Patrick Lange steht unter Druck: Es ist ein Prädikat, aber auch eine große Bürde, als Titelverteidiger beim Ironman auf Hawaii zu starten.
Von Udo Döring
Sportredakteur
Für Patrick ist es ein Prädikat, aber auch eine große Bürde, als Titelverteidiger beim Ironman auf Hawaii zu starten.
(Archivfoto: dpa)
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Darmstadt - Die Last der Krone wiegt schwer“, sagt Faris Al-Sultan. „Die Krone wiegt im wahrsten Sinne des Wortes schon schwer“, sagt Patrick Lange. Gleiche Ausgangslage, fast gleicher Wortlaut. Beide beschreiben das Gefühl, als Könige nach Kona zurückzukehren. Nun klingt die Erhebung in den Adelsstand ein wenig vermessen. Geht es doch nur um Sport. Doch der Dreikampf hat sich seit der Erfindung des Ironman im Jahr 1978 den Status der Königsdisziplin im Ausdauersport erkämpft.
Sechs deutsche Eisenmänner wurden bislang auf Hawaii gefeiert. Faris Al-Sultan war der Dritte nach Thomas Hellriegel (1997) und Normann Stadler (2004 und 2006). Der Münchner mit irakischen Wurzeln lief 2005 mit der bayerischen Fahne durch den Zielkanal. Ein Moment, der ein Leben verändert. „Du bist wie im Zug. Du sitzt im ICE und die Landschaft rauscht an dir vorbei“, beschreibt der heute 40-Jährige die Phase, die sich dem großen Triumph anschließt: „Das läuft alles wie im Film ab. Du hast überhaupt noch nix kapiert, gibst Interviews, wirst rumgereicht, schüttelst unglaublich viele Hände und vergisst, wem du alles begegnet bist.“
Irgendwann kommt die Phase, in der der Athlet wieder in seinen gewohnten Rhythmus eintaucht. Training, Wettkampf, Training. Denkt er zumindest. „Aber alle schauen dich auf einmal ganz anders an als vorher. Natürlich warst du auch vorher kein totaler Nasenbär, wenn du Hawaii gewinnst. Aber jetzt schauen dich alle an mit dem Blick: Oh Gott, da ist der Chef. Und immer, wenn eine Frage gestellt wird, erwarten die Leute, dass du die Antwort hast. Das ist schon überwältigend und auch belastend.“
Patrick Lange ist trotz der Last eine entspannte Rückkehr gelungen
Die Nachfrage ist groß, die eigene Verlockung auch. „Ich habe unheimlich viele Wettkämpfe bestritten und als ich in Kona wieder an der Startlinie war, war ich schon beschädigt.“ Die persönlichen Lehren hat er natürlich Patrick Lange vermittelt. Der Hawaii-König von einst führte den aktuellen Regenten als Trainer bis auf den Thron. Als Teil eines Umfeldes, das sich in den vergangenen 13 Jahren für Profi-Triathleten freilich dramatisch verändert hat. „Ich möchte nicht wissen, wie viele Interviews ich gegeben habe bis hin zu irgendwelchen Schülerzeitungen. Das wird bei Patrick rausgefiltert und man versucht, die unwichtigen Sachen von ihm wegzuhalten. Das Drumherum ist wesentlich professioneller als damals bei mir.“
Ein fünfköpfiges Team bildet auf Hawaii den engeren Zirkel um den Titelverteidiger. Mit Manager Jan Sibbersen an der Spitze. „Was wir für die Medien und Sponsoren machen, ist alles seit Längerem vereinbart und sorgsam geplant. Wir wollen keine totale Vereinnahmung gerade in der Rennwoche. In dieser Phase muss er Zeit haben, sich auszuruhen“, sagt der Unternehmer, der selbst noch ins Rennen geht. Als Altersklassenathlet strebt er die schnellste Schwimmzeit an – aller Athleten wohlgemerkt. Im Vorjahr waren nur vier Profis schneller im Wasser, in der ewigen Bestenliste der Hawaii-Schwimmzeiten steht Sibbersen auf Rang drei.
