Bald hängt hier ein anderes Straßenschild. Foto: Arne Dedert/dpa
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DARMSTADT - Die Hindenburgstraße wird umbenannt. Eine Mehrheit im Magistrat ist am Mittwoch der nicht einstimmigen Empfehlung des Fachbeirats Straßennamen gefolgt. Damit kommt eine jahrzehntelange Diskussion zu einem Ende. Im Oktober wird es eine Infoveranstaltung für die betroffenen Anwohner und Gewerbebetriebe geben, kündigte Oberbürgermeister Jochen Partsch am Donnerstag bei einer Pressekonferenz an. Anfang kommenden Jahres werde eine Beteiligungsform gefunden sein.
Der frühere Reichspräsident Paul von Hindenburg ist einer von insgesamt acht historischen Personen, die künftig nicht mehr auf Straßenschildern zu finden sind. In Darmstadt fast ebenso prominent sind der frühere Stadtbaurat Peter Grund und der Buchkünstler Christan Heinrich von Kleukens. Peter Grund hat seine Spuren überall in der Stadt hinterlassen, Kleukens seine auf der Mathildenhöhe. Die nach Hans von der Au, Gustav Brandis, Walter Georgii, Richard Kuhn und Alarich Weiss benannten Straßen erhalten ebenfalls andere Namen.
Beibehalten werden die Straßen, die nach Robert Cauer, Bernhard Hoetger, Karl Krolow und Max Ratschow benannt sind. Pikant ist dabei insbesondere die Hoetger-Entscheidung. Der Fachbeirat hatte mehrheitlich für eine Umbenennung gestimmt, dieser Empfehlung ist allerdings der Magistrat nicht gefolgt. Hoetgers allgegenwärtige Skulpturen auf der Mathildenhöhe sind Bestandteil der Welterbebewerbung.
Seinen Namen vom Darmstädter Stadtplan zu tilgen wäre heikel gewesen, gab Partsch unter einigen Windungen und Drehungen zu. "Es gibt keine Talibanisierung der Erinnerungskultur", betonte er. Es gehe um die historische Einordnung und einen "sehr genauen wissenschaftlichen Blick auf Personen mit all ihren Gebrochenheiten".
So wurde Hindenburgs "historische und politische Verantwortung" letztlich als aberkennenswert eingestuft.
Ein Rätsel stellt für den Historiker Holger Köhn, der den Fachbeirat mit 430 Seiten Material aus allen Archiven der Republik zu den 110 überprüften Personen versorgte, und Stadtarchivar Peter Engels der Fall Peter Grund dar. Weshalb die damalige Stadtregierung mit Oberbürgermeister Ludwig Metzger und Nachfolger Ludwig Engel den als Nazi-Kader eingestuften Architekturprofessor "reingewaschen hat", wie Peter Engels es nannte, "erschließt sich nicht". Erst recht, warum der von den Nazis verfolgte Artur Bratu die beiden unterstützt hat. Engels vermutet eine Seilschaft aus Kindertagen zwischen Metzger und dem in Pfungstadt geborenen Peter Grund.
Grundlage für die Überprüfungsliste waren ursprünglich 190 von rund 500 Darmstädter Straßen, die nach Personen benannt sind, erläuterte Historiker Holger Köhn. Sie mussten vor 1929 geboren und nach 1930 gestorben sein. 80 konnten direkt ausgeschlossen werden, weil sie entweder Widerstandskämpfer waren oder emigrierten oder im Zuge der Ehrengräberüberprüfung schon durchleuchtet oder als einschlägig unbelastet schon bekannt waren. Bei den restlichen 110 konnten 93 weitere ausgeschlossen werden. Übrig blieben 17, sieben wurden einstimmig zur Aberkennung empfohlen, fünf mehrheitlich. Bei Richard Hammer, Arnold Krieger, Albin Müller, Heinz Winfried Sabais und Carl Christoph Schmelzer wurde die Lebensleistung dergestalt so eingestuft, dass die Beibehaltung empfohlen wurde.
Die TU Darmstadt zeigte sich bestürzt, dass der angesehene Wissenschaftler und Förderer Alarich Weiss seine SS-Panzerjäger-Mitgliedschaft in der Nachkriegszeit verschleierte. Die TU Darmstadt werde unmittelbar Konsequenzen ziehen und begrüßt es nachdrücklich, dass Darmstadt eine Umbenennung der Alarich-Weiss-Straße anstrebt, heißt es in einer Mitteilung.
Auch die SPD reagierte umgehend lobend auf den Magistratsbeschluss: Hier sei mit "sehr großer Sorgfalt und Sensibilität überprüft und zu einem insgesamt guten Ergebnis gekommen" worden, sagt Parteichef Tim Huss. "Erinnerungskultur lebt von kritischer Bewertung und Dialog mit den Menschen." Die Umbenennung der Hindenburgstraße biete erstmals die Chance, eine Hauptstraße in Darmstadt nach einer Frau zu benennen: nach der jüngst verstorbenen jüdischen Schriftstellerin Mirjam Pressler.