Der designierte Darmstädter Dezernent Paul Wandrey spricht über hitzige Mobilitätsdebatten, seinen neuen Job und darüber, womit er als OB-Kandidat für 2023 punkten möchte.
DARMSTADT. Der Lebenslauf von Paul Georg Wandrey hatte zuletzt deutliche Einschnitte. Ab 12. September wird der Christdemokrat neuer Dezernent, seine Partei will mit ihm für die OB-Wahl 2023 ins Rennen gehen. Im Interview spricht der 32-Jährige darüber, wie er sich auf seinen neuen Job vorbereitet, was modern-konservativ für ihn bedeutet und warum Darmstadt einen Mobilitätsfrieden nötig hat.
Herr Wandrey, erst vor kurzem wurden Sie vereidigt, bis zum Amtsantritt bleibt Ihnen ein Monat. Fakt ist, dass Sie bislang über keine Verwaltungserfahrung verfügen. Ist es ein Vor- oder Nachteil, unbeleckt zu sein? Man kann für beides argumentieren. Es ist sicherlich ein Vorteil, die Verwaltungsprozesse zu kennen. Andererseits kann es hilfreich sein, Erfahrungen in anderen Prozessen gesammelt zu haben. Die meisten Dezernenten im aktuellen Magistrat waren tatsächlich auch vorher schon in der Verwaltung tätig – ein neuer Blick von außen, den ich in der mittelständischen Wirtschaft kennengelernt habe, kann also nicht schaden.
Im Vorfeld zu Ihrer Kandidatur gab es Kritik. Eigentlich seien Sie gar nicht der beste Kandidat Ihrer Partei, ein sechstes Dezernat sei ohnehin überflüssig. Was entgegnen Sie, wenn es heißt: Der ist nur ein Schaufenster-Stadtrat? Wenn wir den Dezernatszuschnitt betrachten, ist schnell ersichtlich, dass genügend Aufgaben anstehen. Die Probleme liegen auf dem Tisch: Melde- und Ausländerbehörde, Stadtpolizei, die Frage der Feuerwehrstandorte. Worüber seltener gesprochen wird, ist die Digitalisierung der Bauaufsicht. Es ist absolut gerechtfertigt, diese Aufgaben mit der nötigen politischen Aufmerksamkeit zu versehen. Es wird mir nicht an Arbeit mangeln.
Zwei dicke Bretter haben Sie angesprochen: Das erste ist das Bürger- und Ordnungsamt. Hier haben Sie die Neuorganisation der Ausländerbehörde zu stemmen. Eine Organisationsuntersuchung empfiehlt neue fachspezifische Teams und mehr Personal, um den Bearbeitungsstau abzubauen. Was passiert, wenn Sie das nötige Personal hierfür nicht finden? Grundsätzlich sind Stellen schnell im Stellenplan eingeschrieben. Das ist aber nur der erste Schritt. Die eigentliche Arbeit kommt jetzt erst. Das Personal muss akquiriert werden. Auch ist die Frage zu stellen, warum manch andere öffentliche Arbeitgeber attraktiver erscheinen, wenn Mitarbeitende etwa zum Regierungspräsidium gewechselt sind. Das ist nicht unbedingt eine Geldfrage. Wo es hängt, möchte ich im direkten Gespräch mit den Kolleginnen und Kollegen herausfinden. Warum ist die Fluktuation so, wie sie ist? Und: Wie sind die internen Strukturen? Ich bin überzeugt, dass alle Mitarbeitenden der Ausländerbehörde Erfolgserlebnisse wollen, und die möchte ich ihnen auch ermöglichen. Hier irgendjemanden schlecht zu reden, ist falsch.
Also darf alles schonungslos offen auf den Tisch gelegt werden? Absolut. Und ich möchte den Kolleginnen und Kollegen auch die politische Rückendeckung für Umstellungen geben, falls sie nötig sein sollten
Das zweite Brett ist die Standortsuche für die neue Wache Süd für die Feuerwehr. Inwiefern kommt Ihnen hier Ihr beruflicher Background als Bauingenieur entgegen und woher kommt der vom Kämmerer projektierte dreistellige Millionenbetrag für das Gesamtpaket Neubau Nord an der Pfnorstraße und Wache Süd? Das Geld kommt aus dem Haushalt (schmunzelt). Also: Wir haben natürlich politische Ziele. Eines davon ist ein ausgeglichenes Haushaltswesen. Zugleich müssen wir aber dem Wachstum der Stadt Rechnung tragen. Die Wachen Nord und Süd müssen gebaut werden, das lässt sich nicht negieren. Mein beruflicher Background hilft mir da sicherlich, da ich viel im Industriebau unterwegs war und mich mit Standortuntersuchungen auskenne. Aus einer praktischen Sicht kann ich das also bewerten. Das Wichtigste ist aber – da Sie den Standort Süd ansprechen – die politische Haltung. Es wird keinen Standort geben, bei dem alle Hurra schreien werden. Meine Aufgabe wird es sein, jene Führungsstärke zu haben, dass wir den zu wählenden Standort auch wirklich brauchen.
Nun liebäugeln Sie mit einem noch höheren Amt und wollen neuer OB werden. Läuft Ihr Dezernenten-Job also nebenher? Die Termine zur OB-Wahl fallen, wie sie derzeit nun einmal sind. Außerdem steht es jeder Person offen, sich für dieses Amt zu bewerben. Auch, wenn ich nicht zum Stadtrat gewählt worden wäre, hätte ich genauso gut kandidieren können. Ich sehe darin also keine problematische Konstellation.
