Bei Magersucht sollten Eltern auf frühe Warnzeichen achten, rät die Darmstädter Psychiaterin Sigrid Gerlach. Welche Anzeichen das sein können.
DARMSTADT. Kinder denken üblicherweise nicht viel über ihr Gewicht und ihre Ernährung nach. Mit Beginn der Pubertät kann sich das ändern. Jetzt spielen das Aussehen und die Figur eine zunehmende Rolle. Dennoch sollten Eltern hellhörig werden, wenn ihr Kind sich immer öfter auf die Waage stellt, immer kleinere Portionen zu sich nimmt, vor allem auf fett- und zuckerhaltige Speisen verzichtet und Mahlzeiten mitunter ganz auslässt. Solche Verhaltensweisen können auf eine Magersucht, in der Fachsprache Anorexia nervosa oder kurz Anorexie, hinweisen. Das ist eine Form von Essstörung, die besonders häufig bei jungen Mädchen auftritt und mit einer abnormen Gewichtsabnahme und einer verzerrten Körperwahrnehmung einhergeht. Betroffene Mädchen fühlen sich dick, obwohl sie tatsächlich zu wenig Gewicht auf die Waage bringen.
Auch Jungen können magersüchtig sein. Bei ihnen äußert sich die Essstörung allerdings eher in einem zwanghaften Wunsch, so schlank wie möglich zu sein und gleichzeitig Muskeln aufzubauen. Bei allen Betroffenen kann neben dem krankhaften Ess- auch ein exzessives Sportverhalten (aus dem zwanghaften Wunsch, Kalorien abzutrainieren) auffallen. In manchen Fällen verweigern die Kinder sogar eine ausreichende Flüssigkeitsaufnahme aus Angst, ihr Körper würde aufquellen.
Zu Beginn kann eine Magersucht für betroffene Kinder auch positive Aspekte beinhalten. Sie beschäftigen sich viel mit ihrer Ernährung, finden andere, die sie darin bestärken und erleben diese Veränderung als identitätsstiftend.
Dennoch ist es ganz wichtig, schon die frühen Anzeichen ernst zu nehmen und das Kind darauf anzusprechen. Denn langfristig führt eine Magersucht zu einer sozialen Vereinsamung, weil die Kinder sich nicht mehr trauen, an normalen Aktivitäten teilzunehmen. Oft fühlen sie sich schuldig, und leiden unter Scham und Ekel. Außerdem bringt eine Unterernährung langfristig eine Reihe von schwerwiegenden körperlichen Auswirkungen mit sich. So sinkt die Knochendichte, das Herz-Kreislaufsystem schaltet auf Sparflamme und die Durchblutung außerhalb des Körperstamms ist gedrosselt. Sogar die Gehirnmasse kann schrumpfen. Durch eine veränderte Hormonproduktion kommt es zu Wachstums- und Entwicklungsstörungen. Auch eine Zunahme der Körperbehaarung bei gleichzeitigem Haarausfall am Kopf kann durch eine Unterernährung bedingt sein. Bei magersüchtigen Mädchen schwindet auch die Muskelmasse. Sie frieren schnell und oft kommt es zu Kältezittern.
Wenn ein Kind Anzeichen einer Magersucht aufweist, sollten Eltern sich nicht scheuen, es offen, zum Beispiel so darauf anzusprechen: „Wir machen uns Sorgen, wir wollen verstehen, was los ist.“ Ganz wichtig sind gemeinsame Mahlzeiten, bei denen die Eltern ihr Kind wieder an normale Mahlzeiten heranführen können. Auch sollte unbedingt der Kinderarzt hinzugezogen werden. Er wird weitere notwendige Schritte, wie eine Psychotherapie, eine Ernährungstherapie, sowie medizinische Maßnahmen in die Wege leiten. Zusätzlich kann eine Familienberatung dazu beitragen, ein stabiles häusliches Umfeld für die betroffenen Kinder und ihre Angehörigen zu schaffen.
Von Sigrid Gerlach