Das ist die Frau hinter den Echo-Leserimpulsen

aus Leserimpuls

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"Fotografiert mich bloß nicht mit einem Telefon", sagt Alexandra Welsch. Na gut. Also wird die Telefonzelle in der Redaktion, die wir auch zum Geburtstagsinterview für 20 Jahre Leserimpulse nutzen, ohne abgelichtet. Viele Leser melden sich inzwischen ja sowieso auch per Mail.

Happy Birthday „Leserimpulse“! Das Echo-Format gibt es seit 20 Jahren. Autorin Alexandra Welsch über das Erfolgsrezept, auch und gerade in Zeiten von Hatespeech im Netz.

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Darmstadt. Ring-Ring! Viele Tausend mal hat in der Redaktion inzwischen das Telefon geklingelt. Am 22. Mai 2003, vor genau 20 Jahren, hat das Echo den allerersten „Leserimpuls“ gedruckt. Alexandra Welsch hat die wöchentliche Kolumne, die es bis heute in quasi unveränderter Form gibt, erfunden. Und sie geht ran, Woche für Woche, wenn Darmstädterinnen und Darmstädter in der donnerstäglichen Sprechstunde anrufen und erklären, wo der Schuh drückt. Was Alexandra Welsch dabei erlebt, wie sie auf die Idee kam und warum die Menschen dann doch besser am Telefon mal meckern, das erklärt sie im Geburtstagsinterview.

Ein Echo ohne Leserimpulse? Das ist kaum noch denkbar. Egal ob in Print oder Online, wir wissen, dass viele unserer Leser diese Kolumne lieben. Alleine im Netz lesen wöchentlich mehrere Tausend Menschen, welche Themen die Darmstädter dir ins Lesertelefon rufen. Alexandra, du hast die Leserimpulse vor genau 20 Jahren erfunden. Hättest du dir das träumen lassen?

Ich habe damals schon gedacht, dass es Potenzial hat, den Menschen einen direkten Draht zu uns zu geben. Nicht alle Themen liegen auf der Straße. Aber dass es über diese lange Zeit und trotz der vielen Veränderungen in der Medienlandschaft funktioniert, das war damals kaum absehbar. Es steht und fällt ja damit, dass die Menschen uns anrufen. Und ich freue mich sehr, dass es so ist.

Eine Zeit, eine Nummer, ein Mensch ... und maulende Heiner?

Wie bist du auf die Idee gekommen, weißt du das noch?

Ich war damals schon als Lokaljournalistin in Darmstadt unterwegs – und bin oft angesprochen worden, im Supermarkt oder in der Kneipe. Das geht uns ja allen so. Ich dachte, dieses Potenzial können wir kanalisieren und aktivieren: Jeder kann uns ansprechen, und das Konzept hinter den Leserimpulsen ist, dafür einen ganz direkten Draht zu geben: Eine Zeit, eine Nummer, ein Mensch....

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Seit 20 Jahren gibt es im Lokalteil Darmstadt die Rubrik "Leserimpuls der Woche" - von Anfang an kümmert sich Alexandra Welsch um diese wöchentliche Berichterstattung.
Seit 20 Jahren gibt es im Lokalteil Darmstadt die Rubrik „Leserimpuls der Woche” – von Anfang an kümmert sich Alexandra Welsch um diese wöchentliche Berichterstattung. (© Guido Schiek)

...der sich das Gemecker der Heiner dann anhört? Früher war die Rubrik ja sogar so unterschrieben: „Der Heiner mault gern. Aber manchmal besteht dazu auch Grund.”

Die Sorge war anfangs schon da, dass der Respekt der Anrufenden fehlen könnte. Die Leserimpulse sind keine Meckerecke, und das ist mir auch echt wichtig. Sonst hätten wir sie „Ewwe langt’s” oder „Des regt misch uff” genannt. Aber es ist ganz anders gekommen.

Auch in Zeiten von Hate Speech und Sozialem Terror im Netz?

Ja. Die Menschen, die bei uns anrufen, müssen mit ihrem Namen zu ihrer Kritik stehen. Das ist ein ganz gravierender Unterschied zu den Kommentarspalten in den Sozialen Medien. Natürlich sind viele der Anrufer über 50 Jahre alt, aber es melden sich auch viele Jüngere, Studierende, sogar Kinder. Ich glaube schon, dass es kanalisieren kann, wenn man seine Kritik oder seine Verzweiflung am Lesertelefon loswerden kann. Konstruktiv.

