Acht Unglücksraben lernen fliegen

Ungewöhnlicher Pensionsgast im Tierheim: Acht Saatkrähen werden derzeit dort aufgepäppelt und dann ausgewildert.Foto: Andreas Kelm  Foto: Andreas Kelm

Was passiert mit jungen Krähen, die aus dem Nest gefallen, von Spaziergängern gefunden und bei der Wildvogelhilfe am Oberfeld abgegeben werden? Sie landen, wenn alles gut...

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DARMSTADT. Was passiert mit jungen Krähen, die aus dem Nest gefallen, von Spaziergängern gefunden und bei der Wildvogelhilfe am Oberfeld abgegeben werden? Sie landen, wenn alles gut geht, im Tierheim, wo sie in einer Voliere aufgepäppelt werden.

In der Voliere turnen die vier Monate alten Rabenvögel munter herum, ohne großes Interesse an den Besuchern zu zeigen. Nur ein Vogel sitzt auf einem Ast nah am Käfiggitter und schaut flehentlich in die Runde. Der Eindruck ist richtig, sagt Tierheimleiter Christian Zentgraf: „Er will gefüttert werden“. Abends, wenn im Tierheim Ruhe einkehrt, kreische er nach Zuwendung. Mit Erfolg, wie der Tierarzt beobachtet hat: Er lockt mit seinem Geschrei Krähen aus dem Wald, die ihm Futter vorbeibringen.

Hans Huckebein bei Wilhelm Busch

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Während Zentgraf spricht, legt die Krähe den Kopf schief und guckt keck. Ein schwarz gefiederter Schelm mit Charme. Doch diese Schlitzohrigkeit und auch die Neugierde, die die Tiere an den Tag legen, kann ihnen gefährlich werden, wenn sie von Menschen aufgezogen werden. „Denken Sie an Hans Huckebein, den Unglücksraben von Wilhelm Busch“, sagt Zentgraf. In der Bildergeschichte wird der Jung-Rabe vom Knaben Fritz nach Hause gebracht, dort bringt er den ganzen Haushalt durcheinander und stranguliert sich schließlich mit dem Strickzeug der Tante.

Bei den Krähen handelt es sich um Handaufzuchten. Sie waren aus dem Nest gefallen und von Tierfreunden zur Wildvogelhilfe „Die Feder“ gebracht worden. Dort wurden sie von Lisa Stallzus aufgezogen. Die Tierheilpraktikerin arbeitet eng mit dem Tierschutzverein zusammen. „Wir kümmern uns um die Finanzierung“, sagt Zentgraf.

Die Aufzucht ist teuer, die Tiere brauchen ein Spezialfutter mit Maden und Larven. Und die Aufzucht ist zeitintensiv: Jungvögel müssen anfangs alle 15 Minuten gefüttert werden. „Ohne Spenden ist das nicht zu machen“, sagt Zentgraf. Um Vögel auswildern zu können, müssten sie artgerecht aufgezogen werden. Das sei kein Job für Laien.

Krähen sind äußerst beliebte Forschungsobjekte: Sie spielen gerne, zeigen intelligentes Verhalten, nutzen Werkzeuge, um an Nahrung zu kommen. Auch auf Darmstadts Straßen kann man immer mal wieder beobachten, wie eine Krähe eine Nuss auf die Straße schmeißt und wartet, bis ein drüberfahrendes Auto sie knackt. Zentgraf kann deshalb gut verstehen, dass Menschen von ihnen fasziniert sind. Handaufzuchten wie die acht Saatkrähen, können jedoch, wenn man nicht aufpasst zahm und anhänglich werden. „Sie sind schnell fehlgeprägt“, sagt Zentgraf. Auswildern ist dann nicht mehr gut möglich, da sie keine Angst zeigen, weder vor Menschen, noch vor tierischen Mitbewohnern wie Hunden oder Katzen. „Sie werden furchtlos“, sagt Zentgraf, das Ende ist dann oft tragisch, ganz wie bei Wilhelm Busch. Im Tierheim wird versucht, den Kontakt zwischen Pflegern und Krähen in der Voliere möglichst kurz zu halten, damit sie ihre Scheu vor Menschen behalten. Das muss der kecke Vogel, der das gefüttert werden ganz toll findet, noch lernen. In einigen Wochen wird die Vogelschar auf einen Reiterhof in der Nähe von Griesheim gebracht. Dort steht ein Stall leer. „Da können sie Fliegen lernen“, erklärt Zentgraf. Wenn sie darin gut sind, werden sie freigelassen.

Zentgrafs Rat für alle, die einen scheinbar hilflosen Jungvogel finden: Erst mal beobachten, ob er nicht doch von seinen Eltern gefüttert wird. Denn oft handelt es sich bei Fundtieren um Ästlinge: So werden Jungvögel bezeichnet, die das Nest zwar verlassen haben, jedoch auf Ästen sitzend von den Altvögeln weiterversorgt werden.

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Jungvögel nur in Notfällen nach Hause nehmen

Wer einen Jungvogel findet, sollte das Tier, wenn es etwa direkt am Straßenrand sitzt, an einen nahe gelegenen, geschützten Ort – zum Beispiel in eine Hecke – umsetzen. „Die Jungvögel werden von den Eltern wieder aufgenommen und versorgt“, heißt es beim Tierschutzbund. Nur wenn sicher ist, dass die Eltern sich nicht um ihren Nachwuchs kümmern, sollte man die Jungvögel mitnehmen – und am besten zu Fachleuten wie der Wildvogelhilfe am Oberfeld bringen.