Die Darmstädter Rechtsanwältin Angela Gräf-Bösch vertritt Opfer von Straftaten und deren Angehörige in der Nebenklage. Warum Opfer und deren Angehörige überhaupt einen...
DARMSTADT. Die Darmstädter Rechtsanwältin Angela Gräf-Bösch vertritt Opfer von Straftaten und deren Angehörige in der Nebenklage. Aktuell ist eine Angehörige der getöteten Rentnerin in Dieburg Gräf-Böschs Mandantin. Eine sogenannte Nebenklage ist unter anderem zulässig bei sexuellem Missbrauch von Kindern, Vergewaltigung, sexueller Nötigung, versuchtem Mord oder vorsätzlicher Körperverletzung. Warum Opfer und deren Angehörige überhaupt einen Anwalt brauchen und wie traumatisch Prozesse sein können, berichtet die 45-Jährige im Gespräch mit dieser Zeitung.
Warum ist speziell für Angehörige von Opfern die Nebenklage wichtig?
Weil sie Ihnen Beteiligungs-und Informationsrechte gibt und sie aus der Passivität holt. Der Anwalt der Nebenklage kann Einsicht in die Akten verlangen. Angehörige wissen oft weniger als die Presse. Denn die Polizei gibt selbst Angehörigen keine Auskunft. Ich hatte den furchtbaren Fall einer Frau, deren Tochter ermordet wurde. Sie hatte abends in den Nachrichten das Haus ihrer Tochter erkannt und gesehen, wie eine Leichenbahre herausgetragen wurde. Weil die Mutter in einem anderen Bundesland gewohnt hat, war sie nicht rechtzeitig über den Tod ihrer Tochter informiert worden.
Was haben Opfer davon, sich einen Anwalt als Vertreter der Nebenklage zu nehmen? Zeugen sind sie ja ohnehin.
Sie haben mehr Rechte als Zeugen. Aber diese Rechte müssen formell geltend gemacht werden. Opferrechte sind Antragsrechte. Das heißt, ein Opfer erfährt nur über einen Anwalt den Stand der Ermittlungen. Nur der Anwalt kann beantragen, die Ermittlungsakten einzusehen. Auch wird der Anwalt der Nebenklage über alle relevanten Verfahrensschritte informiert.
Wie ist es bei der Vernehmung?
Sollte das Opfer als Zeuge vernommen werden, darf der Anwalt bei der polizeilichen oder richterlichen Vernehmung dabei sein. Angehörige erfahren so beispielsweise, welches Motiv der Täter hatte, das hilft ihnen zu verstehen, wie es zu der Tat kommen konnte. Man muss Zeugen auch erklären, wie ein Gerichtsverfahren abläuft. Zudem hat der Rechtsanwalt ein Fragerecht, das Recht zu plädieren und das Recht, ein konkretes Strafmaß zu fordern.
Was sollte man wissen?
Es gibt kein Kreuzverhör, es geht auch nicht zu wie bei Barbara Salesch im Fernsehen, sondern zivilisiert. Die Prozessteilnehmer sollten zum Beispiel wissen, dass der Richter die Zeugen belehren muss, die Wahrheit zu sagen. Manche denken, dass der Richter damit sagen will, dass er dem Zeugen nicht glaubt. Aber wenn es der Richter nicht täte, wäre es ein Formfehler, und der Prozess könnte platzen. Zudem dürfen die Anwälte der Nebenklage im Prozess Fragen stellen. Als Nebenkläger kann man aktiv werden, wenn man meint, dass das Gericht etwas übersehen hat. Und für Opfer ist oft wichtig zu wissen, wann der Täter auf freien Fuß kommt.
Warum?
Wenn das Opfer nicht will, dass der entlassene Straftäter es finden kann, wüsste es, bis zu welchem Zeitpunkt es Zeit hat, wegzuziehen, und kann sich eine Meldesperre einrichten. Für einen Laien ist es schon schwer herauszufinden, wer zuständig ist, wenn der Strafgefangene entlassen wird, nämlich die Staatsanwaltschaft als Strafvollstreckungsbehörde. Auch hier wird die Auskunft nur auf Antrag erteilt.
Sie haben mit Menschen zu tun, die Opfer von sexuellem Missbrauch wurden, mit Verwandten, die einen Angehörigen durch eine Gewalttat verloren haben. Wie kommen Sie mit dem Leid klar, das Ihnen da begegnet?
Die Rolle als Seelentrösterin kann ich nicht übernehmen. Man muss über Empathie verfügen, aber ich bin keine Psychologin. Ich werde mich nicht in die Rolle des Opfers begeben, sonst könnte ich nicht sachlich arbeiten. Ich höre natürlich zu, denn es ist wichtig zu wissen, wie sich die Mandanten fühlen. Wenn sich beispielsweise das Opfer einer Sexualstraftat nicht mehr traut, im Dunkeln aus dem Haus zu gehen, oder die Familie kein Einkommen mehr hat, weil der alleinverdienende Vater getötet wurde, sind das Auswirkungen, die das Gericht kennen soll.
Ging Ihnen ein Fall besonders nahe?
Ganz schlimm sind Freisprüche, bei denen selbst das Gericht sagt, "ich bin sicher, Sie waren das, aber wir können es Ihnen nicht nachweisen". Dass diese Menschen draußen rumlaufen, das geht mir oft lange nach.
Wann raten Sie von der Nebenklage ab?
