerischer Sicht - die Leute verhalten sich anders als früher. Es gibt Angebote wie Call-a-Bike, das die Studierenden eingeführt haben. Die Nutzer der Rad- und Gehwege nehmen die Dinge in die eigene Hand und pfeifen auch mal darauf, was die Stadtplanung hervorbringt.

Eine Verkehrswende von unten sozusagen...

Grünewald: Genau - und das gilt ja auch für den Radentscheid.

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Der Radentscheid will der Darmstädter Politik per Bürgerentscheid präzise Vorgaben machen, was sie für den Radverkehr beschließen soll. Mit Unterstützung des ADFC?

Grän: Mittlerweile ja. Wir hatten anfangs Kommunikationsprobleme, weil die Gruppe sehr geheim gearbeitet hatte. Der ADFC hat sich auch deswegen zurückgehalten, um die Beziehungen zur Stadt nicht aufs Spiel zu setzen. Nachdem die aber beim Thema Radschnellweg nach drei Jahren mit einer völlig geänderten Routenführung kam, die nicht mehr in die Stadt führt, sondern zum Hauptbahnhof, ohne in dieser Zeit ein einziges Mal auf den ADFC zugekommen zu sein - da haben wir gesagt: Basta, hier ist nichts, was es zu retten gilt.

Die Kommunikation mit der Stadt ist demnach verbesserungsfähig? Wie steht es mit den entsprechenden Gremien?

Grän: Der Runde Tisch Nahmobilität ist aus meiner Sicht in dieser Form am Ende. Er tagt jetzt seit einem Jahr, aber es kommen keine Ergebnisse raus. Im Rückblick sage ich, die Teilnahme war für mich reine Zeitverschwendung. Diese Runde muss sich sofort überlegen, wie sie ihre Arbeitsweise ändert. Wir reden bislang über Seifenblasen, nicht über konkrete Projekte, dabei gibt es einen Riesenstau an Konfliktfeldern.

Huth: Bei der letzten Sitzung wurden wir gebeten, Kärtchen zu beschriften und an die Wand zu pinnen, Wünsch-dir-was zu spielen - und die ganzen wichtigen Themen zur Nahmobilität, die in Darmstadt anstehen, wurden völlig ausgeblendet. Der Wunsch aller Beteiligten, konkrete Dinge anzusprechen, wurde abgelehnt.

Die angesprochenen Fahrradstraßen werden von der Stadt als wichtige Errungenschaft für Radfahrer hervorgehoben - zu Recht?

Grän: Wir halten Fahrradstraßen für ein wichtiges Element der Radverkehrsförderung. Aber nehmen wir die Wilhelminenstraße. In dieser Straße kann man nicht nebeneinander fahren, weil sie beidseitig zugeparkt ist. Wenn man die Sicherheitsabstände einhält, kann eine Person in der Mitte fahren - mehr nicht. Wer es mit Fahrradstraßen ernst meint, muss auf einer Seite komplett das Parken wegnehmen.

Grünewald: Die Gruppe, die wir in den Blick nehmen müssen, ist die Mehrheit der am Radverkehr Interessierten, aber heute Geängstigten. Das sind die, die wir auf den Gehwegen treffen - die fahren da nicht, um die Fußgänger zu ärgern, sondern weil sie sich sonst ihres Lebens nicht sicher fühlen. Wir stellen uns als Radentscheid vor, dass es in Darmstadt ein grünes Netz gibt neben dem Hauptstraßennetz.

Wie muss ein sicherer Radweg für Sie aussehen?

Grünewald: Radwege müssen gebaute Einladungen zum Radfahren sein. Kinder müssen sie auch ohne ihre Eltern benutzen könne, ebenso Senioren bis ins hohe Alter. Deswegen sind wir vom Radentscheid für Wege, die durch einen baulich angelegten Streifen deutlich vom Autoverkehr getrennt sind. In den Niederlanden wird das so gemacht. In Deutschland haben wir sehr oft Radstreifen, die auf der Fahrbahn der Autos abmarkiert sind - weil man an die Parkplätze nicht ranwill. Das ist bei uns die heilige Kuh. Der Platz ist also da, aber man will ihn den Radlern nicht geben.

Grän: Am besten wäre ein paralleles Angebot. Ein Streifen auf der Straße für die schnelleren Radler, die das Auto nicht fürchten, und einer, der die Bedürfnisse der langsameren, der älteren Radler und der Kinder bedient. Das hätte der ADFC gern an allen Hauptverkehrsstraßen - am Haardtring gibt es das ja schon, allerdings mit vielen holprigen Stellen und Problemen an den Einmündungen.

Bisher stritt der ADFC vor allem fürs Radeln im Autoverkehr, als Fraktion der Furchtlosen ...

Grän: Da möchte ich widersprechen. Wir haben uns immer für differenzierte Lösungen eingesetzt. Wir wollen vor allem eine stressarme Infrastruktur. Die Leute sind den Kampf auf der Straße leid, wo man sich gegen Fahrzeuge mit Überbreite und überhöhtem Tempo durchsetzen muss. Wir reden schon lange von einem alternativen Netz für den Radverkehr. Aber dafür braucht man die Lückenschlüsse von Radwegen zwischen Wixhausen und Eberstadt ebenso wie zwischen Oberfeld und Griesheim. Dazu sehe ich bei der Stadt keinerlei Ansätze.

Huth: Die gebaute Infrastruktur muss so sein, dass ein Fahrfehler nicht tödlich endet. Egal, wer den Fehler macht, Radfahrer oder Lkw-Fahrer. Zum Beispiel Rheinstraße, Ecke Neckarstraße: Das ist für mich immer wieder ein Roulettespiel, ob man diese Kreuzung überlebt.

Und die anderen - an welchen Ecken in Darmstadt halten Sie die Luft an?

Grän: Ganz klar in der Karlstraße. Da ist ein 80 Zentimeter schmaler alter Streifen, der früher mal ein Radweg war. 90 Prozent der Radler benutzen den, direkt an den Türen der geparkten Autos vorbei. Wenn da mal die Tür aufgeht, führt das zu schlimmen Unfällen. Wir haben die Stadt schriftlich aufgefordert, das zu ändern. Stattdessen hat die Stadt im Zuge der Bauarbeiten in der Eschollbrücker Straße genau das Gleiche nochmal erneuert. Das geht jetzt an den Verkehrssicherheitsrat.

Huth: Für mich ist am seltsamsten der Abschnitt Cityring / Bleichstraße, wo der Radweg unvermittelt in einer Busspur endet - ohne dass es irgendwelche Hilfen gibt.

Grünewald: Ich halte die Luft an, wenn ich oben auf der östlichen Dieburger Straße stadteinwärts fahre, ab den Hirschköpfen. Da wird beidseitig auf dem Schutzstreifen geparkt, da stehen Boote und Wohnmobile - das ist nicht akzeptabel.

Petry: Schlimm finde ich die irreführende Markierung, wenn man als Fußgänger an der Kreuzung Neckar- / Hügelstraße unterwegs ist. Da gibt es einen Gehweg, auf den die Radfahrer Richtung Norden mit hoher Geschwindigkeit rauffahren, weil sie denken, ihr Radweg geht dort weiter. Da wird man massiv gefährdet. Sicherheit für Fuß- und Radverkehr kann es nur mit Tempo 30 innerorts geben.