Menschen mit Demenz verlieren nach und nach zwar ihre kognitiven Fähigkeiten, nicht aber ihre Emotionalität und ihr Fühlen. Experten schildern, was ihr Leben bereichern kann.
. Kleine Dinge, große Wirkung: Menschen mit Demenz verlieren nach und nach zwar ihre kognitiven Fähigkeiten, nicht aber ihre Emotionalität und ihr Fühlen. Es gibt eine ganze Menge von Dingen, die das Leben von Menschen mit Demenz bereichern. Experten schildern, welche Dinge das sein können.
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Lachen
Menschen mit Demenz verlieren ihre kognitiven Fähigkeiten, aber nicht ihre Emotionalität, ihr Fühlen. Deshalb sind sie zu Beginn der Erkrankung oft total verzweifelt, auch ruppig und aggressiv. Aber sie reagieren auch weiterhin auf Zuwendung und auf Ansprache. Dabei ist das Anlächeln und Anlachen – wie bei allen anderen Menschen ja auch – ein besonderer „Türöffner“. Das empfindet ein Mensch mit Demenz nicht anders als einer ohne Demenz: Man fühlt sich gesehen, wahrgenommen und mit Freundlichkeit bedacht. Oder doch, vielleicht fühlt der Mensch mit Demenz dies sogar noch etwas stärker. Weil er mehr zweifelt, weil er die Freundlichkeit und Zuwendung so dringend braucht.
Wir kennen dies hier aus der Beratung: Ein Gang zum Demenz Forum fühlt sich offenbar ähnlich an wie ein Gang zum Zahnarzt. Aber wenn der oder die Betroffene freundlich angelächelt wird, wenn er ins Gespräch einbezogen wird, wenn über Versprecher und Erinnerungslücken gemeinsam gelacht werden kann, dann ist es sofort besser. Oft gehen die Menschen mit Demenz und die Angehörigen tatsächlich in guter Stimmung aus der Beratung – selbst wenn dort noch geweint worden ist.“ Brigitte Harth, Geschäftsführerin des Demenz Forums Darmstadt e. V.
Singen
Musik wird viel länger und besser erinnert als Dinge. Gestern bin ich mit unseren zwei unter 60-jährigen der WG Waldmühle spazieren gegangen. Wir haben im Wald Weihnachtslieder gepfiffen, das war sehr schön und für beide befriedigend. Zum einen, weil sie die Melodien noch gekannt haben, zum anderen, weil die Fähigkeit des Pfeifens noch vorhanden ist. In der WG in der Büschelstraße haben wir gestern eine CD mit Weihnachtsliedern gehört, die eine Bewohnerin mit den Worten „ist das schön“ kommentiert hat. Diese Bewohnerin spricht normalerweise nur unzusammenhängend oder überhaupt nicht. Musik löst bei allen etwas aus, das schwer in Worte zu fassen ist. Der Besuch des Darmstädter Staatstheaters zum offenen Theaterfoyer mit musikalischer Vorführung für eine Stunde war jeden Monat ein Highlight für die Bewohner und Bewohnerinnen beider WGs. Hier wurden Emotionen auf den Gesichtern lesbar, die die Musik freigelassen hat. Es werden Erinnerungen geweckt, die irgendwo tief schlummern. Diese Erlebnisse sind für mich immer wieder faszinierend und bewegend.“ Adrienne Zehner, Hauskoordinatorin WG Waldmühle Ober-Ramstadt
Bewegen
Viele Menschen mit Demenz haben in bestimmten Phasen der Erkrankung einen besonders hohen Bewegungsdrang. Vermutlich liegt das auch daran, dass sie in einer Suchbewegung leben: Sie suchen nach Wörtern, Erinnerungen, nach wichtigen Dingen in ihrem Leben. Es gibt dann so eine innere Unruhe, die es schwer macht, sich hinzusetzen und zu entspannen. Bewegung kann das einfach ein Stückweit auflösen; bei Bewegung wird das überschüssige Adrenalin abgebaut. Außerdem führt wie bei allen anderen Menschen auch hier die Bewegung zur Ausschüttung von glücklich machenden Stoffen im Gehirn. Brigitte Harth, Geschäftsführerin des Demenz Forums Darmstadt e. V.