Eigentlich nur bei Fällen, bei denen man sich sicher ist, dass das Gericht sie einstellen wird. Dann könnte jemand, der Prozesskostenhilfe erhält, auf seinen Kosten sitzen bleiben. Ansonsten ergeben sich aus der Nebenklage nur Rechte für das Opfer, keine Pflichten. Es kann die Akte einsehen, muss es aber nicht.
Sie haben Prozesskostenhilfe angesprochen, wer kommt für die Kosten des Anwalts der Nebenklage auf?
Ab einer gewissen Schwere kann sich das Opfer auf Staatskosten einen Anwalt nehmen - ohne Rücksicht auf das Einkommen. Bei leichteren Fällen kann es eine Prozesskostenhilfe geben, je nachdem, wie hoch das Einkommen des Mandanten ist.
Kann die Nebenklage Einfluss auf die Urteilsfindung nehmen und die Staatsanwaltschaft unter Druck setzen?
Ja. In dem Fall im Frankfurter Gibson-Club, bei dem ein Besucher zu Tode geprügelt wurde, blieb die Staatsanwaltschaft deutlich unter dem von uns geforderten Strafmaß von acht Jahren. Der Richter ist unserem Antrag gefolgt. Wir sind als Nebenklage nicht das Anhängsel der Staatsanwaltschaft. Unsere Aufgabe ist es, das Opfer in den Fokus zu rücken, und das hat Auswirkungen auf die Strafzumessung.
Immer wieder wird wie zuletzt bei den NSU-Prozessen kritisiert, dass die Nebenklage die Prozesse aufblähen würde...
Na logisch bläht es einen Prozess auf, wenn mehrere Nebenklage-Anwälte beteiligt sind, die alle von ihrem Recht Gebrauch machen, Fragen zu stellen und ein Plädoyer zu halten. Aber es gibt genauso auch Prozesse mit mehreren Strafverteidigern oder Staatsanwälten. Da sagt auch niemand, dass das einen Prozess in die Länge ziehe. Ob sich ein Prozess verlängert, darf kein Kriterium sein. Die Nebenklage gewährleistet die Waffengleichheit gegenüber dem Täter. Die Nebenklage wird von Strafverteidigern nicht gerne gesehen, weil wir Salz in die Wunden streuen.
Halten Sie die Opferrechte in Deutschland für ausreichend? Was fehlt?
Wir haben mit der Einführung der Nebenklage zwar viel erreicht, ausreichend ist das aber nicht. Bei Prozessen gegen Jugendliche ist die Nebenklage erst zulässig, wenn das Delikt mit einem Mindestmaß von einem Jahr Freiheitsstrafe bedacht ist, also ein Verbrechen ist und schwere Folgen für das Opfer hinzukommen. Doch sollte das Opfer die gleichen Rechte wie im Erwachsenenstrafrecht haben. Für den Geschädigten ist es erst mal egal, ob der Täter volljährig ist.
Ist das Schmerzensgeld ausreichend geregelt? In den USA werden ganz andere Summen aufgerufen.
Bei uns ist es oft eine Farce und in den USA utopisch. Es sollte einen Mittelweg geben. Ich beantrage Schmerzensgeld meistens nur, wenn ich es zur Bewährungsauflage machen kann. Denn dann kann ich sicher sein, dass das Geld auch fließt. Wenn es um größere Summen geht, sollte man einen getrennten Zivilrechtsprozess führen. Strafrichter sind oft überfordert, wenn es um die angemessene Höhe eines Schmerzensgeldes geht.
Missbrauchsopfer haben oft Angst vor der Stigmatisierung. Wie können diese Opfer ihre Rechte geltend machen, ohne zu befürchten, ihr Gesicht zu verlieren?
Den Konflikt kann man nicht lösen. Man muss sich anhören, was passiert ist. Dann kommt es darauf an, welche Beweismittel es gibt und wie hoch die Chance ist, dass es zur Anklage kommt. Bei Vergewaltigung und Missbrauch muss die Staatsanwaltschaft durchermitteln, wenn eine Anzeige erfolgt ist. Da gibt es dann kein Zurück mehr.
Haben Sie die Erfahrung gemacht, dass der Auftritt vor Gericht das Trauma eines Opfers eher verstärkt?
Ja. In den meisten Fällen sogar. Manchmal liegen zwischen Tat und Verhandlung zwei Jahre. In dieser Zeit hat viel gesunde Verdrängung stattgefunden. Wenn vor Gericht die Details aufgearbeitet werden und der Täter im Gerichtssaal vis-à-vis sitzt, kommt bei den Opfern alles wieder hoch. Dazu kommt, dass die Opfer noch gegen die Verleumdungsstrategie des Täters anzukämpfen haben. Ganz schlimm ist es, wenn der Bundesgerichtshof anordnet, dass der Fall neu aufgerollt werden muss. Dann fängt wieder alles von vorne an.
Hilft denn ein Urteil bei der Bewältigung?
In den meisten Fällen schon. Opfer sind erleichtert, wenn sie sehen, dass das Gericht ihnen glaubt.
Ist bei uns das Strafmaß für Täter immer angemessen? Bei Missbrauch von Kindern scheint das Strafmaß verhältnismäßig gering angesichts der Schwere der Tat.
Unsere Gerichte haben ein gesundes Empfinden dafür, was möglich ist und in welchem Rahmen sich das Strafmaß bewegt.
Von Das Interview führte Patrick Körber.