Verbände, KV und Ärzte sehen in der Protestaktion einen notwendigen Akt der Verzweiflung. Es geht um Existenz und Versorgung. Was das für Patienten bedeutet.
Darmstadt. „Es reicht“, bringt die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Hessen den Frust vieler Praxen auf den Punkt, was eine landesweite Protestaktion von Haus- und Kinderärzten am Mittwoch verdeutlichen soll. Es geht aktuell unter anderem um eine als Hohn empfundene Honorarsteigerung um zwei Prozent. Diese legte ein Schiedsamt nach gescheiterten Verhandlungen fest. Letztlich geht es auch um die ambulante Versorgung. Nun kommt, wie am 30. November, ein Streik, durch den einige Praxen den Tag geschlossen bleiben werden. Obwohl die Herbstferien schon eine geringere Präsenz bedeuten, ist die Notfallversorgung in jedem Fall gesichert, heißt es.
Patienten sollten vor einem Besuch bei der Praxis fragen, ob diese streikt. Nicht zu erfahren war, welche Praxen sich in Darmstadt beteiligen. Dem hessischen Hausärzteverband zufolge sind es mehrere. Die wegen der Ferien geschlossene Kinder- und Jugendarztpraxis von Christoph John und der angestellten Ärztin Heike Papp spricht auf ihrer Website über die Aktion. Die Kollegen streikten „wegen der zunehmend schlechteren Arbeitsbedingungen, der mangelnden Wertschätzung und der Bürokratisierung. Die Finanzierung vieler Praxen steht, durch Politik und Krankenkassen bestimmt, immer häufiger vor dem Ruin.“
Probleme im ländlichen Bereich
Gerade unter Pandemie-Bedingungen waren die Praxen massiv gefordert, weiß der Vorsitzende des Bezirks Darmstadt des Hausärzteverbands, Michael Andor. Er selbst betreibt seine Praxis in Groß-Gerau seit 39 Jahren und hätte früher nie gedacht, in welchem Rahmen sein Stand einmal würde zurechtkommen müssen. „Ich unterstütze die Aktion voll, weil es absolut notwendig ist“, sagt er und unterbricht für ein Gespräch seine Konferenz-Teilnahme – im Urlaub. Nach der Minimal-Erhöhung der Honorare hätten die Kassen für die nächsten beiden Jahre mit Nullrunden gedroht. Bei Sprit- und Personal- sowie aktuell natürlich auch Energiekosten sei keinerlei Entlastung in Sicht.
Ich unterstütze die Aktion voll, weil es absolut notwendig ist
„Eine Untersuchung wert“ wäre aus Arnolds Sicht die Frage, „inwiefern Deutschland noch relativ gut abgeschnitten hat bei Corona wegen der Hausärzte“. Er hofft auf einen Bewusstseinswandel in der Gesellschaft durch die Aktion. Niedergelassene Ärzte mit eigener Praxis trügen neben der klassischen Haftungsfrage wegen etwaiger Behandlungsfehler auch das Versorgungsrisiko, wenn Krankenkassen wegen zu weitreichender Behandlung Regress forderten, und das unternehmerische Risiko. Früher habe der Anteil angestellter Ärzte bei fünf Prozent gelegen, heute übertreffe er ein Drittel. Gemeinschaftspraxen würden subventioniert, sparten immens viele Kosten und erhielten Förderung, aber gerade im Ländlichen stünden darüber Kommunen ohne eigene Praxis da.
Auch die Darmstädter Kinder-Gemeinschaftspraxis Ahl – Schuster – Meyer-Schewitz beteiligt sich am Streik. Rüdiger Ahl war am Dienstag aber allein und zugleich Vertreter mehrerer Praxen, folglich nicht zu sprechen. Nicht nur die Patienten fordern die Ärzte, auch die Bürokratie tut es. Vorige Woche erst, habe ein Gesetz für das Ende der sogenannten Neupatientenregelung gesorgt, kritisiert die KV. Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte diese eingeführt, um Anreize für die Aufnahme neuer Patienten zu schaffen. Dafür investierten die Praxen, um nun wieder fallengelassen zu werden. Die Sparpläne des Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach (SPD) und der Kassen führten mindestens zu Leistungsreduktionen, längeren Wartezeiten und Anfahrten bei den Patienten und gefährdeten am Ende die medizinische Versorgung, warnen die Arztverbände, die zum Protest aufriefen.