Vor dem Pilotversuch in Darmstadt räumen Aktivisten in diesen Wochen Straße für Straße frei. Dafür bekommen sie ebenso Zuspruch wie Anfeindungen.
DARMSTADT. Eine Straße ganz ohne durchfahrende Autos, mit weniger Platz fürs Parken, dafür mehr Raum für Bäume und Beete und Nachbarschaftstreffs: Wie sich das anfühlt, können die Darmstädter diesen Sommer über schon mal erleben. Straße für Straße räumt eine neue Initiative die Fahrbahnen und Seitenstreifen frei, lädt Nachbarn ein, um Ideen für den neuen Freiraum zu entwickeln. Ein Vorgeschmack auf das „autoarme Bestandsquartier“, das die Stadt 2023 in einem Teil des Martinsviertels testen will, als Pilotversuch. Genau dort planen die Aktivisten ihre nächsten beiden Aktionen am 27. August und 17. September.
Viele Besucher der bisherigen Aktionen stimmen der Idee zu; Parteien wie Volt und die CDU suchen den Kontakt zu den Gruppen – aber es gibt auch Anfeindungen.
Irritiert hatten sich Anwohner des Friedrich-Ebert-Platzes bei der Redaktion gemeldet. Dort war die erste Aktion Ende Juni angemeldet. Plötzlich saßen Menschen mitten auf der Straße und vor den Parkplätzen. „Wir wussten von nichts“, sagten die Nachbarn verärgert. Eine Kommunikationspanne, sagen die Veranstalter der Gruppe „Martin macht Platz“. Sie hätten daraus gelernt. Die Anwohner würden nun zwei Wochen vorab über die – amtlich genehmigten – Aktionen informiert. Vor dem zweiten Termin in der Barkhausstraße verteilte man Flugblätter, lud zum Gespräch auf der Gass. Niemand erschien.
Dafür trafen sich rund 500 Menschen – laut Angaben der Initiative – auf der Barkhausstraße, um einen Tag lang ihre Straße anders zu nutzen. Aktivist Daniel Müller, angehender Architekt, sagt: „Wir wollen vor allem Möglichkeitsräume öffnen, die zu mehr Lebensqualität führen.“ Am häufigsten hörten er und seiner Mitstreiter: mehr Grün entlang der kahlen Straße, mehr Platz für Kinder. Das will die Gruppe nun in die öffentliche Diskussion tragen. Die findet längst auch im Internet statt.
„So ist das, wenn Wenige über die Köpfe von Vielen entscheiden“, schrieb ein Facebook-Nutzer in der Gruppe der ECHO-Stadtredaktion nach einem Bericht über die Ideen der Initiative „Heinerblocks“, die in gleicher Mission unterwegs ist. Aber auch Zustimmung gibt es: „Macht einfach das ganze Quartier zur verkehrsberuhigten Zone. Mit entsprechender Kontrolle natürlich. Und vergesst nicht, die Parkplätze wieder einzuzeichnen.“
Und darum geht es den Aktivisten beider Gruppen: Das erste „autoarme Bestandsquartier“ Darmstadts soll im Block um den Lichtenbergplatz versuchsweise eingerichtet werden. Der Durchgangsverkehr soll „durch Diagonalsperren und Einbahnstraßen aus dem Block herausgehalten werden, jedes Haus im Block bleibt dabei weiterhin erreichbar“. Begleitend soll das Tempo verringert, sollen mehr Stellplätze geschaffen werden für Räder sowie für Auto- und Radleihsysteme. Bänke und Begrünung sollen folgen.
Bisher 800 Unterstützende
Rund 800 Unterstützer hat eine entsprechende Petition an OB Jochen Partsch bisher. Ende September soll er das Paket bekommen. Die Parkplätze bleiben derweil der größte Streitpunkt zwischen den Aktivisten – 14 Personen mit rund 20 Unterstützern – und einigen Anwohnern. Daniel Müller sagt: „Es geht uns nicht darum, das Auto zu verbieten; wir wissen, dass es Leute gibt, die auf ihr Fahrzeug nicht verzichten können.“ Daher sollen Anwohner auch weiter in ihrem Quartier parken können. „Aber vor der Haustür geht das doch schon heute kaum, das ist ein Trugschluss.“ Die Gruppe weist daher auf Plätze am Rand des Quartiers hin, wie am Nordbad, ein paar Gehminuten entfernt vom Lichtenbergplatz. Der benachbarte Messplatz ist freilich dauerhaft gesperrt. Könnte eng werden.
Aktivist Johannes Rümmelein sagt: „Es gibt hier im Quartier eine hohe Bereitschaft von Leuten, ihr Auto abzuschaffen – wenn sie die passenden Alternativen finden.“ Carsharing und Lastenrad-Leihe könnte da den Ausschlag geben, hofft er. Bewegung könnte auch die Parkraumbewirtschaftung bringen, die die Verwaltung im nächsten Sommer im Martinsviertel einführen will.
Auch die Geschäftsleute rings um den Riegerplatz begrüßen die Bestrebungen für mehr Freiraum, weniger Kraftverkehr. Philip Hochdörffer, Gastwirt und Mitstreiter der „Initiative lebendiger Riegerplatz“, engagiert sich seit Langem fürs Quartier. Kritisch sieht er die Kaupstraße: Die zerteilt die Fläche für Außengastronomie und den autofreien Teil des Riegerplatzes. „Zwei, drei Mal pro Abend fahren da Leute durch, die nochmal ordentlich Gas geben müssen“ – und dabei die Sicherheit der zahlreichen spielenden Kinder gefährden.
Wenn am 27. August das Riegerplatzfest steigt, soll auch hier eine Sperrung erprobt werden. Der Antrag von „Martin macht Platz“ für die Kaupstraße läuft. Und am 17. September soll die Liebfrauenstraße einen Tag lang autofrei werden – die lauteste Durchgangsstraße des Quartiers.