Die Betätigung auf dem Heimtrainer oder den Fitnesspedalen zaubert ein Lächeln ins Gesicht. Das ist ähnlich wie bei der Musik: Bekannte Abläufe wecken Erinnerungen, vermutlich werden positive Assoziationen damit verknüpft, man war früher bei dieser Bewegung glücklich, darum ist das Gefühl jetzt auch gut. Das Federballspiel ist ebenfalls ein lange zurück liegender erlernter Bewegungsablauf. Der Kopf vergisst, der Körper nicht. Die Abläufe sind automatisch. Ein Ball wird nicht getroffen, egal, weitermachen. Aufschlag, Kopf in den Nacken, den Federball mit den Augen verfolgen, der Arm bewegt den Schläger von alleine, der Ball wird getroffen, Glücksgefühl „ich kann es noch“, es geht weiter. Auch deshalb wollen wir Tandemräder anschaffen. Der Körper erinnert sich an den Ablauf und verrichtet seine „Arbeit“ – das Treten in die Pedale.“
Adrienne Zehner, Hauskoordinatorin WG Waldmühle Ober-Ramstadt
Dazugehören
Demenz ist eine ausschließende Erkrankung: Wer in unserer Gesellschaft nicht mehr denken kann, kann auch nicht mehr dazugehören. Es sind nicht nur die erstaunten Blicke der anderen Menschen, wenn der Mensch mit Demenz etwas Merkwürdiges sagt, es ist auch der eigene Anspruch, das eigene Gefühl, das ausschließt: Ich genüge nicht mehr, ich verstehe nicht, um was es hier geht. Deshalb ist Lächeln und Lachen so wichtig.“ Brigitte Harth, Geschäftsführerin des Demenz Forums Darmstadt e. V.
Mitmachen
Häufig ziehen sich demenziell erkrankte Menschen immer mehr in ihre eigene Welt zurück. Wichtig ist es Aktivitäten, zum Beispiel im Haushalt, anzubieten, die derjenige gerne gemacht hat. Beispiel hierfür sind das Kartoffeln schälen. Eingebaut werden die Tätigkeiten im normalen Tagesablauf. Es ist ein Stück „Normalität“, die dem Menschen mit Demenz zeigt „ich werde gebraucht“. In Schulungen habe ich häufig mit Angehörigen gesprochen, die dem Menschen mit Demenz alles abgenommen haben. Sie durften nicht mal mehr ein Brot schmieren. Natürlich ist es für Angehörige nicht einfach zu sehen, dass die Tätigkeiten langsamer gemacht werden, sie sind ungeduldig. Auch ist es kein Problem, wenn ein Brot mit Butter und Frischkäse bestrichen wird. Hauptsache der Mensch mit Demenz hat es selbst gemacht. Eine wichtige Erkenntnis, die mir eine Betreuungskraft aus einem Altenheim zu diesem Thema gesagt hat, ist: „Der Weg ist das Ziel“. Auch wenn das Brot nicht so schön aussieht oder die Kartoffelschale zu dick ist. Es wurde selbst gemacht – und es ist eine sinnvolle Aufgabe. Wobei ein Lob für die Tätigkeit auch wichtig ist.“ Elke Boß, Beraterin Fachstelle Demenz, Diakonisches Werk Odenwald
Berühren
Für viele Demenzkranke ist es wichtig, körperliche Nähe zuzulassen. Durch die Berührung spürt der Demenzkranke, dass man sich ihm zuwendet, ihm Aufmerksamkeit schenkt. Er fühlt sich wahrgenommen. Es handelt sich dabei um kleine Gesten: die Hand, die auf den Arm gelegt wird, ein Händedruck. Dabei muss man aber sehr einfühlsam handeln. Ganz wichtig ist es, die individuellen Grenzen zu erkennen. Nicht jeder mag es, wenn ihm über den Kopf gestrichen oder die Wange gestreichelt wird. Da muss die Betreuungsperson – oder auch der Angehörige – sehr sensibel und feinfühlig vorgehen und schauen, wie sein Gegenüber reagiert. Demenzkranke können nicht mehr so gut formulieren, dafür drücken sie oft durch ihre Mimik oder ein Lächeln aus, ob sie etwas mögen oder nicht. Man kann auch mal einen Menschen an die Hand nehmen und mit ihm durch den Raum tanzen. Ich versuche bei Kranken, die im Rollstuhl sitzen, immer auf Augenhöhe mit ihnen zu kommunizieren, indem ich mich hinknie, dabei auch mal die Hand auf die Beine lege, sofern der oder diejenige das möchte.“ Carola Friemel, Betreuungskraft der Demenzgruppe des DRK Kreisverband Bergstraße, Heppenheim
Respektieren
Die Haltung, die ein Angehöriger dem Demenzkranken gegenüber einnimmt, und der Respekt, den er ihm entgegenbringt, das heißt wie er ihn behandelt, ist extrem wichtig für den Demenzkranken. Allerdings ist das eigentlich keine Kleinigkeit, sondern ein großer Schritt, den Ehepartner oder die Kinder des Demenzkranken da oft gehen müssen. Es ist nicht leicht für die Angehörigen zu akzeptieren, dass der frühere Ehemann, der vielleicht Vorstandschef einer Bank gewesen war, jetzt plötzlich gerne Dinge tut wie ein kleines Kind. Es fällt nicht immer leicht, da eine gewisse Gelassenheit zu entwickeln und offen mit der Krankheit umzugehen. Aber es hat etwas mit Respekt zu tun.“ Annett Vielemeyer, Leiterin der Alzheimer- und Demenzkranken Gesellschaft Rüsselsheim e.V.