Darmstädter Historiker über die Sehnsucht nach Waldidylle
„Echo hilft!“: Interview mit Jens Ivo Engels von der Technischen Universität über das sehr deutsche Phänomen und den Forst als politischen Tummelplatz.
Foto: James Thew – stock.adobe, Gregor Schuster Fotografie
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DARMSTADT - Die Liebe zum heimischen Wald zeigt sich an vielen Orten in Darmstadt. Zum Waldkunstpfad pilgern jedes Jahr viele Hundert Besucher. In den Bessunger Forst ziehen wochenends Dutzende Familien, seit dort der Jugendhof neu belebt wird. Und groß ist die Empörung, wenn irgendwo Bäume gefällt werden sollen. Der Historiker Jens Ivo Engels von der TU Darmstadt erklärt im Interview, warum vor allem Städter die Waldeslust derart heftig befällt und warum der Forst immer auch ein Politikum ist.
Herr Engels, Dutzende Darmstädter haben neulich im Wald demonstriert, um die angekündigte Fällung von Buchen abzuwenden. Warum bringen uns solche Drohungen derart auf die Palme?
Diese starke emotionale Reaktion hängt mit dem Mythos Wald zusammen. Er steht für eine Reihe von Dingen, die uns stark berühren. Wichtigster Punkt: Der Wald steht für Natur, für das Andere, das Gegenbild unserer Zivilisation. Wir spüren zwar genau: Wir sind biologische Wesen, die mit der Natur verbunden sind; aber wir haben auch eine andere Seite in uns, die uns von ihr entfremdet. Dieses Spannungsverhältnis beschäftigt uns, und das tut es schon seit etwa 200 Jahren.
Diese Spannung spüren aber vor allem Stadtmenschen, damals wie heute. Die Naturschwärmerei der Romantik ging von den Intellektuellen aus.
Klar, ich kann vor allem dann etwas Mythisches auf ein Phänomen projizieren, wenn ich dazu eine gewisse Distanz habe. Wenn ich Waldbauer bin und ihn jeden Tag bewirtschafte, habe ich ein anderes Verhältnis zum Wald als ein Stadtmensch. Die Überhöhung des Waldes ist von Beginn an ein städtisches und auch ein bildungsbürgerliches Phänomen, und das wirkt bis heute nach. Wer sich an Bäume kettet, der tut das vor einem bestimmten kulturellen Hintergrund. Es sind selten Förster, die sowas tun, denn sie nutzen Bäume vor allem wirtschaftlich und nicht als Projektionsfläche. Der Förster und Autor Peter Wohlleben ist die Ausnahme, die die Regel bestätigt.
Foto: James Thew – stock.adobe, Gregor Schuster Fotografie Foto: James Thew – stock.adobe, Gregor Schuster Fotografie
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Eichendorff hat den Wald als „eine Art Hallraum der Seele“ beschrieben. Was hat die Schwärmerei in der Zeit der Romantik ausgelöst?
Das hat unter anderem politische Gründe. Um 1800 entstanden in ganz Europa viele Nationalbewegungen, die ihr erwachtes Nationalbewusstsein zur Schau stellten. In Deutschland gab es zu dieser Zeit keinen Nationalstaat, der als eine Art Gefäß des Nationalgefühls hätte dienen können. Wenn man also so etwas nicht hat, sucht man nach anderen Ausdrucksmöglichkeiten. In Deutschland waren Kultur, die Sprache, aber auch die Landschaft solche Projektionsflächen. Die deutsche Identität leitete sich also auch aus einer bestimmten Naturerfahrung ab. Sie haben Eichendorff erwähnt, aber es gibt auch andere Kunstformen wie die Oper – denken Sie an den „Freischütz“…
JENS IVO ENGELS
Jahrgang 1971, leitet den Fachbereich Neuere und Neueste Geschichte an der TU Darmstadt. Einer seiner bisherigen Schwerpunkte ist das Thema „Naturschutz und Umweltbewegung 1950-1980“. (two)
Helfen Sie mit!
„Echo hilft!“ unterstützt diesmal unter anderem den Jugendhof Bessunger Forst.
Der Verein hat ein eigenes „Echo hilft!“-Spendenkonto bei der Volksbank Darmstadt, IBAN DE58 5089 0000 0000 8090 12.