Es ist genau das, was Lokaljournalismus tut

Wie wählst du aus, was ein Fall für den Leserimpuls wird? Du kriegst ja in jeder Woche zwischen fünf und fünfzehn Impulsideen.

Das Problem darf keine reine Privatangelegenheit sein, sondern pars pro toto für etwas Übergeordnetes, Größeres stehen. Es ist genau das, was Lokaljournalismus immer tut: Kann man das Weltgeschehen an einem Einzelfall erzählen? Kürzlich, bei dem Leserimpuls über die Mandel-OPs wusste ich sofort, dass es ein Thema für uns ist. Als mich der Opa des betroffenen Kindes anrief, hatte ich gerade einen großen Bericht in der Süddeutschen über das Problem gelesen. Manche andere Fälle werden erst dann zum Leserimpuls, wenn sich die Fälle häufen. Ein Nachbar, der über Ruhestörung klagt, ist ein Einzelfall. Mehrere Nachbarn können ein Thema sein. Wichtig ist mir außerdem, dass die Impulsgeber vorab ihrem Gegenüber die Chance gegeben haben, den Fall selbst zu heilen, bevor sie das Thema über uns öffentlich machen. 

Alexandra Welsch hat vor 20 Jahren auch bei anderen Medien nach Vorbildern für den Leserimpuls gesucht. Nur eine Handvoll Beispiele hat sie gefunden.
Alexandra Welsch hat vor 20 Jahren auch bei anderen Medien nach Vorbildern für den Leserimpuls gesucht. Nur eine Handvoll Beispiele hat sie gefunden. (© Guido Schiek)
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Gibt es einen Leserimpuls aus den vergangenen 20 Jahren, der dich besonders bewegt hat?

Mich rief ein Vater an, der Hartz IV bekommen hat. Sein Sohn ging aufs Gymnasium, wurde 15 Jahre alt und fiel damit aus der Unterstützung durch den Schulmittelfonds raus. Für mich war das ein Leserimpuls Deluxe: Wir konnten an dieser Familie so viel erzählen. Dass es arme Kinder in Darmstadt gibt – bis heute übrigens gleichbleibend viele –, dass deren Familien jenseits aller Klischees an Bildung interessiert sind und sich nicht in ihrem Schicksal ergeben. Dass es schon eine Struktur gibt, die hilft. Aber Lücken hat. Und im Nachgang auch, dass die Stadt, damals noch unter Sozial- und Jugenddezernent Jochen Partsch, bereit ist, das zu ändern. Und, dass sich viele Echo-Leser gemeldet haben, die mit bürgerschaftlicher Hilfe für die Familie eingesprungen sind.

Fragen Sie sich, wie die Müllgebühren zustande kommen? Ärgern Sie sich über einen nicht nachvollziehbaren Behördenakt oder ein Problem mit einem Dienstleister? In dieser Kolumne geht es darum, was Sie in Darmstadt bewegt. Ihre Leserimpulse nehmen wir donnerstags zwischen 15 und 17 Uhr unter der Telefonnummer 06151-3 87 29 33 auf. Oder schreiben Sie per E-Mail an: darmstaedter-echo@vrm.de
Fragen Sie sich, wie die Müllgebühren zustande kommen? Ärgern Sie sich über einen nicht nachvollziehbaren Behördenakt oder ein Problem mit einem Dienstleister? In dieser Kolumne geht es darum, was Sie in Darmstadt bewegt. Ihre Leserimpulse nehmen wir donnerstags zwischen 15 und 17 Uhr unter der Telefonnummer 06151-3 87 29 33 auf. Oder schreiben Sie per E-Mail an: darmstaedter-echo@vrm.de (© VRM)

Hast du einen Geburtstagswunsch für die nächsten 20 Jahre Leserimpulse?

Tatsächlich habe ich den. Frei nach Erich Kästner: Wo bleibt das Positive? Konstruktive Ideen, wie kann man etwas in Darmstadt besser machen, welche Menschen tun etwas besonders Positives. Auch dazu haben sich über die Jahre Menschen gemeldet, aber das darf gerne mehr sein. Wie gesagt: Das ist keine Meckerecke.