Auch dank des Umfeldes ist Patrick Lange bei aller Last der Krone eine entspannte Rückkehr gelungen auf die Insel, die nach seinen Worten sein Leben komplett verändert hat. „Es hat mich direkt gepackt, ich hatte gleich positive Gefühle, und all die Erinnerungen an die vergangenen beiden Jahre waren sofort präsent“, beschreibt Lange die erste Zeit nach der Ankunft. Als Hauptdarsteller auf einer Insel, die sich in einen Triathlon-Ausnahmezustand steigert, wurden die zwei Tage vor dem Wettkampf von allen Verpflichtungen freigeräumt. „Zeit für mich, um darüber nachzudenken, was dieser Sport für mich bedeutet und wie hart ich für diesen Kindheitstraum gearbeitet habe“, sinniert Lange.
Nach Platz drei beim Debüt 2016 und dem Sieg im Vorjahr soll der dritte große Auftritt folgen – der dann auch schon die letzte Chance ist. Zumindest nach der Theorie seines Trainers. „Viele Jungs haben drei goldene Jahre, in denen sie richtig gut sind“, sagt Faris Al-Sultan. In seinem persönlichen Fall hieß das: Dritter, Sieger, Dritter zwischen 2004 und 2006. Oder im Fall von Thomas Hellriegel: Zweimal in Folge Zweiter, bevor er 1997 für den ersten deutschen Sieg auf Hawaii sorgte. Mit Jürgen Zäck und Lothar Leder war das Podium gleich komplett schwarz-rot-gold besetzt. So wie 19 Jahre später mit Jan Frodeno, Sebastian Kienle und Patrick Lange.
Frodeno ist wiederum der einzige Deutsche, der zweimal in Folge als Eisenmann auf Hawaii gefeiert wurde. Nach seinen Siegen 2015 und 2016 musste er aber erleiden, dass auf dem 226 Kilometer langen Weg immer alles passieren kann. Auch in Bestform. Im Vorjahr humpelte er mit Hüftschmerzen über die Marathonstrecke, in diesem Jahr bremste ihn nach einer überragenden Saison ein Rückenproblem gleich ganz aus.
Faris Al-Sultan hat bei 14 Starts alle Gefühlswelten erlebt. Vom Sieg über fünf zehnte Plätze bis zur Absage unmittelbar vor dem Start. Ein Virus hatte ihn wie auch andere Athleten auf der Insel erwischt, sodass er seinem Betreuer sagen musste: „Ich schaff es nicht. Ich meine nicht den Sieg, sondern ich überlebe nicht mal das Schwimmen.“
Auch Normann Stadler hatte seine drei goldenen Jahre zwischen 2004 und 2006. Die Form hätte für einen Hattrick getaugt. Doch 2005 saß er heulend am Straßenrand – nach dem zweiten Platten auf der Radstrecke. Aus in seiner Paradedisziplin, in der er mit der Zeit von 2006 heute noch auf Platz vier der ewigen Bestenliste steht. Hinter den drei besten Radfahrern des Vorjahres. Darunter Sebastian Kienle, der auch das Gefühl kennt, als König nach Kailua-Kona zurückzukommen – und den damit verbundenen Erwartungsdruck.
„Ich war eigentlich auch immer in der Form, die Rennen unter Umständen auch gewinnen zu können. Aber ich habe es nie nochmal geschafft. Diese Sehnsucht nach dem Gefühl ist aber auch irgendwie das, was einen antreibt“, erklärt der Sieger von 2014. Bei aller Enttäuschung und nicht erfüllter Sehnsucht, die sieglose Rennen mit sich bringen, eines ist sicher: Ein Platz in der Ahnengalerie der weltbesten Eisenmänner, die fast alle jährlich wiederkommen. Ob als Athlet oder Zuschauer. Vielen wird es beim Gang zum Schwimmstart ergehen wie Kienle: „Vorne am Pier hängen die Banner mit den vorherigen Siegern. Wenn man da vorbeiläuft und sich nochmal selbst sieht, treibt einem das schon das Lächeln ins Gesicht und macht einen stolz, dass man es schon einmal geschafft hat.“