Die Darmstädter Gerontologin Sabine Schröder-Kunz über den Umgang mit älteren Menschen und die Endlichkeit des Lebens in Zeiten von Corona.
Von Sabine Schröder-Kunz
Sabine Schröder-Kunz
(Foto: privat)
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DARMSTADT - Das Älterwerden hatte noch nie so viele Gestaltungsmöglichkeiten wie heute. Nun plötzlich erscheint die Gruppe von Menschen im Alter sechzig plus als „Risikogruppe“. Wir leben seit einigen Monaten mit einem neuartigen Virus, das die Menschen über den ganzen Globus bedroht.
Dabei entstehen und verbreiten sich Bilder von den Alten und dem Älterwerden, die in mehr als einer Hinsicht bedenklich sind. Die Jüngeren als Retter, die sich für die Älteren aufopfern? Eine solche Wahrnehmung dürfte die Kluft zwischen den Generationen erheblich vertiefen. Frust auf der einen, Scham auf der anderen Seite wären die Folge.
Es darf auch nicht der Eindruck entstehen, auf die Gruppe der Älteren komme es nicht mehr an, da sie sowieso schon am Lebensende stünden. Das wäre für unser soziales Miteinander fatal und würde Generationenbeziehungen schwer belasten.
Die Isolation in der Corona-Krise macht gerade vielen älteren Menschen zu schaffen. Foto: dpa
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Als Gerontologin, aber auch im Privaten erlebe ich immer wieder eine bunte Mischung bei den älteren Menschen. Strahlende und robuste 90-Jährige und müde 60-Jährige am Ende des Berufslebens, lange Jahre verheiratete Paare und frisch verliebte Senioren, im Ehrenamt aktive Ältere und solche, die das Gefühl haben, nicht mehr gebraucht zu werden.
Alter hat viele Gesichter – auch in Zeiten von Corona. Bei der bevormundenden Ansprache, die nun so oft zu hören ist, drohen jedoch die Potenziale und die Selbstbestimmung der reifen Lebensjahre aus dem Blick zu geraten.
Wie geht es denn den Älteren aktuell? In meiner täglichen Corona-Sprechstunde tauchen immer wieder bestimmte Themen auf: eine sinnvolle Alltagsstruktur, gefühlte Einsamkeit und soziale Isolation, die Sehnsucht nach Kindern und Enkeln, die Sorge um hochbetagte Eltern, die Angst vor der eigenen Erkrankung. Zwei zentrale, für unsere Gesellschaft relevante Aspekte werden deutlich: Der Umgang mit dem Alter und der Endlichkeit des Lebens. Die diffuse Angst vor dem Virus und damit verbunden vor Sterben und Tod resultiert daraus, dass solche Fragen immer noch tabuisiert werden.
ZUR PERSON
Sabine Schröder-Kunz (55) lebt als freiberufliche Gerontologin (Wissenschaft des Alterns) und Buchautorin in Darmstadt.
Innerhalb ihrer psychosozialen Beratungen bietet sie in der Corona-Krise täglich von 11 bis 12 Uhr eine kostenlose telefonische Sprechstunde unter der Nummer 06151-71 29 89 an. (red)
Wir haben lange Zeit über das gute Leben gesprochen. Jetzt müssen wir auch über das gute Sterben reden! In Zeiten von Corona stellen sich medizinethische Fragen, mit denen wir uns alle auseinandersetzen sollten. Es geht nicht nur darum, wer behandelt wird, wenn die Kapazitäten nicht für alle ausreichen sollten. Es geht auch darum, wann eine Behandlung positiv ist und wann sie schaden kann.
Von größter Bedeutung ist dabei der Wille des Patienten. Als Hospizhelferin erlebe ich oftmals Ältere, die mit Gelassenheit und Ruhe in ihr Sterben einwilligen. Aber es gibt genauso Menschen im Alter von achtzig und älter, die noch nicht bereit sind, zu gehen und großes Interesse am Leben zeigen. Schön, dass es sie gibt.
Wünsche und Einstellungen zum Sterben sollten frühzeitig reflektiert und formuliert, die Einwilligung in medizinische Untersuchungen, Behandlungen oder Eingriffe überdacht werden. Dazu gehört auch die Aufklärung über die Möglichkeiten der Palliativmedizin. Viele Hochbetagte, so erlebe ich es immer wieder, haben weniger Angst vor dem Tod als vor einem schmerzhaften oder einsamen Sterben.
Die (ambulante) Palliativmedizin ist weit fortgeschritten und kann in den meisten Fällen – auch bei Lungenentzündungen – ein weitgehend schmerzfreies Sterben ermöglichen. Umgekehrt muss über die möglichen Folgen der Intensivmedizin, zum Beispiel bei einer Beatmungsmaschine, transparent gesprochen werden: Will ich im Notfall alle Behandlungsmöglichkeiten in Anspruch nehmen?
Es geht darum, ein Bewusstsein für unser Leben und Sterben zu schaffen. Entscheidungen können wir jederzeit widerrufen; sind wir aber nicht mehr entscheidungsfähig, haben Angehörige und Ärzte so mit unserer Willensbekundung etwas in der Hand, das ihnen hilft, nach unserem mutmaßlichen Willen zu entscheiden.
Unsere Gesellschaft, in der so viele Menschen wie nie zuvor gesund und mit Lebensqualität alt werden können, ist eine wertvolle Errungenschaft. Und doch darf sie das Sterben als Teil des Lebens nicht verdrängen.
Die Angst vor der Angst der Anderen
In meiner Sprechstunde fragen mich Angehörige, wie sie mit ihren Eltern oder Partnern, um die sie sich sorgen, über das Sterben sprechen können. Umgekehrt erlebe ich aber auch betagte Menschen, die nicht wissen, wie sie ihrerseits mit den Kindern, die oftmals selbst schon in der zweiten Lebenshälfte sind, über solche Fragen reden sollen. Die Angst vor der Angst des Anderen hemmt beide. Allein die Tatsache, dass immer noch viele Menschen keine Patientenverfügung haben, zeigt, wie sehr diesem Thema ausgewichen wird.
Jeder Erkrankte – egal welchen Alters – sollte auf die medizinisch notwendige Leistung zugreifen können. Das darf aber nicht daran hindern, über Leben und Tod nachzudenken und zu sprechen. Die Corona-Krise ist so nicht zuletzt eine Chance dafür, ein neues Bewusstsein sowohl für die Vielfalt des Alters und das gute Leben als auch für ein gelingendes Sterben zu entwickeln.