Der Block um den Lichtenbergplatz könnte als erster in Darmstadt systematisch von Schleich- und Durchgangsverkehr befreit werden. Was spricht ausgerechnet für diese Nachbarschaft?
DARMSTADT. Ein Quartier ohne Durchgangsverkehr, in dem die Anwohner langsam durch ihre Wohnstraßen rollen und Radler, Fußgänger und Leihautos mehr Platz haben: Diese Vorstellung will die Stadt im Sommer 2023 verwirklichen. Der Block um den Lichtenbergplatz im Martinsviertel zählt zu den Favoriten für den Pilotversuch. Das bestätigt der Mobilitätsdezernent Michael Kolmer (Grüne) jetzt auf Anfrage. Eine Bürgerinitiative macht derweil Druck, dass das Vorhaben schon schneller in Gang kommt.
Den Lichtenberg-Block haben Kolmer, Verkehrsfachleute der Stadt und die Engagierten der Gruppe Heinerblocks schon im Oktober letzten Jahres genauer angeschaut. Auch andere Wohnblöcke im Martins- und Johannesviertel wurden geprüft. Auch wenn sich noch niemand offiziell festlegt: Das Quartier mit dem Pizza-Grundriss um den Lichtenbergplatz, zwischen Rhönring, Heinheimer und Kranichsteiner Straße gelegen, gehöre zu den Kandidaten, „die als Testquartier besonders geeignet sind“, sagt das Dezernat jetzt.
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Ein „autoarmes Bestandsquartier“ auszuweisen, darauf hatten sich die drei Koalitionsparteien schon in ihrem Vertrag festgelegt. In dieser Legislaturperiode wolle man anfangen, dann prüfen, wie sich das Prinzip auf andere Viertel übertragen lasse. Es würde den Charakter innerhalb der Blöcke radikal verändern – und damit die Lebensqualität heben, so die Hoffnung der Politik wie auch der Initiative.
Öffentlicher Raum als "Wohnzimmer"
Autoarmes Quartier, das würde laut der Koalition bedeuten: Der Kraftverkehr wird „auf das absolut Nötigste reduziert und der gewonnene Straßenraum wiederbelebt und begrünt“. Das betrifft auch das Abstellen von Autos auf öffentlichen Straßen und Plätzen: Quartiersgaragen sollen dabei ebenso helfen wie das Anwohnerparken. Das soll, so der Plan der Stadtregierung, im Sommer 2023 im Martinsviertel kommen, im Zuge der Parkraumbewirtschaftung. Kostenfrei sein Auto auf der Gass‘ abstellen, das ist dann vorbei. Warum aber der Lichtenberg-Block?
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Die Gruppe Heinerblocks, sieben Aktive nicht nur aus dem Martinsviertel, hat sich wie auch die Verwaltung acht mögliche Wohnblöcke angeschaut. Rings um den Lichtenbergplatz, sagen sie, gebe es schon gute Ansätze, an die sich anknüpfen ließe. Am Lichtenberg- und Riegerplatz, vormals Abstellfläche für Autos, hätten sich öffentliche Räume gebildet, die nicht nur für die direkte Nachbarschaft ein guter Treffpunkt seien. Die Idee von öffentlichem Raum als „Wohnzimmer“, sagen sie, werde hier schon gelebt – so gut es geht.
Verkehr ist Gefahr für die Kinder
Beschränkungen erlebten die Nachbarn vor allem durch Such- und Schleichverkehr, sagen die Aktiven. Luisa Emrich sagt: „An vielen Stellen ist die heutige Parksituation nicht zulässig, es gibt viel Gehweg-Parken aus Gewohnheit.“ Für viel Durchgangsverkehr sorgten die Pendler, die zu Stoßzeiten auf dem Rhönring auf die parallele Liebfrauenstraße ausweichen – eine reine Wohnstraße, eigentlich.
Den hohen Verkehrsdruck spüren auch die Kinder und Jugendlichen aus dem Quartier, die Richtung der Schulen am Bürgerpark durchs Viertel laufen. Eltern schreiben in einem Kommentar auf der Heinerblocks-Website: „Unsere Tochter lassen wir in dieser Situation nicht alleine zur Schule gehen. Ich habe schon erlebt, dass andere Kinder auf dem Weg zur Schule in einer Spielstraße (!) von einer Autofahrerin weggehupt wurden.“ Das kann anders werden – mit zunächst geringem Aufwand, sagt die Initiative.
Wunsch nach Einbahnstraßen und Temposenkung
Eine Handvoll Diagonalsperren und Schilder reichten für den Anfang aus, sagen die Bürgerinnen und Bürger. Damit ließen sich Durchgangsstraßen unterbrechen, mehr Einbahnstraßen herstellen. Erhoffte Folge: „Es würde sich nicht mehr lohnen, ins Quartier reinzufahren“, sagt Emrich – außer für die Bewohner selbst. „Jedes Haus im Block bleibt weiterhin erreichbar.“
Dazu müsste das Tempo gesenkt werden. In den „Superblocks“ von Barcelona, die in vielen Städten als Vorbild dienen, darf nur noch mit 10 Stundenkilometer übers Pflaster gerollt werden.
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Mehr Stellplätze für Räder sowie für Car- und Bikesharing stellt sich die Initiative auch vor, im Einklang mit dem Mobilitätsdezernat. Stadtmöbel und Begrünung kämen dazu, um mehr Leben auf die Straßen und Plätze zu bringen.
Bürgerinitiative macht Druck
Wie all das laufen könnte, dazu haben die Heinerblocks eine „Konzeptidee“ vorgelegt, als Diskussionsgrundlage. Aber auch mit einer Forderung: Die Stadtverordneten sollten ein entsprechendes Konzept „im Herbst 2022 der Öffentlichkeit vorstellen, dann einen Beteiligungsprozess einleiten“. Im Frühjahr soll’s dann losgehen. Eine entsprechende Petition haben seit Mitte Juni mehr als 300 Menschen unterzeichnet.
Das sieht das Dezernat anders: Erst wird die Parkraum-Bewirtschaftung eingeführt, dann folgt die „Neuordnung der Flächen“ – und das erst „in den Sommermonaten im kommenden Jahr“.