Darmstadt: Der älteste aktive Friseur Hessens zieht sich Ende Juli ins Privatleben zurück
Von Petra Neumann-Prystaj
Am 1. November 1949 hat Pit Fischer seine Freiseurlehre begonnen, mit 83 geht er Ende Juli in den Ruhestand. Seine Kundinnen werden ihren Friseur mit der künstlerischen Ader vermissen. Foto: Andreas Kelm
( Foto: Andreas Kelm)
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DARMSTADT - Manche Menschen besitzen eine künstlerische Ader. Pit Fischer gehört dazu. Was der nunmehr 83-jährige Autodidakt in seinem häuslichen Atelier gemalt oder mit versilbertem Hohlraumfüller gestaltet hat, können seine Kundinnen und Kunden während des Haareschneidens auf sich wirken lassen. Denn sein kleines Geschäft in der Gagernstraße 1 a hängt voll mit seinen Bildern und hat den Charakter einer Galerie. Dass er sich „Frisör“ nennt – schnörkellos, klassisch, solide – und nicht Haarchitekt, Haarscharf oder Haireinspaziert, spricht für sein Selbstbewusstsein.
Er hatte es nie nötig, den Trends hinterherzulaufen. Gerade deswegen hält ihm seine Kundschaft seit über einem halben Jahrhundert die Treue. Ab 28. Juli muss sie sich jedoch damit abfinden, dass sich Fischer nach 69 Berufsjahren im Alter von immerhin 83 Jahren selbst in den Ruhestand schickt.
Sein Berufsstart war kein Zuckerschlecken. Hessens wahrscheinlich ältester aktiver Friseur hat seine Lehre am 1. November 1949 bei einem bärbeißigen Chef begonnen, der nebenbei Ringer war. Als erstes musste der Lehrbub Luftballons einseifen und den Schaum mit dem Rasiermesser abschaben. Sobald ihm die Ballonfetzen nicht mehr um die Ohren flogen, durfte er sich an die Bartstoppeln seines Lehrherren wagen. Das endete blutig.
Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre war Pit Fischer oft im legendären Musikkeller „Underground“ im Johannesviertel anzutreffen. Die köstliche Fischsuppe, mit der er alle Anwesenden verwöhnte, ist bis heute unvergessen. Zwar ließen die Männer damals ihre Haare sprießen, fanden Friseure aber spießig. Dennoch brauchte Pit Fischer sich keine Sorgen um seinen Umsatz zu machen, weil sich herumgesprochen hatte, dass er ein Künstler mit Scherenhänden ist. „Der Schnitt hat die Reklame für mich gemacht“, sagt er. Um bei ihm einen Termin zu bekommen, musste mancher Kunde sechs Wochen warten. Dabei verwendet Fischer noch nicht einmal besondere Werkzeuge. Einmal hat er einem Bekannten die Haare sogar mit einer großen Tapezierschere in Form gebracht, weil nichts anderes zur Hand war. Der schwärmte später, seine Frisur habe noch nie so gut gehalten.
Nach Lehrjahren in den Salons Krapf und Thieme machte sich Pit Fischer 1976 selbstständig. Vor 17 Jahren eröffnete er den Frisörsalon in der Gagernstraße, der sein letzter werden sollte. Bei ihm kann man sich nicht die Seele ausschütten oder über die Eskapaden der Royalties lästern. Er bevorzugt gute Gespräche über Kunst und Politik und hat über Mundpropaganda genau die Kundschaft bekommen, die seine Eigenwilligkeit zu schätzen weiß. So manche Frau, die auf einer Starfrisur bestand und ihm das Foto irgendeiner Prominenten unter die Nase hielt, schickte er fort. Das hätte nicht zu ihrem Typ gepasst. Und gegen seine Überzeugung will er nicht arbeiten. Das Älterwerden nimmt er gelassen. Wenn im Lauf des Lebens die Haare dünner werden – „dann ist man eben mit dem Föhnen schneller fertig.“ Typischer Fischer-Humor.
Sarah Khan tritt die Nachfolge an
Viele langjährige Kunden haben sich von ihm schon mit Wehmut, Tränen und Umarmungen verabschiedet. Einige bekommen „ihren letzten guten Haarschnitt“, wie Pit Fischer spöttisch anmerkt, an seinem letzten Arbeitstag. Danach übernimmt Sarah Khan vom Salon Bellehair nicht nur das Geschäft, sondern auch Fischers Mitarbeiterin Brigitte Vogel.
Er selbst muss nicht befürchten, dass sich sein eigener Friseur in den Ruhestand verabschiedet: Es ist seine Frau Viktoria.