85 Darmstädter trafen sich am Donnerstag zum kollektiven Rechtschreiben in der Aula der Georg-Büchner-Schule in Darmstadt. Darunter rund 20 Schüler, Eltern, Lehrer,...
DARMSTADT. Warum sie freiwillig mitmacht beim Diktat-Wettbewerb? Wenn Lena, zehn Jahre jung, Schülerin an der Viktoriaschule, die Frage ein bisschen komisch findet, lässt sie es sich nicht anmerken. "Ich schreib' gern Diktate", sagt die zierliche Fünftklässlerin mit dem Pferdeschwanz. "Und ich mag Deutsch." So einfach ist das. Sehr viele Gleichaltrige, die ähnlich begeistert sind, gibt es in der Stadt offenbar nicht. Lena ist mit Abstand die jüngste der 85 Darmstädter, die sich an diesem Donnerstagabend zum kollektiven Rechtschreiben in der Aula der Georg-Büchner-Schule treffen. Eines vorab: Lena wird ziemlich viele der Älteren hinter sich lassen.
Immerhin: Rund 20 Schülerinnen - es sind fast nur Mädchen gekommen - nehmen mit Schreibpapier, Klemmbrett und Stift Platz auf dem Schulgestühl. Daneben Eltern, Lehrer, ECHO-Leser und -Mitarbeiter. Auf sportliche, heitere und lehrreiche Art Sprachkultur zu vermitteln: Das ist das Ziel der Veranstaltung "Darmstadt schreibt!", die unter anderem durch das ECHO und das Hessische Kultusministerium getragen wird. Die Duden-Redaktion mischt auch noch mit. Das kann knifflig werden. Besser, man hat sich präpariert. Die Viko-Schülerinnen wirken jedenfalls schon mal gut vorbereitet.
In einer Deutsch-Sonderschicht haben sich einige der Mädchen fit gemacht, erzählen sie vor dem Start. Als sie den Übungstext lasen, "haben wir alle losgelacht", sagt Oberstufen-Schülerin Eva. "Einige Wörter hatten wir noch nie gehört." Boulangerie? Effeff? Was soll das heißen?
Bildergalerie
Auch Lena hat extra geübt. Sie klagt ebenfalls: "Da gab's französische Wörter, aber ich hab doch noch gar kein Französisch!" Voll fies. Später muss sie dann tatsächlich französisches Backwerk buchstabieren. Voilá: Sie packt das trotzdem.
Selbst die Erwachsenen schwanken vor dem Diktat zwischen Zuversicht und Bangnis. Christian Enders, Vater zweier schulpflichtiger Töchter, erzählt, er habe sich ebenfalls vorbereiten wollen - aber dann festgestellt: "Die vielen Regeln verwirren nur." Gut, hat er sich das Büffeln halt gespart. Als Motivation, sagt er, diene ihm der Zuspruch seiner Kinder: "Papa, du packst das!"
"Ein paar tricky Wörter sind dabei"
So herrscht kurz vorm Start aufgekratzte Vorfreude in der Aula. Freilich habe das Ganze "auch einen ernsten Hintergrund", sagt Lars Hennemann, ECHO-Chefredakteur. "Wir wollen mit dem Wettbewerb auch ein Bewusstsein dafür wecken, dass Sprache etwas Lebendiges ist." Eine Erkenntnis, die im Alltag wichtiger sei denn je: "Wer mit Sprache nicht umgehen kann, der hat auch an anderen Stellen im Leben ein Problem." Klar, dass auch Hennemann sich dem Wettbewerb stellt.
Gespannt warten die Teilnehmer auf den ersten Satz. Den liest Moderator Marc Wilhelm vor. Also los: "Der sonntagmorgendliche Zwist" verliest Wilhelm den Titel des Textes, und konzentrierte Stille breitet sich aus. Der Radiomann warnt: "Ein paar tricky Wörter sind dabei." Das ist eine ziemliche Untertreibung, wie den Wettbewerbsteilnehmern rasch klar wird.
Bald werden die ersten Stöhner und Seufzer hörbar. Leises Kichern und Gegiggel begleiten die Übung. Halblaut überlegt mancher Prüfling: "Lärche"? Oder "Lerche"? Und "Lappalie"? Selten gehört. Rare Obstsorten tischt Wilhelm auf: "Kaki" oder "Khaki"? Lena hat ihr Klemmbrett mit dem Schreibpapier auf den Knien, beugt sich über ihren Text, schreibt mit unbewegter Miene über die Hürden und Fallstricke des Textes hinweg.
Auch einige der Juroren, die zu zwölft auf der Bühne sitzen und den Saal überwachen, schreiben aus Spaß mit. Cem Tevetoglu, Macher des "P-Magazins", zeigt sich hernach "durchaus erschüttert" von den eigenen Schwächen, wie er dem Moderator fröhlich erklärt.
Extra-Applaus für die jüngste Teilnehmerin
Auch Papa Christian Enders hat's gepackt. Ein paar Mal habe er ein Grummeln im Bauch gespürt, sagt er. Sicheres Zeichen, dass er in die Irre geführt werden sollte. "Ein paar Sachen schienen mir nicht ganz schlüssig", sagt er und lacht. Schon mischen sich seine Sitznachbarinnen ins Gespräch ein: Die Roten Johannisbeeren werden großgeschrieben? "Da müssen wir noch mal drüber reden!"
Die Juroren, die alle Diktate in Windeseile durchsehen, lassen tatsächlich mit sich reden. Johannes Breckner, Leiter des ECHO-Feuilletons und Chef der Jury, erklärt am Schluss, man habe alle Texte "wohlwollend geprüft". Nur ein paar "kleine Hakeleien" habe es intern gegeben. Die Großschreibung der roten Früchtchen habe der Duden-Vertreter in der Jury höchstpersönlich zurückgenommen - klein geschrieben gehe es schon auch.
Man sieht: Die Rechtschreibung bleibt in der Tat lebendig. Und Lena bekommt einen Extra-Applaus für ihr tolles Abschneiden. Das nächste Mal, sagt sie freudestrahlend, ist sie wieder dabei. Dann klappt's auch mit dem blöden "Feuilleton".
Von red