Bürden Sie sich aber nicht zugleich zu viel auf – neuer Job plus Wahlkampf? Nein, das sehe ich nicht so. In dem Zeit-Spannungsfeld befinde ich mich jetzt schon. Also Parteiarbeit, Stadtverordnetenarbeit und mein Beruf als Führungskraft in einem mittelständischen Unternehmen. Was als Arbeit unter der Woche gegebenenfalls durch mein politisches Engagement liegen bleibt, arbeite ich entweder vor oder am Wochenende nach. Dieses Pflichtbewusstsein habe ich. Gewiss werden durch die neue Tätigkeit als Stadtrat die Grenzen nun ein bisschen fließender, denn ich bin dann Berufspolitiker.
Bei Ihrer Nominierung betonte Ihre Partei, bewusst auf ein junges Gesicht zu setzen, das in der urbanen Mitte Stimmen abgreift. Bislang hat man die CDU aber nicht als hippe Großstadtpartei wahrgenommen. Wie wollen Sie verhindern, dass die Wähler sagen, das grüne Original sei ihnen lieber? Was ist denn das Original? Wir reden bei der Oberbürgermeisterwahl von einer Personenwahl. Ich kann für mich in Anspruch nehmen, Darmstädter, hier voll sozialisiert und Familienmensch zu sein. Ich bin am Puls des Geschehens und auch die politischen Entscheidungen, die ich treffe, wirken sich auf mich selbst und meine beiden Kinder aus. Ich möchte den Menschen klar machen: Ich bin genauso jemand, wie sie selbst. Die Klientel, die unserer Partei ein Stück weit abhandengekommen ist, möchte ich durch persönliche Glaubwürdigkeit zurückgewinnen.
Ihr Fraktionschef Roland Desch attestierte Ihnen, Modernes und Konservatives zu vereinen. Was heißt das für Sie? Privat habe ich ein relativ konservativ aufgestelltes Leben: Ehefrau, zwei Kinder und wir leben in einer größeren Wohnung. Familie und Gemeinschaftssinn sind mir sehr wichtig. Der liberale Aspekt ist, das eigene Lebensmodell nicht als Vorgabe für andere Menschen zu verstehen. Das kann ich für mich gut trennen und ich freue mich, dass der gesellschaftliche Wandel in den vergangenen Jahren dafür gesorgt hat, dass jeder nach seiner Fasson glücklich werden kann.
Sollten Sie OB werden, wollen Sie einen Mobilitätsfrieden herstellen, weil aus Ihrer Sicht viele Verkehrsteilnehmer ihre Rolle als absolut auffassen. Wie wollen Sie das machen – die meisten Vorhaben sind im Koalitionsvertrag abgesteckt? Der Koalitionsvertrag ist das eine. Wählerinnen und Wähler können das aber unterscheiden und wünschen sich mit dem OB eine Person, die Herausforderungen wie Mobilität verantwortungsvoll und frei von ideologischen Scheuklappen managt. Was Sie angesprochen haben, erlebe ich in der Tat. Es gibt eine gewisse Grundaggressivität, wenn viele ihre Realität zur Maxime erklären. Ich persönlich gehe als Ingenieur analytisch und rational an die Sache heran. Wir haben beispielsweise gesehen, dass eine Verbesserung im Radverkehr nicht zu einer Verschlechterung für den Autoverkehr führen muss. Diese Schärfe, mit der die Debatten bei der Mobilität geführt werden, muss raus. Wenn ich mir die Kommentarspalten in den sozialen Netzwerken ansehe, habe ich das Gefühl, die Leute brüllen sich nur noch an.
Woher kommt das? Wahrscheinlich fehlendes Verständnis für den Anderen und teilweise ein Informationsdefizit. Mir gefallen die Generalisierungen wie „die Autofahrer, die Radfahrer“ überhaupt nicht, bei denen der anderen Seite ihre Fehler im Straßenverehr vorgerechnet wird. Dabei unterscheidet sich das Fehlverhalten durchaus. Autofahrer mögen weniger Rotlichtverstöße begehen, bei Radfahrern kann das anders aussehen. Ändert sich der Mobilitätsmix, müssen sich auch die Kontrollen verändern.
Wie sind Sie selbst meistens unterwegs? Beruflich zu 100 Prozent mit dem Dienstauto. Das ist durch die räumliche Lage bedingt, da ich oft zwischen Bad Kreuznach, Frankfurt, Mannheim und Friedberg unterwegs bin. Privat ist das unterschiedlich: Langstrecken nehme ich mit dem Zug, nutze einen E-Roller und meine Kinder fahren gerne Bus und Bahn. Privat haben wir außerdem kein eigenes Auto, da nutzen wir das Carsharing bei Bedarf.
Pikant ist, dass mit Ihrem Kollegen Michael Kolmer von den Grünen ein weiterer Dezernent kandidiert. Werden Sie sich bis zur Wahl nur noch gegenseitig beäugen? Das denke ich nicht. Wir verstehen uns gut und wertschätzen uns gegenseitig und ich kann mir nicht vorstellen, dass einer von uns beiden seine Magistratsarbeit zum Opfer des eigenen Wahlkampfes machen würde. Wir haben in der Koalition eine klare Linie: Wenn mehrere Partner an einem Projekt beteiligt sind, dann sind auch alle Väter des Erfolgs.