Die Straßen-Umbenennung in Darmstadt markiert vorerst einen Schlusspunkt unter der jahrelangen Debatte. Für Anwohner aber kommt jetzt das große Ummelden.
Darmstadt. Der Generalfeldmarschall hat abgedankt, nun übernimmt der Generalstaatsanwalt: Die Hindenburgstraße ist in Darmstadt ganz offiziell Geschichte. OB Jochen Partsch (Grüne) und Ordnungsdezernent Paul Wandrey (CDU) haben am Dienstag die Umbenennung nach Fritz Bauer (1903-1968) vollzogen. Was für sich genommen nur ein Verwaltungsakt ist, bedeutet den Schlussakkord zu einer teils Jahrzehnte schwelenden Debatte.
„Heute ist ein wichtiger Tag für die Bewusstmachung historischer Zusammenhänge“, muss Partsch erst einmal vor dem Gebäude der Handwerkskammer gegen den Verkehrslärm anreden. Versammelt haben sich weitere Mitarbeiter aus dem Vermessungsamt, Interessierte und Vertreter des Bündnisses gegen Rechts. Es gehe nicht weniger als um die Frage, wer ehrbar und damit würdig ist, Teil des Darmstädter Stadtbildes zu sein. Oder wer nicht. Hindenburg, der im Januar 1933 Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannte, zeigte sich zeitlebens „demokratieverachtend“ und ist somit nicht mehr würdig, betont der OB.
Partsch: Fritz Bauer einer größten Hessen des 20. Jahrhunderts
Der Umbenennung vorausgegangen war eine über Jahre und Jahrzehnte ausgefochtene Debatte über den Umgang der stadteigenen Erinnerungskultur. Schon vor dem Beschluss der Stadtverordneten im Jahr 2013 für eine am Ende 430 Seiten umfassenden wissenschaftlichen Aufarbeitung des Büros für Erinnerungskultur scheiterten parlamentarische Initiativen, die sich für eine Umbenennung einsetzten (siehe separater Bericht). An den Mühlstein, den Hindenburg der Weimarer Demokratie umgehängt hatte, erinnert auch Partsch. „Er wird zwar weiter einen Platz in den Geschichtsbüchern haben, aber nicht mehr auf unseren Straßenschildern.“ Der Kontrast zu Fritz Bauer, dem Initiator der Frankfurter Auschwitzprozesse, kann größer kaum sein. „Zweifelsfrei einer der größten Hessen des 20. Jahrhunderts“, würdigt der OB den neuen Namensgeber der Straße.
Trotz der höchsten Reputation, die Bauer genießt, blieb die Tilgung des Reichspräsidenten als Namenspatron für Anwohner der Straße bis zuletzt unbeliebt. 2007 stimmten 98 Prozent der Teilnehmer einer Befragung dagegen, auch in Leserzuschriften wurde immer wieder Unmut laut. Auch in anderen neu zu benennenden Straßen hab es während des Beteiligungsprozesses kurzzeitig Kritik: So fühlten sich Förder- und Gewerbeverein Kranichstein über die Umbenennung der Grundstraße in Mirjam-Pressler-Straße überrumpelt, weil in einer Beteiligungsrunde der teils im Dienste des Stalinismus gestandene Architekt Ernst May favorisiert wurde. Der Straßennamenbeirat bevorzugte hingegen die Kinderbuchautorin Pressler.
Für 1700 Bewohner und Gewerbetreibende bedeutet der Akt einen Quasi-Umzug: Amtliche Dokumente müssen ab sofort umgeschrieben, Firmenschilder neu gedruckt werden. Sogenannte „Etikettierungskosten“ (etwa neue Briefbögen) übernimmt die Stadt allerdings nicht, sondern ausschließlich Maßnahmen mit einem amtlichen Zusammenhang. Ordnungsdezernent Wandrey weist in diesem Zusammenhang auf zwei offene Sprechstunden hin, die gemeinsam mit der Kfz-Zulassungsbehörde am 16. und 30. Mai für alle Anwohner und Gewerbetreibenden in den betroffenen Straßen eingerichtet werden.
Für die neuen Eintragungen in amtlichen Dokumenten gibt es einige Formalitäten zu beachten, Beispiel Änderung der Zulassungsbescheinigung Teil I (Fahrzeugschein): Hierfür müssen Bürger ein Ausweisdokument mit Meldebestätigung vorlegen. Hat der Fahrzeugschein bereits eine Adressänderung auf dem Aufkleber vermerkt, sind zusätzlich Fahrzeugbrief und das Ergebnis der Hauptuntersuchung vorzulegen. Wichtig außerdem für Firmen und Vereine: Aktuelle Gewerbeanmeldungen und Handelsregisterauszüge beziehungsweise aus dem Vereinsregister sind unbedingt mitzubringen, informiert die Stadt in einem Handout.
Nur Betroffene haben die Möglichkeit zu Rechtsmitteln
Anwohner, Vereine und Firmen werden – sofern noch nicht erfolgt – von der Verwaltung über die Umbenennungsvorgänge und ihre Pflichten informiert. Grundsätzlich, so Wandrey, gebe es auch die Möglichkeit, Widerspruch einzulegen. Laut einem Verwaltungsgerichtsurteil aus Berlin (Aktenzeichen VG 1 K 88/22) haben ausschließlich direkt Betroffene das Recht hierzu.
Wann die digitale Welt von der Umbenennung Kenntnis nimmt, ist abschließend noch nicht zu klären. Während im Stadtatlas bereits die Fritz-Bauer-Straße eingetragen ist, ließ sich Google Maps hierfür bislang Zeit. Für das Bündnis gegen Rechts ist die geschichtliche Aufarbeitung damit aber noch nicht zu Ende. „Auf den neuen OB warten Aufgaben”, meint Peter Friedl.