Ehrenamtliche untersuchen 240 Straßenkilometer und bewerten Breite und Oberfläche von Radwegen, Radstreifen und Angebotsstreifen.
DARMSTADT. Zu schmal, zu holprig - oder erst gar nicht vorhanden: Ein erwartungsgemäß schlechtes Zeugnis stellen die beiden Initiativen "Darmstadt fährt Rad" und "Radentscheid" dem städtischen Radverkehrsnetz aus. Am Montag veröffentlichten die Initiatoren eine gemeinsame Bestandsaufnahme von gut 135 Straßenkilometern, die sich, weil die Fahrtrichtungen jeweils getrennt betrachtet wurden, auf mehr als 240 Kilometer summieren. Tempo-30-Zonen wurden nicht berücksichtigt.
Knapp 100 Kilometer von diesen 240 Gesamtkilometern verfügen überhaupt über eine sogenannte Radverkehrsanlage, insgesamt 41,3 Prozent. Ob Radweg (baulich abgesetzt), Radstreifen (dicker durchgezogener Strich) oder Angebotsstreifen (gestrichelte Linie) - zwei Drittel haben den Qualitätstest nicht bestanden, heißt es in der Analyse. Damit verfügten nur 9,2 Prozent aller Strecken über regelkonforme Radspuren.
Mischverkehr besteht auf knapp 58 Prozent aller Strecken. Ein Beispielfoto zeigt die vielbefahrene Heinrichstraße, für die Oberbürgermeister Jochen Partsch just am vergangenen Freitag bei einer Mobilitätsdiskussion in Roßdorf angekündigt hatte, die Ost-West-Verbindung werde auf Kosten einer Autospur einen eigenen Radweg erhalten.
Als "unzumutbar" bezeichnet die Untersuchung 21 Prozent des Straßenbelags auf den Radwegen und -streifen. Und der schmalste Streifen der Stadt befindet sich demnach in der Kasinostraße Richtung Rhönring: er misst 75 Zentimeter.
Die Verfasser haben sich erkennbar Mühe gegeben, die Grundlagen für die Datenerhebung transparent zu machen. Das Problem: Es gibt immer wieder Zählungen des Radverkehrs, aber keine Qualifizierung der Infrastruktur. Tim Kress, der für die Analyse verantwortlich zeichnet, sagt, er kenne dafür nur ein weiteres Beispiel, nämlich Berlin.
Mehr als ein Jahr lang haben sieben Ehrenamtliche nachgemessen. Basis für die Bewertung der Radweg- und -streifenbreite waren demnach die "Empfehlungen für Radverkehrsanlagen" (ERA), ein technisches Regelwerk der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen in Köln. Die jüngste Auflage datiert von 2010, "und ist eigentlich auch schon veraltet", sagt Tim Kress.
Damals gab es so gut wie keine E-Bikes, schon gar nicht in der Lasten-Ausführung, so dass die von der ERA definierte benötigte Mindestbreite inzwischen genauso wenig realistisch ist wie die Parkplatzbreite in alten Parkhäusern. "Also haben wir das Regelmaß genommen", sagt Tim Kress. "Und das ist immer noch zuwenig für die vielen Lastenräder." Nur 22,2 Prozent aller Radverkehrsanlagen halten demnach die ERA-Regelbreite ein oder haben "zumutbare Oberflächen".
Für diese Oberflächen entwickelten die Nachmesser ein Schulnotensystem. Denn eigentlich gelte laut ERA für die Oberfläche von Radspuren lediglich, dass sie so sein müsse wie die Fahrbahn, sagt Kress. Da in Darmstadt viele Straßen in einem schlechten Zustand sind, wäre für die reale Bewertung des Belags nichts gewonnen. Eine Karte zeigt, dass Radwege, die als sicher gelten, in der Stadt nur abschnittsweise zu finden sind. Ein paar hundert Meter auf der Heidelberger, ein Stück Dieburger, ein Stück Kranichsteiner Straße. Nicht ganz ein Drittel ist exklusiv für Radfahrer, 55 Prozent benutzungspflichtiger Strecken sind gemeinsam mit Fußgängern. Auf den Mischstrecken mit dem motorisierten Verkehr müssen Radfahrer zu 86 Prozent auf die Straße.
Auf zehn Prozent aller Strecken gibt es das Duale System: nicht benutzungspflichtiger Radweg für langsame Radler sowie Fahrradsymbol auf der Fahrbahn für Schnellradler. "Dieser Gedanke ignoriert, dass die Mehrheit weder auf der Fahrbahn fahren will noch langsam auf dem Handtuchradweg", kritisieren die Initiatoren. Das Duale System richte sich daher "an eine sehr kleine Zielgruppe".
Immerhin: Zwischen Merck und Nordbahnhof gibt es einen 2,50 Meter breiten Radweg und auf der Rheinstraße zwischen Eifelring und Kavalleriesand fünf komfortable Meter für Radfahrer und Fußgänger in alle beide Richtungen. Außerdem führt gewissermaßen eine Radautobahn an den Straßenbahngleisen entlang nach Kranichstein.
Und: Geld ausgegeben wird nicht wenig. Mit dem Förder-Programm 4x4 - vier Jahre lang vier Millionen für den Ausbau von Radinfrastruktur - investiert Darmstadt mit 26 Euro pro Jahr und Einwohner "mehr, als fast jede andere deutsche Stadt momentan", würdigen die Initiatoren. Im holländischen Utrecht sind es allerdings 130 Euro.