Auf welchen Berechnungen die Experten-Empfehlung zur...

Die Auswirkungen einer Verschiebung der Flugroute Amtix kurz auf die Bewohner im Norden Darmstadts sorgt weiter für Diskussionen. Archivfoto: Hans Dieter Erlenbach

In der Debatte über die mögliche Nord-Verschiebung der Flugroute "Amtix kurz" über Darmstadts Norden steht die Frage im Mittelpunkt, wie viele durch Fluglärm hoch belastete...

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DARMSTADT. In der Debatte über die mögliche Nord-Verschiebung der Flugroute "Amtix kurz" über Darmstadts Norden steht die Frage im Mittelpunkt, wie viele durch Fluglärm hoch belastete Menschen dadurch entlastet und wie viele neu belastet werden. Bei drei öffentlichen Informationsveranstaltungen zu dem Thema in Erzhausen, Darmstadt und Weiterstadt meldeten zahlreiche Bürger Zweifel an den von Experten vorgelegten Zahlen und Berechnungsgrundlagen an.

Im Folgenden wird erläutert, wie das beim Forum Flughafen und Region (FFR) angesiedelte Expertengremium Aktiver Schallschutz vorgeht und wie es zu der Empfehlung kommt, die stark frequentierte Abflugroute des Frankfurter Flughafens zu verlagern. Dem Gremium gehören Fachleute und Vertreter der Fluglinien, des Flughafenbetreibers, der Flugsicherung und des Landes sowie unabhängige Wissenschaftler und Sachverständige an.

Fünf Varianten wurden untersucht

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Die Experten haben bekanntlich fünf Varianten für eine Nord-Verschiebung von "Amtix kurz" untersucht. Ziel war es, möglichst viele durch Fluglärm hoch belastete Menschen zu entlasten und möglichst wenige neu zu belasten. Gleichzeitig muss die Sicherheit und die Kapazität gewährleistet bleiben. Geprüft wurde von den Experten in verschiedenen Szenarien auch, ob die Varianten der prognostizierten Zunahme des Flugverkehrs gewachsen sind. Unter all diesen Prämissen empfiehlt das Gremium, die seit Jahrzehnten über Arheilgen und Kranichstein verlaufende Route an den Nordrand Wixhausens zu verlagern.

Nach einem Szenario, das bei den Planungen zum Bau des Terminals 3 am Flughafen entwickelt wurde und das etwa für das Jahr 2020 von 13 Prozent mehr Flügen im Vergleich zu 2015 ausging, ergibt sich bei Variante vier folgende Veränderung der Lärmbelastung am Tag (dazu auch die Grafik): In Wixhausen nimmt die Zahl der stark von Fluglärm belasteten Menschen von 1800 auf 2000 zu, in Arheilgen und Kranichstein sinkt sie von 4900 auf hundert hoch Belastete, in Erzhausen gibt es einen Anstieg von null auf 500 Betroffene, in Weiterstadt von 2100 auf 2200. Und in Mörfelden-Walldorf geht die Zahl der stark belasteten Menschen von 3700 auf 3500 zurück.

Bei allen anderen Varianten würde Erzhausen den Experten zufolge deutlich stärker belastet. Dabei, und das ist wichtig, geht es jeweils um sogenannte Hochbelästigte, die nach bestimmten Kriterien definiert sind. Damit ist nicht gesagt, dass nicht auch andere Menschen in den Kommunen unter dem Fluglärm leiden.

Was aber macht einen Hochbelästigten aus? Dazu hat das frühere Regionale Dialogforum (RDF) 2006 eine wissenschaftliche Studie fertigen lassen. Dafür wurden Menschen, die Fluglärm ausgesetzt waren, gefragt, wie stark sie sich dadurch belästigt fühlten. Diejenigen, die auf einer fünfstufigen Skala "stark" oder "äußerst" belästigt ankreuzten, wurden als Hochbelästigte definiert. Bei einem Dauerschallpegel von 53 dB(A) zählten dazu rund 25 Prozent der Befragten.

Ähnlich ist auch das Vorgehen in der neueren, umfassenderen Lärmwirkungsstudie Norah von 2015, in der die langfristigen Wirkungen von Verkehrslärm auf Gesundheit und Lebensqualität untersucht werden. Norah zeigt unter anderem, dass die Lärmsensibilität der Menschen gewachsen ist.

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Die Ergebnisse der RDF-Studie flossen in den sogenannten Frankfurter Fluglärmindex von 2009 ein. Mit diesem kann man zum Beispiel abschätzen, wie sich eine Flugrouten-Veränderung auf die Lärmbelastung in der Region und in einzelnen Kommunen im Vergleich zur Situation ohne Änderung auswirkt.

Für den Tagindex wird das Gebiet rund um den Flughafen betrachtet, in dem ein Dauerschallpegel von mindestens 53 Dezibel herrscht. Dann wird geschaut, wie viele Bürger in diesem Gebiet leben und wie viele davon nach der RDF-Definition als hoch belästigt gelten können. Steigt der Dauerschallpegel - je näher am Flughafen, desto lauter -, steigt auch der prozentuale Anteil der Menschen, die sich hoch belästigt fühlen. Um die Zahlen einfacher auswerten und darstellen zu können, wurden diese für den Index in Punkte umgerechnet. Ein Indexpunkt steht danach für 900 Hochbelästigte.

Aufwachreaktionen in der Nacht

Neben den Berechnungen für den Tag (6 bis 22 Uhr) gibt es weitere für die Nacht (22 bis 6 Uhr). Dabei wird untersucht, wie sich der Fluglärm auf den Schlaf der Bürger auswirkt. Mithilfe eines EEG (Elektroenzephalografie) wird gemessen, wie viele zusätzliche Aufwachreaktionen der Fluglärm bei Schlafenden verursacht. Die Aufwachreaktionen sind im vom EEG gezeichneten Hirnstrombild erkennbar, Schlafende können sich nicht immer daran erinnern. Bei Menschen, deren Schlaf nicht durch Fluglärm beeinträchtigt wird, treten in einer Nacht gewöhnlich etwa 24 Aufwachreaktionen auf.

Für die Berechnung des Nachtindexes wird ein Gebiet um den Flughafen berücksichtigt, in dem der Lärm mit einer Wahrscheinlichkeit von 75 Prozent eine zusätzliche Aufwachreaktion pro Nacht verursacht. Auch diese Werte werden in Punkte umgerechnet. Ein Indexpunkt entspricht 3900 zusätzlichen Aufwachreaktionen. Was die Nord-Verschiebung der Flugroute angeht, ergeben die Berechnungen nach dem Nachtindex eine ähnliche räumliche Entlastung und neue Belastung wie nach dem Tagindex.

Zur Frage, warum dem Varianten-Vergleich nicht die Ergebnisse der Norah-Studie zugrunde liegen, erklärte das Expertengremium, auch in diesem Fall komme man mit Blick auf die Lärm-Belastung zwar zu höheren absoluten Werten, aber im Hinblick auf den Variantenvergleich zu keinem anderen Ergebnis als nach den RDF-Werten. Das hätten beispielhafte Berechnungen gezeigt.

Von Joachim Nieswandt