Das Schlossgrabenfest und die Schlafräuber

Auftakt beim Schlossgrabenfest: Sänger Florian Fussel von "Arkaden" steigt von der Bühne herab auf den Karolinenplatz.

Das Open-Air-Musikfestival beginnt mit spontanen Lärm-Auflagen des Gerichts und heftigem „Pöbel-Pop“ der Band „Arkaden“. Das klingt prima. Aber geht das auch gut?

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Darmstadt. Als es losgeht, stehen 28 Leute in der ersten Reihe. Und dahinter auf dem Platz vor der großen Merck-Bühne vielleicht noch mal so viele. Das Quartett „Arkaden“ aber legt los, als wäre das Schlossgrabenfest an diesem frühen Donnerstagabend schon proppenvoll. „Und alles, was mir den Schlaf raubt, sieht von da oben winzig aus“, singt Florian Fussel knarzend und knarrend. Und es klingt, als hätte er sich die ersten Zeilen extra für diesen Anlass ausgesucht. Schlafraub soll es hier nämlich nicht geben.

Am Vormittag kam die Nachricht vom Verwaltungsgericht, dass wegen der Klage eines Anwohners Lärmgrenzwerte einzuhalten seien: Am Donnerstag bis 22 Uhr nicht mehr als Rasenmäher-Sound beim Kläger daheim, danach nur das, was auch der Straßenverkehr rockt. Ob das bei einem Musikfestival in der Innenstadt realistisch ist? Beim Soundcheck der „Arkaden“ spürt man den Schalldruck der Bassdrum jedenfalls selbst vor der Galerie Netuschil noch im Magen. Und als sie dann loslegen, wirkt der Beat ganz vorne an der Bühne wie eine Herzdruckmassage.

Die Arkaden auf der Merck-Bühne.
Die Arkaden auf der Merck-Bühne. (© Sascha Lotz)
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Der Platz füllt sich langsam. Florian Fussel springt mit dem Mikro über die Absperrung, liefert sich mit einer Dame ein Pogo-Duett. „Pöbel-Pop“ nennen sie ihre Musik, was für den Festivalauftakt als Prädikat gelten darf. Laut und heftig. So muss das sein, wenn rund um den Schlossgraben die Boxen aufgedreht werden. Aber darf das auch so sein? Das wird in den nächsten Tagen wohl noch spannend.

Die Arkaden auf der Merck-Bühne.
Die Arkaden auf der Merck-Bühne. (© Sascha Lotz)

Jutta Jöckel aus Pfungstadt jedenfalls, die neben dem Mischpult steht, versteht nicht recht, warum das Gericht das Musikfest mit Auflagen einschränkt: „Das ist nur ein Wochenende.“ Freundin Silvia Baumbach schüttelt auch den Kopf: „Nach so langer Zeit mit Corona sind doch alle froh, dass sie wieder rauskommen.“ Dass es mittlerweile Eintritt kostet beim Schlossgrabenfest, finden die Pfungstädterinnen „mehr wie okay. „Es wird ja alles teurer“, sagt Jutta Jöckel.

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Wie das im vergangenen Jahr eingeführte Ticketsystem den Konsum beeinflusst, kann der Essener Mario Bimmermann noch nicht abschätzen. Seit 2015 ist er mit seinem Foodtruck „Pommes pervers“ dabei: „Das hat nix mit Sexualisierung zu tun. Ist nur lecker geil!“ Die Geschäfte jedenfalls liefen all die Jahre „beständig. Sonst wären wir nicht hier.“ Und ob es ein Nachteil ist, dass heute weniger Leute aufs Gelände drängen als noch zu Zeiten des freien Zugangs, lässt er dahingestellt. „Es ist anders, die Leute bleiben vielleicht auch länger, haben mehr Platz zum Verzehr.“ Für Bimmermann gilt der erste Satz der Gastro-Mathematik: „Masse ist nicht gleich Umsatz.“

Angesichts des trocken-lauen Wetters, das für die kommenden Tage vorhergesagt ist, können sie in ihren Buden hier wohl alle optimistisch sein – egal ob sie „Hessische Tabbas“ (Kochbratwurst naggisch), Flammlachs vom Holzfeuer oder den Mboga-Teller aus Nairobi (Weißkohlkarottenpaprika) feilbieten. Hinter der Budenreihe auf dem Friedensplatz ist die Stimmung bei Haroun Ismael hingegen nicht so gut. Er ist mit seinem Lokal jetzt in einem schmalen Streifen eingezäunt, fühlt sich als Nachbar des Festivals übergangen, wünscht sich eine offene Stadt und lobt das Heinerfest als Vorbild. Mehr noch als die moderaten Eintrittspreise hatten auch in diesem Jahr wieder die abendlichen Absperrungen für Kritik gesorgt.

Die Arkaden auf der Merck-Bühne.
Die Arkaden auf der Merck-Bühne. (© Sascha Lotz)

Auf dem Festgelände selbst aber lässt sich die Stimmung gut an. Jutta Jöckel und Silvia Baumbach sind vom Auftakt mit „Arkaden“ angetan. Zum fünften Mal sind sie beim Schlossgrabenfest. Anfangs wegen der Kinder, nun machen sie eine Girls Night draus. Auf den Rapper Montez und den Sänger 1986zig sind sie gespannt. Haben sie von ihren Kindern gehört und auf Youtube gecheckt. Und jetzt bitte live.