Zehn Jahre alt, offene Wunden an den Beinen: Hund Efe ist ein typischer Pflegefall im Darmstädter Tierheim. Die Chancen, dass er doch noch vermittelt wird, stehen schlecht.
DARMSTADT. "Die Tierheime in Hessen sind voll mit schwierigen Hunden, die gebissen haben, es muss sich etwas ändern", hieß es kürzlich in einer Meldung des Landestierschutzverband Hessen. Eine Nachfrage beim Tierheim in Darmstadt ergibt ein komplett anderes Bild: Unter den 36 Hunden, die dort derzeit betreut werden, sind gerade mal zwei, die Menschen gebissen haben: Ein Terrier und ein Schäferhund. Beide werden von Mitarbeitern betreut, die die Tiere im Griff haben. Größere Sorgen bereiten dem Team die vielen Vierbeiner, die alt und krank im Tierheim abgegeben werden - und die keiner mehr haben will.
"Es ist ein Trend, der sich in diesem Jahr fortsetzt", sagt Tierheim-Mitarbeiterin Claudia Kadow: Immer mehr alte und kranke Tiere werden in der Einrichtung abgegeben. Sie brauchen besonders viel Zuwendung, Pflege und Zeit. Die Gründe, warum sie im Tierheim landen, sind unterschiedlich. Aus Zeitmangel, weil die Pflege aufwendig ist oder das Geld für Tierarzt und Medikamente fehlt.
Alt, krank und ein Listenhund
Efe, ein Kangal, ist so ein typischer Pflegefall. Er kam Anfang des Jahres ins Tierheim. Der Rüde war von seinem Halter schlecht behandelt worden und hat seitdem offene Wunden an den Beinen. "Sie müssen täglich behandelt werden", sagt Claudia Kadow. Außerdem zählt er mit seinen zehn Jahren zu den Senioren. Das schreckt viele Menschen ab, die auf der Suche nach einem Hausgenossen ins Tierheim kommen. Hinzu kommt, dass der Kangal in Hessen auf der Liste der als gefährlich geltenden Hunde steht. Die Chancen, dass Problemhund Efe doch noch vermittelt wird, stehen also schlecht. Obwohl er freundlich zu Menschen ist, offen und geduldig.
Von einer Zunahme an Beißattacken, wie es der Landestierschutzverband meldet, kann die Darmstädter Einrichtung nicht berichten. Nach Angaben des Innenministeriums hat es 2018 hessenweit insgesamt 283 Vorfälle gegeben, bei den Menschen durch Bisse verletzt wurden. Hinzu kamen 266 Fälle, bei denen die Tiere Artgenossen gegenüber aggressiv waren und sie auch gebissen haben.
In Darmstadt wurden im vergangenen Jahr drei Fälle registriert, bei denen Menschen gebissen wurden, und vier Beißattacken unter Hunden. Der Landestierschutzverband fordert eine Chip-Pflicht, um die Tierbesitzer in solchen Fällen in die Pflicht nehmen zu können. Mit einem unter der Haut platzierten Identifikationschip, so die Argumentation der Tierschützer, könnten in vielen Fällen Hundebesitzer ermittelt und zur Verantwortung gezogen werden. In Darmstadt sind jedoch Tiere ohne Chip eher selten, sagt Claudia Kadow. Für freilaufende Katzen gelte ohnehin eine Kastrations- und Kennzeichnungspflicht, fast alle Hunde, die ins Tierheim kommen, seien mit einem Chip ausgestattet. Manche Tierbesitzer würden jedoch vergessen, ihre Vierbeiner nach dem Chippen auch in einer Datenbank wie www.tasso.net zu registrieren. Ohne diese Infos, so Claudia Kadow, seien die Mikrochips nutzlos.
Um Beißattacken einzudämmen, rät Tierheimleiter Christian Zentgraf ohnehin zu einem Hundeführerschein - und zwar für alle Hunderassen. Wie sich ein Hund verhalte, hänge von der Art der Aufzucht, der Erziehung und der Sozialisation ab. Der Tierarzt ist deshalb gegen Listen und stattdessen dafür, dass alle Hundehalter einen Hundeführerschein machen müssen und jeder Hund einen Wesenstest, um die Gefährlichkeit - unabhängig von seiner Rasse - abschätzen zu können. 2012 war ein entsprechender Gesetzesentwurf der SPD für einen verpflichtenden Hundeführerschein im Hessischen Landtag abgeschmettert worden - "obwohl er viele Tierschutz- und Sicherheitsaspekte erfasste", bedauert Zentgraf.