Die Spenden beziehungsweise Spender werden veröffentlicht. Wenn Sie das nicht möchten, vermerken Sie das bitte im Verwendungszweck mit dem Hinweis „anonym“. (red)
… da ist der Wald im Prinzip der Hauptdarsteller des Stücks…
… und zugleich ist es eine deutsche National-Oper, in der viel Mystisches passiert und die im Wald spielt. Was noch eine Rolle spielt: Der Waldbesitz war zu großen Teilen im Besitz kleiner Fürstentümer. Zudem gab es um 1800 genug Investivkapital, um die Waldwirtschaft zu modernisieren. Zeitgleich entstand in Deutschland die moderne Forstwissenschaft, man war also auf der Höhe der Zeit. In der Fasanerie steht übrigens ein Denkmal für den Urvater der deutschen Forstwissenschaft, Hans Carl von Carlowitz, der allerdings schon etwa 100 Jahre vorher lebte. Man investierte also etwas in seinen Wald, damit stiegen sein Wert und seine Bedeutung – das hat den Mythos noch verstärkt. Allerdings kam es auch zu Widersprüchen: Die Romantiker überhöhten den wilden Wald, während die moderne Forstwirtschaft zur gleichen Zeit die Waldplantage erfand und immer mehr Fichten-Monokulturen in Reih und Glied anpflanzte.
„Die Deutschen sind das Waldvolk schlechthin“, hat der Volkskundler Albrecht Lehmann Anfang der nuller Jahre behauptet. Sind wir wirklich so besonders darin, unser Nationalgefühl an das Naturerleben zu knüpfen? Oder bilden wir uns da was ein?
Diese Behauptung wird zumindest immer wieder erneuert, bis heute. Das war bei den Nationalsozialisten so, die ihre Blut-und-Boden-Ideologie auch auf die Naturlandschaft und den Wald ausdehnten. Im ganz anderen Kontext der achtziger Jahre hat man dieses Selbstverständnis wieder erneuert. Angesichts des sauren Regens hieß es: Wir Deutsche haben ein besonderes Verhältnis zum Wald, deshalb schützen wir ihn auch besonders gut. Durch die Wiederholung dieser Behauptung bekommt sie schon eine gewisse Plausibilität. Ob man empirisch nachweisen kann, dass die Deutschen als Bürger ihren Wald intensiver lieben als Franzosen oder Engländer, lässt sich schwer sagen.
Auch andere Länder haben den Wald kulturell ausgedeutet. Die Engländer feiern den Sherwood Forest als Ort des Widerstands; in den slawischen Ländern geistert Baba Yaga als fantastische Waldhexe durch den Forst. Was ist bei den Deutschen anders?
Die Liste lässt sich noch verlängern. Denken Sie an die Franzosen, die die Artus-Sage mit dem Zauberwald von Brocéliande verknüpfen. Und wer den Gallier Asterix kennt, der kennt auch den Karnutenwald, in dem magische Kräuter wachsen. Regionale Waldgebiete, die mythische Bedeutung haben, gibt es in vielen Nationen. Das Besondere in Deutschland ist der Bezug auf die gesamte Nation. In der Gegenwart wird dieses Gefühl aber weniger von nationalistischen Motiven getragen.
Welche Motive sehen Sie heute?
Das Wandern erlebt ja seit Jahren ein großes Revival bei uns. Es wird aber eher als Lifestyle-Phänomen begriffen, das weniger auf die nationale Identität verweist als auf ökologische Motive. Da spielt die Fitness-Idee eine Rolle, aber auch das Freizeitvergnügen in der Natur. Deswegen kann eine ökologisch ausgerichtete Forstpolitik auf eine gewisse Popularität bauen. Das beginnt bei der Frage, wieviel Holzeinschlag man zulassen will, und reicht bis zur Auseinandersetzung um den Wolf als Teil einer offenen Naturlandschaft.
Die Zahl der Wölfe ist in Deutschland überschaubar, die Debatte sehr emotional.
Ja, und das zeigt einmal mehr, dass die Naturlandschaft weiter ein Feld ist, das stark politisiert wird. Es geht heute weniger um Nationalstolz als um die Frage: Welche Perspektive soll die Umweltpolitik bestimmen? Soll das die Ökologie sein, der Artenschutz oder die Ökonomie? Das ist ein ziemlich starker und ungelöster Konflikt.
Der deutsche Wald hat‘s ganz schön schwer, all unseren Ansprüchen gerecht zu werden.
Ja, absolut. Als Historiker würde ich es so sehen: Der Wald ist ein Schauplatz unterschiedlicher Interessen und Projektionen und spannender Konflikte. Wenn man sich diese Konflikte anschaut, kann man sehr viel über eine Gesellschaft lernen.
Können wir noch mal so frei und unverkopft in den Wald gehen wie die alten Germanen, oder wie die Romantiker? Oder führt kein Weg zurück zur reinen, nicht-politisierten Naturliebe?
Ich würde ja bestreiten, dass es die jemals gab. Wir haben einfach ein kulturelles Konzept von Natur als Gegensatz zur Zivilisation, aus dem unweigerlich politische Projektionen folgen. Da werden wir nicht mehr rauskommen. Ich halte das aber nicht für einen Verlust. Unsere Art der Politisierung von Natur hat sich verändert, weg vom Nationalismus, hin zu Fragen der Ökologie, und das finde ich positiv.